20:15 Uhr hat ausgedient Jetzt greift Netflix in Deutschland an

In der Nacht zum Dienstag hat Netflix sein Angebot in Deutschland freigeschaltet. Der Online-Video-Riese attackiert die etablierten Fernsehsender massiv. Die müssen fürchten, Zuschauer an das Internet-TV zu verlieren.

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Netflix-Boss Reed Hastings möchte mit Millionenaufwand die Deutschen von der gewohnten Flimmerkiste in sein Internet-Fernsehparadies locken. Quelle: dapd

Die Immobilie mit der Nummer 440 hat die wohl interessanteste Geschichte aller Anwesen an der feinen Keizersgracht in Amsterdam. Seit dem frühen 17. Jahrhundert residierten hier Notare, Pleitiers und selbst eine Miederwarenfabrik, bis das Haus im Juli 2011 fast gänzlich niederbrannte und neu errichtet wurde.

Einen besseren Ort für eine Revolution hätte Reed Hastings kaum finden können. Denn an die Keizersgracht hat der Chef und Miteigentümer des US-Internet-Fernsehanbieters Netflix elf Leute geschickt, die ihren eigenen Brandherd entfachen sollen. Die Netflix-Elf soll, hinter hohen Fenstern und verklinkerten Säulen im zweiten Stock des Gebäudes, nichts Geringeres tun, als die europäische Fernsehbranche auf den Kopf stellen.

Die wichtigsten Anbieter im Online-Fernsehen

Hastings Auftrag: Bietet den Menschen eine Alternative zum heutigen Fernsehen mit zig Sendern und festen Startzeiten. Lasst sie Filme und Serien zu jeder beliebigen Zeit starten, anhalten oder zurückspulen, kurzum: genießen.

Zehn Euro für tausende Filme

Für weniger als zehn Euro pro Monat soll künftig jedermann per Mausklick auf seinem Laptop, Tablet, Smartphone oder internetfähigen Fernseher unbegrenzt Filme sehen können, ohne diese herunterladen zu müssen. Das heißt im Internet-Jargon „streamen“.

Dafür hat Netflix 75 000 Streifen und teils exklusive Serienfolgen in petto. Mit dem Angebot will die Truppe in Amsterdam Netflix zunächst einen großen Teil des wachsenden Abruf-TV-Geschäftes sichern. Auf lange Sicht jedoch schwebt Hastings viel mehr vor: Netflix soll als Speerspitze dem Internet-Fernsehen gegenüber dem herkömmlichen, sogenannten linearen TV mit festem Programmschema zum Durchbruch verhelfen – und damit die klassischen Sender verdrängen.

Raues Vorbild aus dem Valley

Horchten in den vergangenen Wochen vor allem Fernsehfans freudig auf ob der neuen TV-Wunderwelt, geraten jetzt langsam, aber sicher die etablierten Film- und Fernsehanbieter in Alarmstimmung. Videotheken drohen endgültig zu verschwinden, DVD-Händler langfristig ihr Geschäft zu verlieren.

Privatfernsehen unter Druck

Aufgescheucht sind vor allem ARD, ZDF, RTL, ProSieben, Sat.1 sowie deren Wettbewerber. Weil vor der Fernsehfreude, forciert von Netflix und internetfähigen Fernsehgeräten, in vielen Wohnzimmern künftig immer häufiger die Suche im wachsenden Angebot des Internets steht, droht den traditionellen Sendestationen der Abstieg.

Insbesondere die Privaten stehen im Feuer. Denn sie verlieren auf Dauer ihre Bedeutung für die werbende Wirtschaft und damit die wichtigste Einnahmequelle, wenn immer mehr Zuschauer im Web bei Angeboten wie Netflix hängen bleiben. „Netflix ist eines der digitalen TV-Modelle, das traditionellen Fernsehsendern die Vermittlerrolle wegzuschnappen droht“, sagt Martin Sorrell, Gründer und Vorstandschef des weltgrößten Werbekonzerns WPP in London, gegenüber der WirtschaftsWoche.

Wie nah die Gefahr ist, zeigen die bisherigen Internet-Video-Anbieter wie Amazon oder der Filmabrufdienst Snap des Bezahl-TV-Unternehmens Sky. Sie alle haben auf Abwehrmodus umgeschaltet. Einige investierten bereits kräftig in ihr Filmangebot, andere locken mit Dumpingpreisen von 3,99 Euro im Monat, um von der heranrückenden Netflix-Elf nicht an den Rand gedrängt zu werden.

Seit Dienstagnacht ist Netflix in Deutschland verfügbar. Auch in Frankreich, der Schweiz, Österreich, Belgien sowie Luxemburg geht der Dienst an den Start. „Das wird eine Zeitenwende einläuten“, sagt Clemens Schwaiger, bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little weltweit für das Geschäft mit digitalen Medien verantwortlich.

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