Islamic Banking Sukuk und Takaful

Banken stürzen sich auf das Geschäft mit islamischen Finanzprodukten. Und drohen die Marktchancen in Deutschland zu verpassen.

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Im mittleren Osten flossen 2005 über 2 Milliarden Dollar in Scharia-konforme Anleihen, Grafik: Wirts

Die Warnung könnte kaum deutlicher sein: „Diejenigen, die Zins verschlingen, sollen nicht anders dastehen als wie einer, der vom Satan erfasst und geschlagen ist.“ So steht es in Sure zwei, Vers 275 des Korans. Viel Spielraum für Interpretationen bleibt da nicht. Muslime dürfen weder Zinsen zahlen noch verlangen – und bleiben so von vielen konventionellen Bankprodukten ausgeschlossen. Ein Moslem darf ein zinsloses Girokonto führen, aber schon ein Sparbuch kommt für ihn nicht infrage. An das Zinsverbot halten sich selbst große arabische Unternehmen, die gewinnorientiert wie ihre westliche Konkurrenz arbeiten. So finanzierte die Emirates Group, Muttergesellschaft der gleichnamigen Fluglinie, jüngst über spezielle Islam-konforme Anleihen, sogenannte Sukuk, sechs neue Flugzeuge im Wert von gut 600 Millionen Dollar. „Für uns bietet das zwar keinen direkten Vorteil etwa in Form niedriger Finanzierungskosten“, sagt Emirates-Finanzchef Gary Chapman, „doch es hat den Vorteil, dass es unsere Stellung in der arabischen Welt stützt – sowie den lokalen Banken und dem Standort Dubai hilft.“ Lange haben sich nur die Banken der islamisch geprägten Länder mit dem Widerspruch zwischen traditionellem Bankgeschäft und Islam befasst. Erst in den vergangenen Jahren haben auch westliche Banken und Versicherungen Strategien entwickelt, um trotz Zinsverbot an das Geld der 1,4 Milliarden Muslime zu kommen, deren Vermögen die Deutsche Bank auf 1,8 Billionen Euro schätzt. Ein gigantischer, bisher noch kaum erschlossener Markt. Denn die gesamte islamische Welt ist mit Scharia-konformen Produkten noch unterversorgt. „Das Geschäft mit Islamic-Fi-nance-Produkten wächst rasant“, sagt Hans-Jürgen Koch, bei der Deutschen Bank verantwortlich für die Betreuung vermögender Privatkunden in der Golfregion. „Die Nachfrage speziell im Mittleren Osten, Indonesien und Malaysia nimmt zu.“ Doch nicht nur dort. Auch in den Heimatmärkten der westlichen Banken und Versicherungen leben Millionen Muslime, die an Bankprodukten und Versicherungen interessiert sind, die ihrem Glauben entsprechen. Doch mit ihnen tun sich die Geldhäuser noch schwer, vor allem in Deutschland – wo rund drei Millionen Muslime leben. Die Gläubigen, die hierzulande leben, sind gezwungen, ihr Geld nach westlichen Standards anzulegen und damit gegen ihre Religion zu verstoßen, oder aber sie müssen ihr Erspartes auf einem zinslosen Konto dahinvegetieren lassen, was nach Informationen von Insidern bei der Deutschen Bank häufig vorkommt. Die hiesigen Institute riskieren, dass ausländische Konkurrenten den Markt besetzen. Strenggläubige Muslime dürfen nur in Produkte investieren, die im Einklang mit der Scharia, der religiösen Pflichtenlehre des Islam, stehen. Geld in Aktien anzulegen, ist zwar möglich, weil sich der Anleger hier am unternehmerischen Risiko beteiligt und nicht nur Zinsen kassiert. Allerdings ist eine Reihe von Branchen ausgeschlossen. Anteile von Unternehmen, die Alkohol, Tabak, Schweinefleisch oder Waffen herstellen oder damit handeln, sind ebenso tabu wie die von Firmen, die etwas mit Pornografie oder Glücksspiel zu tun haben. Selbst Kredite oder Hypotheken kann ein Moslem nicht in Anspruch nehmen. Anstatt verzinste Kredite zu vergeben, kaufen islamische Banken beispielsweise die Güter, die ein Unternehmer benötigt, selbst ein und geben sie später mit Gewinn an ihn weiter. Die Bank tritt als Zwischenhändler auf und umgeht damit das Zinsverbot. Ähnlich bei Sparguthaben: Der Kunde erhält keinen festen Zinssatz, sondern wird über sein Guthaben Teilhaber der Bank – und entsprechend seiner Einlage an ihrem Gewinn beteiligt.

Im ölreichen Nahen Osten sind nach Einschätzung der Deutschen Bank erst rund zehn Prozent des Vermögens Scharia- gerecht angelegt. Grund für die gewaltige Marktlücke: Es gab lange Zeit keine Produkte, die hinsichtlich Kosten und Rendite konkurrenzfähig gewesen wären. Hinzu kam, dass „es bei islamischen Investmentgesellschaften einige Betrugsfälle gab“, sagt Kilian Bälz, Rechtsanwalt und Experte für islamische Finanzierungen. Seit sich auch westliche Banken im „Islamic Banking“ engagieren, nimmt die Nachfrage zu. Denn sie bieten Scharia-konforme Produkte mit westlichen Sicherheitsstandards an. Hinzu kommt, dass der hohe Ölpreis für steigende Einkommen sorgt. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung Capgemini kam zum Ergebnis, dass die Zahl der Wohlhabenden im Nahen Osten bis 2008 um jährlich 2,8 Prozent zunehmen wird – und die dann voraussichtlich 900 Milliarden Dollar besitzen werden. Das Geschäft lassen sich die Banken des Westens nicht entgehen. Vorreiter ist die Deutsche Bank. Sie ist seit 111 Jahren in der Region präsent und finanzierte einst die Bagdadbahn von Istanbul in die irakische Hauptstadt – eines der größten Projekte des deutschen Imperialismus. Seit 30 Jahren hat die Bank eine Filiale in Bahrain, wo sie heute millionenschwere Anleihen für islamische Investoren entwickelt. Das Besondere daran ist, dass an die Inhaber keine Zinsen gezahlt werden. Sie werden stattdessen am zugrunde liegenden Vermögen, zum Beispiel Mieteinnahmen, beteiligt. Eine der größten Scharia-konformen Anleihen mit einem Volumen von 2,8 Milliarden Dollar wurde im Februar von der Hafengesellschaft Dubai Ports World aufgelegt. Mit dem Geld hat sie den Kauf des britischen Konkurrenten P&O finanziert, der Häfen in Europa, Asien und Amerika betreibt. In Bahrain und im Boomstaat Dubai sind heute praktisch alle Großbanken wie HSBC oder Citibank vertreten. Der Schweizer Finanzkonzern UBS hatte 2002 sogar eine islamische Bank, die Noriba, gegründet, die bereits zwei Jahre später Gewinn abwarf. Um vom steigenden Wohlstand in den Erdöl exportierenden Ländern zu profitieren, müssen auch die Versicherer reagieren. Denn da bei Abschluss einer Versicherung beide Seiten noch nicht wissen, ob der Schadensfall je eintritt, haftet ihr der Ruf eines Glücksspiels an, und das ist im Islam verboten. Zudem kritisieren einige Gelehrte, dass sich aus den jährlichen Prämien der Versicherten ein Zinsvorteil für die Versicherungsgesellschaft ergibt. Mittlerweile haben die Gesellschaften deshalb Produkte entwickelt, die das Problem lösen: Takaful genannt. Sie basieren auf dem Prinzip eines Solidarfonds. Die Mitglieder zahlen Geld in einen Topf ein, aus dem die Betroffenen im Schadensfall bedient werden. Das Risiko trägt dabei nicht die Versicherung, sondern es bleibt bei den Versicherten. Im vergangenen Jahr steigerte die Branche nach Schätzung des Münchner Allianz-Konzerns den Absatz Scharia-konformer Produkte um 28 Prozent. Experten gehen davon aus, dass das rapide Wachstum anhält. Die Salama Islamic Arab Insurance Company, die größte islamische Versicherungsgesellschaft, rechnet damit, dass die Versichertenzahl pro Jahr um 15 bis 20 Prozent zulegen wird. Denn der Markt entsteht gerade erst. Bei nur rund einem Prozent liegt die Versorgung mit Sach- und Lebensversicherungen in den islamischen Ländern, wo langsam die Mittelschicht wächst. Für die Allianz ist das Geschäft mit Takaful ein wichtiger Zukunftsmarkt: „In 20 Jahren werden Scharia-Produkte vermutlich einen Marktanteil von 20 Prozent haben“, sagt Jens Reisch, der für die Allianz in Indonesien die Sparte Lebensversicherungen leitet.

Vorreiter in diesem Segment ist neben der Allianz der kleine Münchner Finanzdienstleister FWU, der sich darauf spezialisiert hat, Fonds- und Versicherungsprodukte zu entwickeln. Zusammen mit lokalen Versicherungspartnern bietet FWU seit diesem Frühjahr unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Malaysia eine fondsgebundene Lebensversicherung an, die den Regeln der Scharia genügt. Lokale Banken verkaufen die Police. Das Geschäft brummt. Schon bis August hat FWU nach eigenen Angaben die Zielmarke für das gesamte Jahr um 20 Prozent übertroffen. Unter dem Strich steuern Takaful-Lebensversicherungen derzeit 15 Prozent zum Gewinn des Unternehmens bei. Langfristig soll der Anteil auf 40 bis 50 Prozent steigen. Auch in Europa gibt es für Scharia-konforme Bank- und Versicherungsprodukte einen Markt. Hier leben rund 32 Millionen Muslime, davon drei Millionen in Deutschland. Davon nehmen nach einer Untersuchung des Institute of Islamic Banking and Insurance aber nur vier Prozent islamische Finanzprodukte in Anspruch. Die Mehrheit der Befragten begründet den geringen Zuspruch allerdings nicht mit Desinteresse. Es mangele schlicht an Angeboten, klagen sie. Und mit den wenigen Produkten wenden sich die Banken fast ausschließlich an betuchte Kunden. Die Credit Suisse etwa bietet Vermögensverwaltung und Private-Equity-Investitionen nach islamischen Regeln an. Die BHF-Bank, eine Tochter der Privatbank Sal. Oppenheim, hat ein ihrer vermögenden Kundschaft entsprechendes Aktienportfolio zusammengestellt. Angebote, die offiziell auch in Deutschland verfügbar sind. Theoretisch. Die Frage ob die Credit Suisse Scharia-konforme Produkte im Angebot habe, kommentiert ein Privatkundenbetreuer der Bank jedoch erst mit Schweigen, dann mit dem verschämten Eingeständnis: „Das sagt mir gar nichts. Sie müssen mir schon erklären, was das ist.“ Bei der BHF-Bank das gleiche Bild. „Scharia-konforme Produkte?“, fragt ein Betreuer der Bank. „Unternehmensaktien, die sich an den Regeln des Islam orientieren? Das habe ich noch nie gehört.“ Weil es hier am Angebot mangelt, investieren Gläubige wie die Familie von Ayse Yilmaz aus Koblenz ihr Erspartes in der Türkei. Die 30-Jährige lebt seit dem Kindergartenalter in Deutschland, hat hier ihr Abitur gemacht und gibt bei einer privaten Sprachschule Englisch-Unterricht. Sie spricht fließend Deutsch und fühlt sich integriert. Die Prinzipien der Scharia sind ihr trotzdem wichtig und „so geht es vielen in meinem Umfeld“, sagt sie. Das Interesse der Banken an Kunden wie Yilmaz hält sich in Grenzen. Die Commerzbank-Investmenttochter Cominvest hatte Muslimen vor sechs Jahren einen Aktienfonds angeboten. Doch der wurde wegen Erfolglosigkeit wieder eingestellt. Damit hatte sich für die Bank das Thema nach Aussage eines Sprechers erledigt. Auch die Deutsche Bank sieht keinen Handlungsbedarf. Es gebe keine Nachfrage, heißt es. Dabei bezeichnen sich in der Untersuchung des Institute of Islamic Banking and Insurance mehr als zwei Drittel der deutschen Muslime als religiös. Und hierzulande leben mehr Menschen, die an den Koran glauben, als in den Boom-Märkten Dubai und Abu Dhabi zusammen. Diese Klientel wird von den deutschen Banken vernachlässigt. Wo liegt das Problem? Zum einen sei die muslimische Gemeinschaft in Deutschland „in ihrem Anlageverhalten nicht so homogen wie beispielsweise in Indonesien“, sagt Ulf Hollstein, beim Bankhaus Metzler für die Nahost-Region zuständig. „Man müsste hier viele einzelne Produkte entwickeln, was den meisten Banken wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint.“

Islam-Experte Bälz geht dagegen davon aus, dass das Marktpotenzial bisher schlichtweg nicht genutzt wurde: „Man kann nicht ein einzelnes Produkt auf den Markt bringen und dann davon ausgehen, dass die Leute sich darauf stürzen.“ Nötig sei eine ganze Palette an Basisprodukten wie Girokonten, Verbraucherdarlehen und Baufinanzierungen. „Und solche Produkte müssen dann auch fachmännisch vertrieben werden.“ Sie müssten beworben und von Bankangestellten verkauft werden, „die sich mit Islam-konformen Produkten auskennen und auch die Bedenken und Bedürfnisse der Kunden kennen.“ Zudem müssten die Banken über „neue Vertriebsformen“ nachdenken, sagt Philipp Wackerbeck, Studienautor des Institute of Islamic Banking and Insurance. „Es könnte den Zugang erleichtern, wenn sie mit den muslimischen Gemeinden zusammenarbeiten würden.“ Das sehen die betroffenen Muslime ähnlich. Banken dürften nicht davon ausgehen, dass ein Ausländer in einer Filiale explizit nach Islam-Produkten fragt, sagt Yilmaz: „Es kommt mir ohnehin so vor, als würde jeder in mir eine potenzielle Terroristin sehen. Da gehe ich sicher nicht in eine Bank und offenbare, dass ich meinen Glauben auch praktiziere.“ Dass es auch in Deutschland einen Markt für Scharia-konforme Geldanlagen gibt, führte einst die Yimpas Group AG vor. Das Unternehmen betrieb bis vor einigen Jahren zehn Kaufhäuser in Deutschland und sammelte innerhalb kurzer Zeit Anlegergelder in Höhe von umgerechnet 150 Millionen Euro ein. Die meisten Investoren waren in Europa lebende Türken, die dem Unternehmen ihre Ersparnisse anvertrauten. Yimpas lockte die Anleger mit dem Versprechen, dass die Investition nicht gegen das Zinsverbot verstoßen und in den Kaufhäusern weder Schweinefleisch noch Alkohol verkauft würde. Nach der Pleite des Unternehmens 2002 verloren sie allerdings ihr Geld. Die Kaufhäuser machten Verluste, die Einlagen der Zeichner verschwanden in einem internationalen Finanzgeflecht. Noch heute streiten enttäuschte Anleger vor Gericht um ihr Geld. Wie sich auch in Europa Scharia-konforme Bankprodukte durchsetzen lassen, zeigt die 2004 in London gegründete Islamic Bank of Britain. Sie ist das erste vollislamische Institut in Europa. Schon nach einem Jahr verwaltete sie Vermögen im Wert von rund 50 Millionen Euro, 25000 Konten wurden eröffnet. Auf die Filialen in London, Birmingham and Leicester sollen vier weitere Niederlassungen folgen. Marktkenner Bälz hält es für möglich, dass sich wie in Großbritannien auch in Deutschland Investoren zusammenschließen und eine eigene, rein islamische Bank gründen. Dann hätten die hiesigen Banken die Chance – die sie in den islamischen Ländern Asiens und des Nahen Ostens so emsig nutzen – im eigenen Land verpasst.

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