Mit so einem Paukenschlag hatte niemand im Silicon Valley gerechnet - zumindest nicht jetzt, mitten im Sommer. Nicht Wettbewerbshüter zerlegen Google, sondern der Konzern spaltet sich selbst. Zwar gab es hin und wieder Gerüchte, dass Google-Chef Larry Page des Alltagsgeschäfts müde sei und Mitgründer Sergey Brin beneide, der sich mit spannenden Dingen wie selbstfahrenden Autos, Satellitennetzen oder der Frage nach der Formel des Lebens beschäftigen durfte, während Page vor allem ein besseres Umfeld für Anzeigenkunden schaffen, Google-Mitarbeiter vom Wechsel zu Konkurrenten oder interessanter erscheinenden Start-ups abhalten oder sich mit Wettbewerbshütern streiten musste.
Im Herbst hatte Page seinem Vertrauten Sundar Pichai mehr Kompetenzen eingeräumt, um sich stärker um Googles langfristige Strategie kümmern zu können.
Doch es gab keine Hinweise, dass Page so schnell seinen Posten als Google-Chef räumen würde. Bis am Montagabend die Bombe platzte. Kurz nach Börsenschluss gab Page - fast wie beiläufig auf im offiziellen Blog des Unternehmens - die größte Umstrukturierung in der 17-jährigen Geschichte Googles bekannt und indirekt seinen Rücktritt.
Er wechselt als CEO an die Spitze einer neuen Holding namens Alphabet, die alle Beteiligungen des Konzerns bündelt. Ihm zur Seite steht Sergey Brin als Präsident. Finanzchefin der Holding wird Ruth Porat.
Pichai wird Google CEO
Die größte Beteiligung von Alphabet ist Google, das nun ganz offiziell von Pichai geführt wird. Der 43-jährige, gebürtige Inder war bereits seit Oktober der einflussreichste Google-Manager und für all dessen Produkte, wie Android und Google Apps, verantwortlich. In der von Programmierern und Ingenieuren geprägten Kultur ist er geachtet. Nun kann er sich auch mit dem CEO-Titel schmücken. Mit seiner Beförderung werden mit Microsoft und Google gleich zwei der wertvollsten US-Unternehmen von Indern geleitet.
Google in Zahlen
Der Umsatz des Internet-Giganten lag im vierten Quartal 2014 bei 18,1 Milliarden Dollar. Den größten Teil seiner Umsätze (12,4 Milliarden Dollar) erzielte Google dabei auf den eigenen Seiten, den Rest (3,7 Milliarden Dollar) auf den Webseiten von Geschäftspartnern.
Wenn es um das Geldverdienen geht, ist Google quasi ein „One-Trick Pony“, also ein Zirkuspferd, das nur einen einzigen Trick beherrscht, nämlich Werbung. Von den 18,1 Milliarden Dollar Umsatz im vierten Quartal 2014 entfielen gut 16,1 Milliarden auf Online-Werbung.
In der Google-Bilanz wird neben Online-Werbung nur noch ein Umsatz-Segment mit dem Namen „Other“ (Anderes) aufgelistet. Hinter diesen Umsätzen von knapp zwei Milliarden Dollar, die Google nicht weiter aufschlüsselt, stehen nach Experten-Einschätzung vor allem die Gebühren aus dem Play Store, die der Internet-Riese von den Entwicklern von Android-Apps und Unterhaltungsanbietern verlangt.
Google Suche, G-Mail, Google Maps, der Online-Speicher Google Drive, das Smartphone-Betriebssystem Android mit dem App-Store Google Play: Die Liste der Google-Dienste wird von Jahr zu Jahr länger. In seinen geheimen Labs arbeitet der Konzern außerdem bereits an weiteren Produkten wie einem selbstfahrenden Auto oder Heißluft-Ballons, über die auch entlegene Gegenden mit Internet-Zugängen versorgt werden sollen.
Weitere Holdingunternehmen sind:
- Googles Forschungslabor X-Lab unter Sergey Brin
- Heimautomatisierer Nest unter Tony Fadell
- der Internet-Provider Google Fiber
- der auf die Infrastruktur moderner Städte fokussierte Spezialist Sidewalk
- das vom früheren Genentech-Chef Arthur Levinson geführte Biotechunternehmen Calico
- sowie die Wagnisfinanzierer Google Ventures und Google Capital. Die von Susan Wojcicki geführte Videoplattform Youtube soll - so zumindest die derzeitige Planung - bei Google verbleiben.
Merkwürdigerweise blieb Eric Schmidt, Chairman von Google, in Pages Blogeintrag unerwähnt. Die neue Struktur ähnelt US-Investor Warren Buffetts Imperium Berkshire Hathaway, unter dessen Dach verschiedenste Unternehmen angesiedelt sind, die autonom gesteuert werden. Dessen Zusammenspiel wird von Page bewundert.
Googles Kerngeschäftsfelder
Geschäftsfeld: Online-Anzeigenvermarktung
Marktanteil: 47 Prozent
Geschäftsfeld: Cloud Software
Geschäftsfeld: Internet-Browser
Marktanteil: 43 Prozent
Geschäftsfeld: Online-Bezahlsystem
Geschäftsfeld: Mobil-Betriebssystem/App-Store
Marktanteil: 81 Prozent
Geschäftsfeld: Online-Kartendienst, Navigation
Geschäftsfeld: Internet-Videos
Marktanteil: 82 Prozent
Geschäftsfeld: Internet-Suche
Marktanteil: 69 Prozent
Geschäftsfeld: Web-Mail-Dienst
Geschäftsfeld: Social Network
360 Mio. Nutzer
Kleinere Einheiten liegen gerade im Trend im Silicon Valley. So wie bei Ebay, das gerade seinen boomenden Online-Zahlungsdienst Paypal in die Freiheit entließ. Oder bei Hewlett Packard, das sich gerade in die traditionelle Print-und Personalcomputersparte sowie das zukunftsträchtige Geschäft mit IT-Dienstleistungen und Datenzentren zerlegt.
"Unser Unternehmen ist gut geführt", begründet Page, "aber wir meinen, dass wir es einfacher und noch nachvollziehbarer aufstellen können." Analysten hatten des öfteren kritisiert, dass Googles wachsende Aktivitäten es erschwerten, das eigentliche Kerngeschäft mit der Internet-Suche zu beurteilen. Unter der neuen Struktur soll nun klarer werden, wie sich die wichtigste Beteiligung im Wettbewerb schlägt.
Alphabet soll den Konzern transparenter und flexibler machen. Gleichzeitig verstärkt die neue Struktur den Druck auf die eigenen Mitarbeiter, deren Leistung sich nun besser bewerten lässt. Und es gibt seinen Gründern Möglichkeiten, Talente nicht nur finanziell, sondern auch mit CEO-Posten bei der Stange zu halten.
"Man muss sich ein bißchen unwohl fühlen, um relevant zu bleiben", meint Page. Die neue Struktur schafft vor allem Raum für den 42-Jährigen, gemeinsam mit Mitgründer Brin die Zukunft von Google besser zu planen.
Das gilt auch für Zukäufe oder Gemeinschaftsunternehmen mit Partnern, die mittels einer Holding besser und schneller in die Konzernstruktur eingebracht werden können. Beispielsweise die selbstfahrenden Autos, die Google zwar massentauglich machte, bei denen aber unklar bleibt, wie sein Mäzen von ihnen profitieren will.
Unwohlsein für mehr Relevanz
Ein unabhängig operierender Fahrzeughersteller unter dem Dach einer Holding, möglichweise als Gemeinschaftsunternehmen mit einem Autohersteller wie Tesla, wäre denkbar. Auch der so oft spekulierte Zukauf des Kurznachrichtendienstes Twitter ließe sich über eine Holding besser organisieren, ohne dass Kerngeschäft mit der Suchmaschine aus dem Tritt zu bringen.
Vor allem aber kriegen die beiden Gründer so die Köpfe frei, um ihre Schöpfung für die Zukunft besser abzusichern. Über Mehrfachstimmrechte kontrollieren sie gemeinsam mit Schmidt weiterhin unangefochten den Konzern.
Insgesamt geht es Google finanziell glänzend. Im vergangenen Jahr erzielte das Unternehmen bei knapp 70 Milliarden Dollar Umsatz 14,4 Milliarden Dollar Gewinn. Doch Googles Bestseller ist weiterhin seine Suchmaschine. Der Profit wird vorwiegend aus suchbasierter Werbung gespeist. Bemühungen gab es viele, sich zu diversifizieren und damit unabhängiger zu machen, allein durch den Zukauf von fast 200 Unternehmen während der vergangenen anderthalb Jahrzehnte. Doch ein ähnlich potenter Bruder oder gar Nachfolger für die Suchmaschine ist nicht in Sicht.
Facebook bestimmt die Dynamik
Ein soziales Netzwerk hätte es sein können. Doch Page und Brin hatten dessen Bedeutung lange unterschätzt. Trotz seines Einflusses und milliardenschwerer Rücklagen konnte Google den Aufstieg von Facebook nicht verhindern.
Obwohl Page soziale Netzwerke zur Priorität erklärte und die Boni seiner Manager daran ausrichtete, blieb das eigene soziale Netzwerk Google Plus ein Exot. Zwar weiß Google durch sein Produktgeflecht von Suche, Email und Apps mittlerweile ähnlich viel über die Interessen seiner Nutzer wie Facebook. Doch Facebook kann diese über seine diversen Apps viel direkter addressieren.
Zwar ist Facebook mit rund 13,5 Milliarden Dollar Jahresumsatz noch weit von Googles Umsatzsphären entfernt. Doch dessen Chef Mark Zuckerberg nimmt Google immer aggressiver Markanteile bei Werbung auf Smartphones und Tablets ab. Dominierte Google hier noch vor zwei Jahren unangefochten, ist sein weltweiter Marktanteil laut dem US-Marktforschungsunternehmen eMarketer auf 35 Prozent abgerutscht, gefolgt von Facebook mit 19 Prozent.
Und während bei Zukäufen von aufstrebenden Unternehmen Google früher der unangefochtene Platzhirsch war - wie bei der Übernahme von Android im Jahr 2005, der Videoplattform Youtube im Jahr 2006 oder des Vermarkters Doubleclick im darauffolgenden Jahr - bestimmt Facebook mittlerweile die Dynamik. Wie bei der 22 Millliarden Dollar teuren Übernahme des Kurznachrichtendienstes WhatsApp.
Der Kauf von Instagram vor drei Jahren für etwa eine Milliarde Dollar gilt als Meisterstück von Zuckerberg. Dessen Kommerzialisierung hat gerade erst begonnen. Analysten schätzen, dass Instagram in diesem Jahr bis zu 600 Millionen Dollar an Werbeumsätzen beisteuern könnte. Beim Virtual Reality Spezialisten Oculus, den Facebook im vergangenen Jahr für zwei Milliarden Dollar übernahm, ist Zuckerberg überzeugt, ein ganz neues großes Geschäftsfeld von virtuellen Begnungen in seinem Netzwerk zu schaffen.
Google hingegen hatte in jüngster Zeit weniger Glück mit seinen Übernahmen. Die größte - der Aufkauf von Handyhersteller Motorola im August 2011 für 12,5 Milliarden Dollar - bescherte zwar wertvolle Patente, doch passte nicht so recht ins Konzernkonstrukt und verärgerte kooperierende Android-Hersteller wie Samsung. Für 2,9 Milliarden Dollar übernahm der chinesische PC-Hersteller Lenovo im vergangenen Herbst das Handygeschäft, in dem es immer schwieriger wird, Gewinne zu erzielen. Umstritten ist auch die Übernahme von Heimautomatisierungsspezialist Nest im Januar 2014 für 3,2 Milliarden Dollar. Nest machte vor allem Schlagzeilen wegen technischer Probleme mit seinen selbstlernenden Raumthermostaten und Rauchmeldern. Nun kann das Google-Gründerpaar wieder stärkere eigene Akzente setzen. Ohne dass jede Übernahme den Konzern aus dem Tritt bringt.