IT-Branche in Weißrussland Apps aus der Diktatur

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Alltagsverbesserer: Sam-Solutions-Gründer Andrei Bakhirev

"Unseren Kunden ist wichtig, dass sie mit einem deutschen Unternehmen arbeiten statt mit einem weißrussischen", sagt Bakhirev.

Trotzdem wollen seine Kunden immer wieder von ihm wissen: Ist Weißrussland stabil genug, um dort verlässlich arbeiten zu können? Und stets folgt dieselbe lapidare Antwort: "Das Land ist leider stabil."

Eine funktionierende Marktwirtschaft wird es in Weißrussland frühstens in zehn Jahren geben, glaubt Bakhirev. Er ist ein zupackender Mann mit Bogner-Jacke und Sportschuhen. Standortvorteile sieht der Wirtschaftsinformatiker dennoch: "Da die wichtigsten IT-Unternehmen der Sowjetunion ihren Sitz in Minsk hatten, lehren sie an unseren Universitäten schon seit den Achtzigerjahren Programmiersprachen." Das Ausbildungsniveau sei in Minsk daher höher als in den meisten EU-Staaten oder in Russland. Und wer nicht für den Staat arbeiten, dafür aber Geld verdienen will, "der hat keine Alternative zum IT-Studium".

Früher Berufsbeginn: Für Informatikstudenten bereits ab dem dritten Studienjahr

Gut 12 000 Informatiker verlassen jedes Jahr die Universitäten Weißrusslands. Die Zahl der Absolventen steigt, doch IT-Unternehmen wie Sam Solutions könnten gut noch mehr Nachschub gebrauchen: "Wir haben derzeit 50 freie Stellen, obwohl wir vierstellige Gehälter zahlen", sagt Bakhirev. "Die meisten IT-Studenten stehen schon ab dem dritten Studienjahr bei einem Unternehmen unter Vertrag."

So fern die Freiheit für die weißrussische Gesellschaft auch sein mag – im virtuellen Raum ist sie spürbar. So arbeiten die Tüftler von Sam Solutions etwa gerade an einer mobilen Plattform für den Alltag der Zukunft: Die App baut teilweise auf dem Prinzip des Netzwerks Foursquare auf, wo sich Nutzer mit Freunden über ihre jeweiligen Standorte austauschen und gegenseitig Tipps geben.

Mithilfe der Sam-Solutions-App sollen sich Handynutzer von ihrem aktuellen Standort aus dann auch noch über Rabatte bei McDonald’s, den besten Friseur und die nächste Zahnarztpraxis informieren, wobei die Unternehmen für ihre Erwähnung zahlen müssen.

Die Geschäftsidee für diese App stammt von einem deutschen Unternehmen, dessen Namen Bakhirev nicht nennen will. Seine IT-Leute basteln schon an der Testversion. "Geld werden wir damit vorerst nicht verdienen", gibt der Sam-Chef freimütig zu, "aber solchen Lösungen gehört die Zukunft."

Die Chancen dafür stehen gut. Der Diktator Lukaschenko lässt die IT-Branche nach wie vor in Ruhe. Der 56-Jährige ist gelernter Kolchosbauer. Was eine App ist, versteht er nicht. Deshalb gab es bisher auch keine Zwangsverstaatlichungen.

Die Nachfrage nach Apps aus Weißrussland steigt dagegen rapide an. Allein Viaden Mobile hat weltweit mehr als 2,5 Millionen Fitness-Apps verkauft. Niemand weiß, wohin die E-Business-Erfolge Weißrussland führen werden – auf keinen Fall aber zurück in die Sowjetunion.

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