Amazon-Supermärkte Warum es gegen die deutschen Discounter schwer wird

Erst Bücher, dann Computer – Amazon eroberte mit seinem Online-Angebot systematisch den Einzelhandel. Jetzt könnte der Konzern mit Lebensmitteln eine neue und riesige Kategorie besetzen – wohl aber nicht in Deutschland.

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Nur Mitglieder des Amazon-Prime-Klubs sollen die Lebensmittellieferung in den USA nutzen können. Quelle: dpa

New York/Düsseldorf Die Außenwand ist schick mit Holz verkleidet. Davor steht eine Art Tankstellendach, unter dem sich die Kunden in wenigen Wochen Butter, Marmelade oder Zucker mit dem Auto abholen können. Noch nicht zu sehen sind die Kameras in den acht Parkbuchten, über die Amazon die Kennzeichen der Autos einliest, mit denen es die Bestellungen erkennen will. Die Sachen sollen dann Mitarbeitern in den Kofferraum des Kunden laden.

In Ballard, einem Stadtteil von Seattle soll der erste Lebensmittelladen von Amazon entstehen – einen Steinwurf entfernt von der Konzernzentrale. Schon vor Monaten reichte das Online-Kaufhaus bei der Stadt Blaupausen ein, auf denen die Struktur der Lebensmitteläden der Zukunft zu erahnen ist.

Es könnte der erste von vielen sein, denn Amazon reichte in San Francisco ähnliche Blaupausen ein. Das „Wall Street Journal“ berichtet vom „Projekt Como“, nach das Unternehmen einen Ausbau der Lebensmittelläden planen soll. Je nach Standort sollen es Tante Emma Läden, Abholstationen oder eine Mischung aus beiden sein.

Es lockt ein riesiger Markt. Noch kaufen nur wenige Amerikaner im Internet ihre Lebensmittel. Doch laut der Analysten der Bank Morgan Stanley soll sich der Umsatz in den USA in diesem Jahr auf 42 Milliarden Dollar (38 Milliarden Euro) verdoppeln. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es geht schneller, bequemer und Preisvergleiche sind besser anzustellen.

Allerdings tun sich Onlinehändler bei Lebensmitteln bislang schwer. Das belegt auch eine Studie der Unternehmensberatung Bearing Point, die dem Handelsblatt vorab vorliegt. Demnach sind die Verbraucher in keiner Online-Handelskategorie so unzufrieden wie beim Lebensmittel-Handel. Am besten scheiden im Schnitt Elektronik-Händler ab; das beste Einzelergebnis verzeichnet der Mode-Händler Zalando für sich.

Dass gerade Unterhaltungselektronik so gut im Netz funktioniert, hat Gründe: Unterhaltselektronik ist eine Kategorie, die großes Interesse weckt. Kunden wollen aus einem breiten Sortiment auswählen, lesen gerne Nutzerbewertungen und beschäftigen sich mit den Details. Der Kauf erfolgt selten spontan oder aus einem akuten Bedürfnis heraus. Zudem sind die Preise je Produkt relativ hoch. Und die Produkte sind standardisiert.


Viel Verbesserungsbedarf bei deutschen Online-Shops

Wenn sie sparen können, nehmen Kunden bei Computern, Fernsehern oder Smartphones Lieferzeiten von wenigen Tagen in Kauf. Auch fallen die Versandkosten relativ zum Produktpreis kaum ins Gewicht. Sortimentsbreite, umfassende Produktinformation, Rückgaberecht und Preisvorteile sind für die Kunden Vorteile, die die Onlinehändler stärken.

Sie zeigen aber zugleich, woran es bei Lebensmitteln hapert: Viele Grundnahrungsmittel wecken kein hohes Interesse. Große Auswahl schreckt die Kunden eher ab. Zum Einkaufserlebnis gehört jedoch noch immer, Obst und Gemüse anzuschauen. Ein Umtausch bei Nichtgefallen wird nicht nachgefragt. Vor allem aber sind die Logistikkosten bei Produkten mit hohem Gewicht, Kühlbedürftigkeit und geringem Einzelpreis hoch. Daher ist es bislang für Händler im Internet schwierig, in Deutschland Kunden zu gewinnen.

Dazu kommen aktuelle Schwächen der Online-Shops der deutschen Anbieter: „Besonders die Lebensmittelbranche hat noch viel Raum für Verbesserungen bezüglich Produktrücksendungen und Reklamationsservice“, meinen die Bearing-Point-Experten. Auch die Produktansicht überzeugt noch nicht: „Bei den Lebensmittel-Online-Shops wird oftmals nicht so viel Wert auf die Produktdarstellung gelegt. Meistens gibt es nur ein Bild pro Produkt und auch Zoomfunktion oder interaktive Bilder durch Mouseover sind eine Seltenheit.“

Bei Amazon sollen künftig Kunden die Lebensmittel im Internet bestellen, ein Zeitfenster von 15 Minuten bis zwei Stunden aussuchen und die Sachen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause abholen. Zusätzlich soll das Unternehmen den Lieferservice Fresh anbieten, der die Lebensmittel in die Wohnung bringt. Diesen Service gibt es seit dem Jahr 2010 in Seattle sowie seit 2013 in sieben weiteren US-Städten und in London. Fresh – und in Zukunft auch die Läden – sollen aber nur Kunden nutzen können, die für 99 Dollar im Jahr Mitglied im Amazon-Prime-Klub sind. Sie müssen dafür 15 Dollar im Monat zusätzlich zahlen.

Das aktuelle Konzept von Amazon scheint speziell auf den US-Markt zugeschnitten zu sein. Damit ist nicht sicher, ob es jemals nach Deutschland kommt. Nicht alles überträgt der Konzern eins zu eins auf den deutschen Markt – und wenn, dann meist mit Verspätung. So ließ etwa der E-Book-Reader Kindle Jahre auf sich warten. Und auch der gerade in Deutschland eingeführte intelligente Lautsprecher Echo ist in den USA längst am Markt. Frappierender als bei diesen Elektrogeräten ist jedoch der Unterschied beim Kerngeschäft, dem E-Commerce.

Es gibt gute Gründe, warum Amazon Services wie die Auslieferung von frischen Lebensmitteln bislang allein in den USA testet: Kaum eine Branche ist noch immer so nach Staaten fragmentiert wie der Einzelhandel – selbst innerhalb Europas. Damit unterscheiden sich die Einkaufskulturen und Marktstrukturen deutlich. Für den Lebensmittelkauf im Internet gibt es in Deutschland eine Hürde: die Discounter. Aldi, Lidl und andere haben ein so dichtes Netz über Deutschland gelegt, dass die Kunden kurze Anfahrtwege haben und in übersichtlichen Sortimenten schnell und günstig einkaufen können. Das begrenzt mögliche Vorteile des Online-Einkaufs weiter – zumal wenn Lieferkosten anfallen und die Kunden zu bestimmten Zeiten zu Hause sein müssen.


Dichtes Discounternetz behindert Onlinehändler

In den USA hingegen dominiert außerhalb der Metropolen Wal-Mart mit einem Konzept, das auf Größe aufbaut. Längere Anfahrtswege zu Hyper-Märkten machen den Einkauf zu einer langwierigeren Sache. Das spiegelt sich in der Einkaufskultur wider: Die Amerikaner kaufen laut Marktforschung im Schnitt nur etwas mehr als einmal in der Woche Lebensmittel ein – dann in entsprechend größeren Mengen. Dieser Wocheneinkauf lässt sich leichter ins Netz übertragen: Bei einem Großeinkauf fällt eine Liefergebühr weniger ins Gewicht. Zudem ist die Arbeitserleichterung größer. Entsprechend plant Wal-Mart, in vielen seiner Märkte in Kürze Click & Collect anzubieten – also das Zusammenstellen von Warenkörben im Internet und die Abholung der gepackten Tüten im Supermarkt.

Die deutschen Händler tasten sich über das Prinzip Versuch und Irrtum an die Wünsche der Kunden heran. Alain Caparros, Rewe-Chef mit französischen Wurzeln, musste etwa erkennen, dass deutsche Kunden sich von Franzosen deutlich unterscheiden. Während im westlichen Nachbarland Click & Collect gut ankommt, wollen die deutschen Kunden für diesen Service nicht zahlen. Rewe bietet inzwischen stattdessen einen Lieferservice aus seinen Filialen an. Immerhin: In der Bearing-Point-Studie schneidet Rewe unter den deutschen Lebensmittelhändlern damit am besten ab.

Ein Projekt, mit dem die beiden Gründer Sebastian Diehl und Benjamin Brüser in den vergangenen Jahren über die deutschen Online-Kongresse getourt sind, ist nach der Übernahme durch den Metro-Konzern nicht wiederzuerkennen: Emmas Enkel. Gestartet mit einem Laden in Düsseldorf wollten die beiden Gründer – ähnlich wie bei den jetzt bekannt gewordenen Amazon-Läden – Nachbarschaftsläden für den täglichen Bedarf aufbauen, die zugleich ein breiteres Sortiment ausliefern. Metro fährt das jetzt auf einen reinen Lieferdienst herunter – so wie es etwa die Tengelmann-Tochter Bringmeister oder Rewe mit mäßiger Resonanz bereits anbieten. Auch Kaufland startet gerade in Berlin mit einem ähnlichen Service. 

Alle drückt ein Problem, das Amazon mit seinem Mischkonzept aus Nachbarschaftsladen für Frischprodukte und Lieferdienst für sonstige Lebensmittel umschiffen will: Die Lieferung von Frischeprodukten, insbesondere von Gekühltem, ist auf den letzten Metern zum Kunden ziemlich teuer. Das macht Lebensmittel aus dem Netz unattraktiv. Wenn die Kunden also sowieso in den Laden kommen, werden sie dort meist auch die anderen Lebensmittel kaufen wollen.

Zumal der Supermarkt für die Betreiber einen weiteren Vorteil bietet: Fast alle Kunden lassen sich zu Impulskäufen verleiten. Der Warenkorb enthält an der Kasse nicht nur die Dinge, die auf dem Einkaufszettel standen. Im Netz lassen sich die Kunden dazu womöglich seltener verleiten und kaufen rationaler ein. Das würde die Umsätze der Händler schrumpfen lassen, so die Befürchtung in vielen Konzernzentralen.

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