Apple-Chef Tim Cook ist sich seiner Sache sicher. Als er am Donnerstagnachmittag im Silicon Valley besser als erwartete Zahlen für das am 30. September beendete Quartal präsentierte, gingen im fernen Australien die ersten iPhone X über die Ladentische, machten Bilder und Videos von Menschentrauben vor den Apple-Verkaufstempeln die Runde.
Ganz so wie von Marketingchef Phil Schiller geplant. Denn Vorbesteller müssen momentan bis zu fünf Wochen auf Apples allerneustes iPhone warten. Der Laufkundschaft hatte Apple jedoch versprochen, gleich zum weltweiten Verkaufsstart am Freitag eins mitnehmen zu können, zumindest für jene, die “frühzeitig erscheinen.”
Für das Weihnachtsquartal rechnet Cook nun mit 84 bis 87 Milliarden Dollar Umsatz – ein neuer Rekord in der Firmengeschichte. Noch niemals hatte Apple gleich drei neue iPhone gleichzeitig im Programm – das iPhone 8 und iPhone 8 Plus werden seit sechs Wochen ebenfalls offeriert.
Und es sieht so aus, als ob sich der Umsatzreigen trotz Einstiegspreisen von mehr als tausend Dollar für das Spitzenmodell bis weit ins nächste Quartal zieht. Am Donnerstag stieg nach Börsenschluss die Apple-Aktie wegen der Zuversicht um mehr als drei Prozent auf ein neues Rekordhoch.
iPhone X soll Apple ins nächste Jahrzehnt führen
Das iPhone X ist Apples größte Wette, seit Gründer Steve Jobs vor zehn Jahren stolz das erste Smartphone des Konzerns präsentierte und damit nicht nur die Mobilfunk -, sondern auch Computer- und Internetbranche umwälzte und den Handy-Marktführer Nokia, den Stolz Europas, in den Bankrott beförderte.
Die iPhone-Evolution
Das erste iPhone im Jahr 2007 hat den Vormarsch der Smartphones angestoßen und nicht nur die Mobilfunk-Industrie umgekrempelt. Ein Überblick über die Entwicklung der Geräte von Modell zu Modell:
Für das Jahr 2007 waren der große Touchscreen ganz ohne Tastatur und die Bedienung per Finger ein radikales Konzept, das die Smartphone-Revolution entscheidend anschob. Dabei verzichtete Apple bei der ersten Version sogar auf den schnellen UMTS-Datenfunk. (Quelle: dpa)
Ein iPhone 2 gab es nie – stattdessen kam im Sommer 2008 das iPhone 3G, was auf die Unterstützung des 3G-Standards UMTS hinwies. Das Aluminium-Gehäuse wurde durch eine Plastik-Schale ersetzt. Mit dem App Store öffnete Apple die Plattform für Programme verschiedener Entwickler.
Mit dem Modell des Jahres 2009 führte Apple sein „Tick-Tock“-Prinzip ein, bei dem die iPhones alle zwei Jahre radikal erneuert werden und es zwischendurch ein „S“-Modell im unveränderten Design, aber mit aufgerüstetem Innenleben gibt. Das 3GS bekam eine bessere Kamera und einen schnelleren Chip.
Das letzte Modell, das Gründer Steve Jobs noch selbst vorstellte. Das kantige Design des iPhone 4 mit einer gläsernen Rückwand war 2010 aufsehenerregend, zugleich häuften sich zunächst Berichte über Empfangsprobleme mit der Antenne am Außenrand.
Apple ließ sich 15 Monate Zeit bis Oktober 2011 mit einer Aktualisierung. Zu den Neuerungen gehörte neben technischen Verbesserungen die Sprachassistentin Siri.
Während die Smartphones der Wettbewerber immer größer wurden, erweiterte Apple 2012 zunächst vorsichtig die Bildschirm-Diagonale von 3,5 auf 4 Zoll. Zugleich wurde das Gerät deutlich dünner gemacht und bekam wieder eine Aluminium-Hülle.
Die wichtigste Neuerung im Herbst 2013 war der Fingerabdruck-Sensor zum Entsperren der Telefone. Zudem entwickelte Apple unter anderem die Kamera weiter.
Erstmals entschied sich Apple 2014 für zwei neue Modelle mit deutlich größeren Bildschirmen mit Diagonalen von 4,7 und 5,5 Zoll. Der Schritt löste einen Absatzsprung aus, Apple kam monatelang der Nachfrage nicht hinterher. Die Geräte wurden abermals dünner.
Gleiches Gehäuse, bessere Technik – das reichte im Weihnachtsquartal 2015 knapp für den nächsten Absatzrekord von knapp 74,8 Millionen verkauften iPhones.
Zum ersten Mal geht Apple ins dritte Jahr mit einem weitgehend unveränderten äußeren Design. Aber Apple verzichtete unter anderem auf die klassische Ohrhörer-Buchse zugunsten des digitalen „Lightning“-Anschlusses.
Auch 2017 tat sich - zumindest optisch - an der neuen iPhone-version wenig. In Form, Größe und Gewicht ähneln die zwei unterschiedlich großen iPhone 8 (links) und iPhone 8 Plus noch immer den vier Jahre alten iPhone-6-Modellen. Entsprechend zurückhaltend reagierten viele Kunden. Die 8er-Modelle blieben hinter den Verkaufszahlen ihrer Vorgänger zurück. Allerdings hat Apple für das Jahr noch ein Ass im Ärmel ...
Ab dem 3. November 2017 will Apple mit einem radikal erneuerten iPhone einen neuen Standard im Smartphone-Geschäft setzen. Beim iPhone X (steht für 10, nicht den Buchstaben X) füllt der Bildschirm den Großteil der Frontseite aus und der Fingerabdruck-Scanner wurde durch Gesichtserkennung abgelöst. Mit einem Startpreis von um die 1000 Dollar ist es deutlich teurer als bisherige iPhone-Modelle.
Rund 1,2 Milliarden verkaufte iPhones später beharrt Jobs-Nachfolger Tim Cook darauf, dass in dem immerhin eine Dekade alten Bestseller trotz des zunehmend gesättigten Markts für gehobene Smartphones genügend Dynamik steckt, „um Apple in das nächste Jahrzehnt zu führen.“ Als er das Jubiläums iPhone im September im Steve Jobs Theater präsentierte, standen Tränen in den Augen des Konzernchefs. „Ich glaube, Steve wäre stolz gewesen“, sagte Cook mit einem Kloß im Hals. Später sinnierte er, dass „ich seine Präsenz fühlen konnte. Seine DNA ist immer noch die DNA von Apple.“
Perfekte Dramaturgie, voller Einsatz für ein Produkt, das fast zwei Drittel des Apple-Konzernumsatzes trägt. „Es wird einen Super-Zyklus starten“, glaubt Kathy Huberty. Die Analystin der Investmentbank Morgan Stanley meint damit, dass die neue Gestalt des iPhone X – die ganze Stirnseite von einem Display eingenommen, minimalistisch, ganz ohne der bewährten Heimtaste – die Basis für mehrere neue Runden der gewöhnlich im Jahresturnus aufgelegten Apple Smartphones legt. Geht das Kalkül auf, könnte Apple schon Anfang nächsten Jahres als erstes Unternehmen der Welt beim Börsenwert die Hürde von einer Billion Dollar nehmen. Es fehlen nur noch etwa 130 Milliarden Dollar.
Mysteriöser Einflussnehmer
Und es bleibt nicht bei der finanziellen Stärke. Der Konzern ist längst eine feste Größe unter den vier großen Konzernen, die laut US-Technologieexperten und Marketingprofessor Scott Galloway den „Alltag von Milliarden Menschen beeinflussen und zunehmend kontrollieren“ – Facebook, Apple, Google und Amazon. Keiner ist verschwiegener und mysteriöser als Apple, der allen Mitarbeitern strikte Geheimhaltungsklauseln aufdrückt und stets nur das Minimum an Informationen preisgibt.
Wie das iPhone-Imperium Heimlichtuerei zum Geschäftsmodell erhebt und welch diabolische Seiten sich dabei auftun, analysiert die WirtschaftsWoche in ihrer aktuellen Titelgeschichte. Sie zeigt die Widersprüche in den öffentlichen Bekundungen von Apple und seinem tatsächlichen Geschäftsgebaren. Beispielsweise als vermeintlichen Kämpfer zum Schutz der Privatsphäre seiner Kunden und dem gleichzeitigen Kotau vor dem Zensur- und Überwachungswahn der chinesischen Regierung. Aber Apples fantastischer Aufstieg und die parallelen Abstiege von Konkurrenten wie Nokia und Sony beweisen auch, wie schnell sich das Schicksal innerhalb kurzer Zeit drehen kann. Das iPhone X ist kein sicherer Selbstläufer.
Der Markt für hochwertige Smartphones wächst kaum noch. Es geht eigentlich nur noch um Verteilungskämpfe mit Samsung und neuen Herausfordern wie Huawei oder neuerdings Google, das sich Know-how über den Smartphone-Produzenten HTC zugekauft hat. Nach zehn Jahren mit ständigen Verbesserungen an Design und Ausstattung der Smartphones fällt es zudem immer schwerer, sich mit wirklich sinnvollen Neuerungen abzusetzen.
iPhone X beunruhigt Datenschützer
Das grundlegend Neue am iPhone X ist sein dominantes Display, was bei kompakten Abmessungen mehr Platz beim Betrachten von Fotos oder Surfen gestattet. Sowie die Identifikation des Nutzers via Gesichtserkennung über eine Infrarotkamera statt eines Fingerabdruckscanners. Das reicht, um Datenschützer in Sorge zu versetzen. Aber ist es genug, Käufer zu begeistern?
Steve Wozniak jedenfalls nicht. Ausgerechnet den Apple-Mitgründer stört die perfekte Choreographie empfindlich. „Das iPhone X wird das erste iPhone sein, zu dem ich nicht am ersten Tag upgrade“, stänkert der Jobs Weggefährte. Denn er habe gerade erst im September das iPhone 8 gekauft, das für ihn im Grunde „das Gleiche wie das iPhone 7 ist, das wiederum für mich genau wie das iPhone 6 ist.“ Mit anderen Worten: Es langweilt. Großzügig schob „Woz“ – wie der bärige Unternehmer liebevoll von seinen Fans genannt wird – nach, dass seine Frau sich das iPhone X kaufen werden. Aber der Schaden ließ sich nicht mehr beheben. Ausgerechnet Wozniak, der sich bei Wind und Wetter in die Schlange vor den Apple Stores einreihte, immer darauf bedacht, nur nicht besonders behandelt zu werden.
Auch Apple-Topanalyst Toni Sacconaghi schlägt vorsorglich warnende Töne an. Er sorgt sich, dass Kunden, die im Weihnachtsgeschäft leer ausgehen, „zu Modellen von Hauptwettbewerber Samsung greifen“.
Wie schnell sich das iPhone X verkauft und ob seine Käufer dessen saftigen Preis ohne weiteres schlucken, ist derzeit Spekulation. „Die meisten Kunden bezahlen den Preis nicht auf einen Schlag“, wiegelt Cook ab. Er baut darauf, möglichst viele Kunden für einen Leasingvertrag gewinnen, bei dem nach zwölf Monaten ein neues Gerät angeschafft werden kann. iPhone auf Abo, mit garantiert wiederkehrenden Umsätzen, ein Traum für Apple-Aktionäre. Klar ist jedoch, dass Apple auf seinen Bestseller mangels Alternativen so stark angewiesen ist wie Google auf seine Suchmaschine. Denn das Erbgut von Jobs steckt weit tiefer in Apple, als Cook es je eingestehen würde.
Ungewisse Zukunft?
Die einzige neue Produktkategorie, die unter seinem Nachfolger entstand, ist die Apple Watch. Cook, ein Fitness-Fanatiker trägt die Sportversion mit weißem Armband, die er auch unter der Dusche nicht ablegt. Doch bis heute – drei Jahre nach Premiere – hat er noch nicht einmal exakte Absatzzahlen, geschweige denn Umsätze genannt. “Es ist die am besten verkaufte Smartwatch der Welt”, betonte Cook am Donnerstag.
Es wäre auch ein Tropfen auf den heißen Stein, verglichen mit den 135 Milliarden Dollar, die Apple im Geschäftsjahr 2016 allein mit dem Verkauf von iPhones erzielte. Schwerer wiegt, dass auch die Keimzelle von Apple – die Macintosh Computer – an Reiz eingebüßt haben. Das MacBook Pro mit dem Touch-Display gilt als Flop.
Die mit dem Internet vernetzten Lautsprecher, die mittels Digitaler Agenten ins Wohnzimmer lauschen und auf Sprechbefehl Nachrichten vorlesen, das Wetter ansagen oder die Heimbeleuchtung steuern, hat Apple schlicht verpennt. Es war der Handelsgigant Amazon, der die neue Produktkategorie über seine Echo-Lautsprecher in den Markt einführte und so überraschend die Scharte auswetzte, im Gegensatz zu Apple und Google über kein eigenes Smartphone zu verfügen. Google zog rasch nach. Apple hingegen pflegte sein Credo, Dinge erstmal anzukündigen und später zu liefern. Seine Antwort – der HomePod – kommt erst im Dezember. Eine typische Apple-Taktik, um mit einer Vorankündigung den Absatz der Wettbewerber zu lähmen.
Auch die Zukunft des Projekts Titan, bei dem Apple angeblich seit vier Jahren am selbstfahrenden Auto der Zukunft bastelt, steht in den Sternen. Viele der geheuerten Experten sind aus Frust über die ungewisse Zukunft wieder abgewandert, arbeiten für Tesla und Uber oder sind schlicht zu Volkswagen, Daimler oder Ford zurückgekehrt.
"Apple war nie ein Pionier"
Vor allem ist noch immer unklar, was dem iPhone folgen wird. „Erweiterte Realität hat großes Potenzial“, schwärmt Cook und meint damit das Beamen von Informationen ins Blickfeld. “Sie wird für immer die Art und Weise verändern wie wir Technologienutzen.” Aber er gesteht auch ein, dass Erweiterte Realität noch nicht reif für den Massenmarkt ist. Genau das ist allerdings das größte Problem für Apple, ein Fehler in seinem Erbgut. Apple werde missverstanden, sagt Paul Saffo, der an der Stanford und der Singularity Universität Zukunftsforschung lehrt. „Apple war nie ein Pionier bei neuen Technologien, sie haben immer die Errungenschaften von anderen genutzt, dafür aber meisterlich die Massen begeistert“, sagt Saffo. Doch nun ist es schwieriger geworden, einfach geheimniskrämerisch zu warten und dann einen Trend für sich zu vereinnahmen.
Apples Gebaren wirft die Frage auf, ob der Konzern sich egoistisch verhält, indem er auf die Risikobereitschaft von anderen setzt. Google hat Milliarden von Dollar in das Entwickeln von selbstfahrenden Autos gesteckt, trieb über den deutschen Stanford Professor Sebastian Thrun den Trend beharrlich voran. Noch immer ist unklar, ob Google davon jemals profitieren wird. Aber seine Beharrlichkeit und Risikofreude hat nicht nur die Autobranche neu befeuert, sondern auch Investitionen in Künstliche Intelligenz angefacht. Ähnlich Facebook, dessen Schöpfer Mark Zuckerberg fest entschlossen, virtuelle und erweiterte Realität durchzusetzen und in die junge Branche fleißig investiert.
Gut möglich, dass Apple bei Erweiterter Realität diesmal mehr vorlegt. An den finanziellen Mitteln mangelt es jedenfalls nicht. Apple ist nicht nur der wertvollste, sondern zugleich der reichste Konzern der Erde. Nach Abzug der Schulden hat das Unternehmen mindestens 130 Milliarden Dollar auf der hohen Kante und kann sich so neue Märkte hinzukaufen. Was wahrscheinlich ist und wie das die Gefahr erhöht, dass Apple dann doch auf Kosten seiner Kunden seine Datenschätze stärker ausbeutet, lesen Sie in der aktuellen WirtschaftsWoche 46.