Autonomes Fahren Intel startet die Aufholjagd

Ob Google, Nvidia oder Microsoft: Fast alle Tech-Giganten arbeiten an selbstfahrenden Autos. Der Chipriese Intel hängt bei diesem Rennen hinterher – aber drängt nun mit Hilfe eines Zukaufs in das Billionengeschäft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Autobauer will noch in diesem Jahr selbstfahrende Autos auf Basis von Intel- und Mobileye-Technologie in der Münchner Innenstadt testen. Quelle: BMW

San Francisco Jetzt soll alles sehr schnell gehen: Am Dienstag erst besiegelte Intel die Übernahme der israelischen High-Tech-Kamerafirma Mobileye für 15,3 Milliarden Dollar. Am Mittwoch dann legte der US-Chipkonzern seinen Masterplan für die autonome Zukunft vor. Geplant ist der Testbetrieb von hundert selbstfahrenden Fahrzeugen in den USA, Israel und Europa.

Die Ausrüstung der Wagen soll dem sogenannten Standard 4 entsprechen. Das ist fast die Königsklasse – die Technik soll das Fahren weitestgehend ohne menschliche Hilfe ermöglichen. Das Level 5, Autos ganz ohne menschlichen Fahrer, existieren noch nicht. Es fehlen genügend Test- und Erfahrungswerte sowie die gesetzlichen Grundlagen.

Die Augen der Autos kommen so endlich mit dem Gehirn zusammen: Intel kombiniert Kameras und Objekterkennungssoftware der neuen Tochter Mobileye mit den eigenen Sensoren und Chips, verkündet der nach Samsung zweitgrößte Chiphersteller der Welt. Hinzu kommt noch Netzwerktechnik von Ericsson und Navigation von Here.

Ziel ist eine Technologie-Plattform, die von den Kunden, Autoherstellern und Zulieferern individuell angepasst werden kann. Intel wird laut Mobileye-Mitgründer Amnon Shashua Autos „verschiedener Hersteller und Marken“ umrüsten, um zu zeigen, wie „die Lösung an verschiedene Kundenwünsche angepasst werden kann“. Weltweite Testfahrten seien zudem wichtig, etwa weil jede Region eigene Straßenverhältnisse oder Beschilderungen hat. Google hat seine Fahrzeuge bislang nur in Kalifornien getestet. Auch Aufsichtsbehörden weltweit sollen angesprochen werden.

Für Intel ist es eine Aufholjagd. Chip-Konkurrent Nvidia, nicht Intel, ist derzeit die heißeste Chip-Aktie im Silicon Valley. Nvidia-Chips treiben Supercomputer an, schürfen im Tag- und Nacht-Betrieb Bitcoins, betreiben Cloud-Rechenzentren und stecken in selbstfahrenden Test-Fahrzeugen, zum Beispiel von Audi. Es geht um viel Geld: Eine „Passenger Economy“ wird die heutige „Autoindustrie“ ablösen, ist Intel sicher und spricht in einer Studie von einem Sieben-Billionen-Dollar-Markt.

Bereits im Mai feierte Intel die Eröffnung seines Forschungsbereichs für autonome Fahrtechnologie im kalifornischen San Jose. In einer großen Garage standen umgebaute Ford-Modelle und ein eingeflogener Testwagen aus München. Die deutsche Umweltplakette klebte noch an der Windschutzscheibe, aber die Kennzeichen waren schon kalifornisch. BMW will noch in diesem Jahr selbstfahrende Autos auf Basis von Intel- und Mobileye-Technologie in der Münchner Innenstadt testen.

An anderer Stelle präsentierte Here, der Navigationsspezialist im Besitz mehrerer deutscher Autokonzerne, Hochpräzisionskarten für den autonomen Fahrbetrieb, die auch auf engen Innenstadtstraßen die Position genau anzeigen. Ein anderer Bereich, HMI getauft, beschäftigte sich nur mit der Kommunikation des Autos mit seinen Insassen. Vertrauensbildende Maßnahmen sind notwendig, damit sich Menschen überhaupt den Roboterautos anvertrauen. Wie teilt das Auto seinen Passagieren mit, wenn Komponenten ausfallen oder was nach einem Unfall geschieht? Alles offene Fragen.


Selbstfahrende Autos liefern enorme Datenmengen

Intel hat Grund zur Eile. Längst ist es nicht mehr nur die Google-Holding Alphabet mit ihrer Tochter Waymo, die an autonomen Fahrzeugen arbeitet. Tesla besitzt bereits einen Autopiloten, der kurz vor der Serienreife steht. Uber arbeitet ebenfalls an selbstfahrenden Autos. General Motors schickt seine Mitarbeiter in San Francisco mit Autos des erst kürzlich erworbenen Start-ups Cruise durch die Stadt. Der chinesische Onlineriese Baidu hat eine Software- sowie eine Sensor-Plattform in Arbeit, bei der unter anderem Ford, Bosch und Microsoft involviert sind. Für Microsoft ist es der zweite Versuch, im Automarkt Fuß zu fassen, nachdem der erste, zusammen mit Ford, vor drei Jahren aufgegeben wurde.

Was Microsoft so wie Intel an diesem Markt besonders interessiert, ist nur zum Teil das Fahrzeug selbst. Denn selbstfahrende Autos produzieren mit ihren Sensoren gigantische Datenmengen, die gespeichert, verarbeitet und analysiert werden müssen. Künstliche Intelligenz lernt von den Datensätzen und gibt Erkenntnisse an die Fahrzeuge zurück, die dadurch schlauer werden. Die Autoindustrie wird sich in einem noch nie da gewesenen Ausmaß mit Netzwerk-, Speicher- und Cloud-Infrastruktur sowie Maschinen-Lernen auseinandersetzen müssen. Intel will dabei der Partner der Wahl sein.

„Der wichtigste Faktor beim autonomen Fahren sind Daten“, sagt Doug Davis, Leiter der neugeschaffenen Automated Driving Group bei Intel. Er sieht die Chance, erneut einen Markt zu generieren - wie es Intel schon einmal mit PCs und Servern getan hat. Die ersten, ausschließlich für autonomes Fahren ausgerichteten Datencenter seien bereits gebaut, erklärte Davis in seiner Keynote bei einem Selbstfahrer-Workshop im Mai. In diese Datencenter wandern auch die Daten aus den neuen Testwagen.

Zu diesem Zweck beteiligt sich Intel auch an einem Konsortium des Autobauers Toyota, das für ein einheitliches Ökosystem bei vernetzten Autos sorgen soll. Ebenfalls beteiligt sind der Telekomausrüster Ericsson, der Autozulieferer Denso und die Telekomfirma NRR Docomo, wie die Unternehmen am Donnerstag verkündeten.

Intel hat 2016 rund 60 Milliarden Dollar umgesetzt, aber der Großteil davon kommt noch aus der PC-Sparte. Im zweiten Quartal 2017 lieferte die Client-Computing Group, also die PC-Chips, 8,2 von 14,8 Milliarden Dollar Umsatz. Die Datencenter-Sparte ist schon Nummer zwei mit 4,4 Milliarden Dollar Umsatz. Sie liefert Prozessoren und Chips für Datencenter, baut und betreibt Datencenter. Dazu kommt künftig die Automated Driving Group.

Die Chance für den großen Sprung nach vorne hat sich dabei eher zufällig ergeben. Tesla und Mobileye beendeten ihre Zusammenarbeit im Streit, nachdem ein Teslafahrer bei einem schweren Unfall zu Tode kam. Dabei war der Autopilot eingeschaltet. Die Unternehmen wiesen sich gegenseitig die Schuld für den Vorfall zu. Das gab Intel die Chance, den großen Geldbeutel aufzumachen und Mobileye zu kaufen. Das Gehirn bekam Augen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%