
WirtschaftsWoche: Frau Diefenbach, heute ist es zehn Jahre her, dass Steve Jobs das iPhone vorgestellt hat. Apple hat damals das Smartphone nicht erfunden, aber das Produkt auf den Markt gebracht, das den Weg ebnete zum allgegenwärtigen Begleiter, der das Smartphone heute ist. Gibt es eine Technologie, die vergleichsweise schnell einen so großen Teil der Menschheit erreichte?
Sarah Diefenbach: Mir fällt keine ein. Beim Radio oder beim Fernsehen hat es ungleich länger gedauert, bis sie eine vergleichbare Zahl an Menschen erreicht und den Alltag so grundlegend verändert haben. Das Smartphone nimmt eine Sonderrolle ein.

Inwieweit hat es uns verändert?
Durch die ständige Präsenz im Alltag ist das Smartphone eine Linse geworden, durch die wir unsere Umwelt betrachten. Es definiert mit, was wir wahrnehmen, wie wir es wahrnehmen und wie wir mit unserer Umwelt interagieren. Es gibt für alles eine App: den Weg von A nach B finden, Sport treiben, kochen, meditieren. Das Smartphone ist immer dabei. Und dann natürlich zahlreiche Kommunikationskanäle. Wir haben ständig und viel mehr als früher Kontakt mit Menschen, die nicht direkt anwesend sind. Das kann dazu führen, dass wir unsere direkte Umgebung vernachlässigen. Durch den allgegenwärtigen Zugang zu sozialen Netzwerken und die Möglichkeit für Postings stellt man sich viel eher die Frage, ob sich der gerade erlebte Moment eignet, auf einem Foto festgehalten zu werden. Die technischen Möglichkeiten dafür gab es schon vor dem Smartphone, aber die ständige Präsenz dieser Technik, das Eindringen in jeden Winkel unseres Alltags kam mit ihm.
Wie wirkt sich das auf die Menschen aus?
Wir erleben eine Verlagerung vom privaten Wahrnehmen im Moment hin zu einer öffentlichen Dokumentation unserer Wahrnehmung und eine Ausrichtung auf die Anerkennung anderer, beispielsweise in Form von Likes auf Facebook oder Instagram. Dabei kommt die eigene Wahrnehmung und das bewusste Erleben bedeutsamer Momente oft zu kurz. Es geht nur noch um das Foto, eine Art Tunnelblick. Je schöner das Ereignis ist, umso wichtiger ist es das festzuhalten. Ist die Aufgabe Foto erfüllt, ist der Moment abgehakt.
Die Evolution des iPhones
Mit seinem leicht bedienbaren Touchscreen revolutionierte das iPhone die Handybranche. Dabei waren die technischen Daten der ersten Generation noch recht bescheiden: Der Prozessor leistete nur 667 Megahertz, der Arbeitsspeicher war nur 128 Megabyte groß. Den Datenfunk UMTS unterstützte die erste Generation nicht. Trotzdem wurde das Gerät ein riesiger Erfolg.
Das zweite Gerät der iPhone-Reihe, vorgestellt im Juni 2008, brachte einige wesentliche Änderungen. Zum einen überarbeitete Apple das Design gründlich. Zum anderen unterstützte das Gerät den Datenfunk UMTS sowie den Datenturbo HSDPA.
Ein Jahr später stellte Apple das iPhone 3GS vor. Am Design änderte sich nichts, allerdings stattete der Hersteller das Gerät mit einem besseren Prozessor und einem größeren Speicher aus. Das suggeriert auch der Name: Das S steht für „Speed“. Zudem war eine Kamera mit 3 Megapixel Auflösung an Bord.
Mit der vierten Generation, präsentiert im Juni 2010, wagte Apple wieder ein neues Design: Das Gehäuse war kantiger und aus Edelstahl. Zudem verbaute der Hersteller ein Display mit höherer Auflösung. Auch der Prozessor war leistungsfähiger als beim Vorgänger. Der Ansturm auf das Gerät war gewaltig.
Äußerlich unterschied sich das iPhone 4S kaum von seinem Vorgänger, das Design blieb weitgehend gleich. Schlagzeilen machte vor allem der persönliche sprachgesteuerte Assistent Siri, der zunächst nur auf dem 4S lief, später aber auch auf anderen iPhone-Modellen. Siri kann Fragen beantworten oder Kommandos ausführen. Die Kamera des iPhone 4S hatte eine Auflösung von 8 Megapixel.
Das sechste und aktuelle Gerät der Reihe heißt iPhone 5. Es ist etwas länger, aber gleichzeitig dünner als das Vorgängermodell – dadurch ergibt sich ein neues Seitenverhältnis von 16:9. Die 8-Megapixel-Kamera kann Aufnahmen in HD anfertigen. Ein neuer Prozessor soll für mehr Tempo sorgen. In die Kritik geriet Apple, weil vor allem an der schwarzen Variante schnell Abnutzungserscheinungen zu sehen waren. Mit dem iPhone 5 führte Apple auch iOS 6 ein, die neue Version des Betriebssystems, die den vielkritisierten Kartendienst Maps enthält.
Das iPhone 5C und das iPhone 5S waren die Modelle sieben und acht. Das 5C ist die etwas günstigere Variante: Weitgehend ausgestattet wie das iPhone 5, hat es aber ein Gehäuse aus buntem Plastik. Das 5S hat unter anderem einen doppelt so schnellen Chip, eine bessere Kamera und einen Fingerabdrucksensor zur Entsperrung des Gerätes.
Die sichtbarste Neuerung bei der jüngsten iPhone-Generation sind die Maße: iPhone 6 und iPhone 6 Plus sind mit 4,7 beziehungsweise 5,5 Zoll deutlich größer als die Vorgänger. Damit reagiert Apple auf den Boom der Phablets, also der übergroßen Smartphones. Die Geräte unterstützen den Bezahldienst Apple Pay, der über den Nahfunkstandard NFC Daten überträgt.
Mit dem iPhone 6S setzte Apple das Tick-Tock-Prinzip fort: In einem Jahr kommt das "große" Update mit einer neuen Zahl, im Folgejahr werden vor allem Details wie Rechnerleistung, Speicher oder die Kamera verbessert – am Design selbst ändert sich wenig.
Nachdem das iPhone 5C mit seinem billigen Kunststoff-Design als Einstiegsvariante wenig erfolgreich war, hat Apple im Frühjahr 2016 einen neuen Ansatz für das Low-Budget-Smartphone gewagt: Das iPhone SE kombiniert die Optik des iPhone 5S (mit dem kleineren Display) mit der besseren Technik des iPhone 6S. Da auf Details wie eine teure Front-Kamera, die modernste Variante des Fingerabdrucksensors oder das Force-Touch-Display verzichtet wurde, konnte es zum Budget-Preis angeboten werden.
Die US-Soziologin Sherry Turkle sagte in einem Interview, dass die Gewohnheit ständig in Gesellschaft das Smartphone auszupacken, schlimme Folgen habe: „In den zurückliegenden 20 Jahren ist die Empathiefähigkeit von Studenten um 40 Prozent gesunken. Ich bin überzeugt, dass wir in fünf bis sieben Jahren einen unglaublichen Anstieg bei Autismus beobachten werden.“ Halten Sie das für realistisch?
Ich weiß nicht, wie sie zu diesem Schluss kommt. Auch mit der angeführten Kausalität tue ich mich schwer. In Anbetracht all der Faktoren, die auf die Menschheit einwirken, ist es fragwürdig, das Smartphone als isolierte Ursache für Veränderungen der Menschheit zu betrachten. Es gibt einige Studien, die auf korrelativer Ebene analysieren, wie etwa das Smartphone-Nutzverhalten mit dem Stresserleben bei Jugendlichen zusammenhängt. Aber mit solchen globalen Aussagen zu Folgen der Technik sollten wir vorsichtig sein.
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„Muss ich wirklich jede freie Minute nutzen, um mich online zu beschäftigen?“
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Betrachtet man die Buchtitel zum Thema Smartphone, hat man allerdings das Gefühl, die Menschheit verkümmert sozial, kognitiv und emotional. Der Soziologe Harald Welzer hat im vergangenen Jahr ein Buch mit dem Titel „Die smarte Diktatur“ geschrieben, in dem er unter anderem vor den Überwachungsmöglichkeiten warnt; der Psychologe Manfred Spitzer bemängelte 2012 in seinem Buch „Digitale Demenz“, dass kognitive Fähigkeiten wegen des Smartphones verkümmerten. Sie und Ihr Kollege Daniel Ulrich schrieben ein Buch namens „Digitale Depression“.
Nein, so pessimistisch muss man die Auswirkungen des Smartphones nicht sehen. Wir haben den Titel in Anlehnung an die „Digitale Demenz“ von Herrn Spitzer gewählt, der auf das Kognitive abzielt. Unser Fokus liegt auf dem Gefühlsleben. Der Titel klingt pessimistischer, als wir das meinten. Ich sehe viele Möglichkeiten, das Smartphone positiv und nützlich in den Alltag zu integrieren. Aber auch nach zehn Jahren haben viele Menschen ein Problem damit, im Umgang mit ihrem Smartphone das richtige Maß zu finden. Wir nehmen die Möglichkeiten, die Technik uns bietet dankbar an, ohne zu prüfen, ob uns das wirklich gut tut. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ständiges Abrufen von Mails und Chatten Menschen stresst. Wer das dosiert macht, geht deutlich entspannter durch den Alltag und ist aufnahmefähiger. Die Frage ist doch: Muss ich wirklich jede freie Minute nutzen, um mich online zu beschäftigen?
Was ist problematisch an einem solchen Verhalten?
Zum Problem wird es, wenn aus der Möglichkeit der ständigen Nutzung eine gefühlte Verpflichtung oder ungesunde Gewohnheit wird. Man fragt sich gar nicht mehr, will ich diesen Moment jetzt dem Smartphone schenken, sondern tut es einfach. Ohne Rücksicht auf Verluste. Zum Beispiel brauchen wir Menschen bestimmte Leerräume, um dem Hirn die Chance zu geben, neue Verknüpfungen zu erstellen, und auf neue kreative Gedanken zu kommen.





Wie kommt es, dass so viele Menschen ihr Smartphone reflexartig zücken, ohne eine Intention zu verfolgen?
Verantwortlich dafür sind vor allem die Social-Media-Anwendungen, die dank des Smartphones zum allgegenwärtigen Begleiter geworden sind. Sie sind vergleichbar mit einem Glücksspielautomaten: Ab und zu erlebt man Glücksmomente, daher rührt die hohe Attraktivität. Beim Spielautomaten haben Menschen deswegen das Bedürfnis immer wieder Geld reinzuschmeißen, unserem Smartphone schenken wir für die kleinen Belohnungen – sei es Anerkennung oder lesenswerte Artikel, die wir in den sozialen Netzwerken finden – immer wieder Aufmerksamkeit. Der große Gewinn ist aber die Ausnahme, meist werden wir enttäuscht oder bewerten das Gelesene als eher belanglos.
Aber ist das nicht eine Frage des individuellen Umgangs mit dem Smartphone? Es ist ja nur ein Gerät, das viele Möglichkeiten bietet, die der Nutzer sich sonst anders verschaffen würde. Wenn der Gesprächspartner langweilig ist, hat man früher seine Gedanken schweifen lassen.
Natürlich, das Smartphone ist nur ein Werkzeug, eine Art Katalysator. Den meisten Nutzern ist allerdings nicht klar, dass es eine Herausforderung ist, einen anständigen Umgang mit seinem Smartphone zu erlernen. Das Smartphone potenziert Verhalten, wie das von Ihnen beschriebene. Wir rutschen schnell in Routinen hinein, die wir so nicht beabsichtigen. Viele Menschen haben das Bedürfnis, sofort zu antworten, wenn sie eine Nachricht erhalten. Dass sie damit den Menschen, die ihnen gegenüber sitzen, vor den Kopf stoßen, fällt ihnen gar nicht auf und ist auch nicht beabsichtigt. Sie stecken lediglich in dem Dilemma, mehrere Kommunikationskanäle gleichzeitig bedienen zu wollen. Wir haben dazu im vergangenen Jahr eine Studie gemacht, in der wir Nutzer zu genau diesem Phänomen befragt haben.