Abgang von Tanit Koch Das Patriarchat bei „Bild“ kehrt zurück

Chefredakteurin Tanit Koch verlässt die „Bild“. Nun vereinigt Julian Reichelt alle Macht im Flaggschiff des Medienkonzerns Axel Springer.

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Abgang von Tanit Koch: Das Patriarchat bei „Bild“ kehrt zurück Quelle: dpa

Wien Julian Reichelt ist frei von Selbstzweifeln. Auf dem Europäischen Mediengipfel im österreichischen Lech machte der Vorsitzende der „Bild“-Chefredaktion aus seinem binären Weltbild keinen Hehl. Die Probleme Europas und seiner Nachbarn seien die Auswirkungen der ersten wirklich linken Regierung in den USA, sagte der 37-Jährige in Anspielung auf den früheren Präsidenten Barack Obama. „Sehr dramatisch ist die tiefe Überzeugung, das Richtige getan zu haben. Politiker haben oft nicht das Gefühl, etwas fundamental falsch gemacht zu haben“, sagte Reichelt auf der Konferenz im Schweizer Nobel-Skiort. Im Publikum ergänzte einer der Berufskollegen ironisch, Journalisten aber auch nicht.

Am heutigen Freitag hatte Reichelt, der einst als Reporter im syrischen Bürgerkrieg Schlagzeilen machte, nicht das Gefühl, bei Europas größter Zeitung etwas falsch gemacht zu haben. „Bild“-Chefredakteurin Tanit Koch wirft nach nur zwei Jahren in der Chefredaktion das Handtuch im Berliner Springer-Hochhaus. Ende Februar wird die 40-Jährige offiziell ausscheiden. Zum Abschied gab es Tränen.

Bereits seit Monaten wurden aus den oberen Stockwerken des börsennotierten Medienriesen immer neue Episoden kolportiert, wie Koch vom machtbewussten Reichelt ausgebremst wurde. Der einstige Reporter aus Kriegsgebieten erwies sich im Duell um die komplette Macht als redaktioneller Rambo. Meter für Meter eroberte er das „Bild“-Territorium. Mit der eingestandenen Niederlage ist er der alleinige Sieger im Kampf um die „rote Gruppe“, wie die „Bild“-Familie konzernintern genannt wird. Unterstützt wird er von Marion Horn, 52, Chefredakteurin „Bild am Sonntag“, Miriam Krekel, 40, Chefredakteurin des Berliner Boulevardblatts B.Z. und Mitglied der „Bild“-Chefredaktion, sowie Ulrike Zeitlinger, 48, Stellvertreterin des „Bild“-Chefredakteurs.

Sein Vorgänger Kai Diekmann hatte ursprünglich andere Pläne, als er im Januar 2016 den Chefsessel an Tanit Koch weiterreichte. Der langjährige „Bild“-Chef installierte Reichelt und Koch als ungleiches Tandem. Diekmann schätzte stets den internen Wettbewerb, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Doch die fruchtbare Konkurrenz um die besten Inhalte wollte sich nicht einstellen. Am Ende herrschte nur noch Krieg. „Das Modell der internen Konkurrenz ist kein Selbstläufer“, sagte Wolfram Winter, Professor für Medienökonomie in München, dem Handelsblatt.

„Die Verantwortungskonstellation in der Chefredaktion war zwar gut gemeint, hat aber (…) in der Praxis nicht funktioniert“, bekennt Konzern-Chef Mathias Döpfner offenherzig. Er übte damit indirekt Kritik an der Konstellation der Macht, wie sie Diekmann geschaffen hatte. „Bild braucht ganz klare Verhältnisse“, ergänzte der langfristige CEO. Mit Reichelt als uneingeschränkter Herrscher über eine der größten Redaktionen im Land hat er sie nun auch. Diekmann war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Reichelts Triumph im Machtkampf zeichnete sich bereits vor einem Jahr ab. Im Februar 2017 machte ihn der 55-jährige Döpfner zum Vorsitzenden der „Bild“-Chefredaktion. Damit war es mit der Egalität der Doppelspitze im Grunde vorbei. „2017 war davon geprägt, bis meine Kompromissbereitschaft an ihre Grenzen gelangte“, schrieb Tanit Koch, die erste Frau an der Spitze von „Bild“, an ihre Weggefährten. Koch trat 2016 die Nachfolge von Diekmann als „Bild“-Chefredakteurin an.

Döpfner leitet seit 16 Jahren im Auftrag der Mehrheitsaktionärin Friede Springer den MDax-Konzern. Mustergültig hat er das Verlagshaus zu einem digitalen Konzern umgebaut. In der deutschen Medienbranche gilt vieles als vorbildhaft. In den ersten neun Monaten stiegen die Erlöse um sieben Prozent auf 2,55 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) schnellte sogar um 13 Prozent auf 473 Millionen Euro hoch. „Axel Springer steht heute so stark da wie selten zuvor in seiner langen Geschichte“, sagte Winter, Professor für Medien-Ökonomie. Die Aktionäre jubeln. Der Aktienkurs hat sich innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt. Doch die Rückkehr des Patriarchats bei „Bild“ hat an der Börse unterdessen keine Jubelstürme ausgelöst. Der Kurs der Springer-Aktie sank am Freitagnachmittag um knapp ein Prozent auf 70,60 Euro.

Die Aufgaben für Reichelt sind gewaltig. Der 37-Jährige übernimmt nun zusätzlich auch noch die Verantwortung für die gedruckte „Bild“. Reichelt, der bereits 2014 Digital-Chef von „Bild“ wurde, muss den dramatischen Auflagenrückgang des Boulevardblatts durch digitale Verkäufe kompensieren oder zumindest abmildern. Denn die Auflage von „Bild“ schmilzt wie der Schnee in der Frühjahrssonne. In den vergangenen sechs Jahren ging es mit der verkauften Auflage steil bergab. Jedes Jahr gingen rund 200.000 Käufer verloren. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres fiel die verkaufte Auflage auf 1,66 Millionen Exemplare. Das sind rund zehn Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

„Bild“ und Springer kennt Reichelt sein halbes Leben schon. Sein Vater arbeitete bereits als Vize-Chef der Berliner „Bild“-Ausgabe. Im Alter von nur 22 Jahren fing er als Volontär bei „Bild“ an und durchlief die konzerninterne Journalistenausbildung. Nun ist er auf dem Höhepunkt seiner publizistischen Macht – ganz alleine.

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