Berlinale Das goldene Zeitalter des globalen Fernsehens

Auf der Berlinale wird über die neue internationale TV-Landschaft diskutiert, die auch deshalb floriert, weil Staaten und Regionen versuchen, einander bei der Gewährung von Fördergeldern auszustechen. Bisher profitiert davon vor allem Hollywood. Die Europäer brauchen starke Partner, wollen sie nicht abgehängt werden.

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Die Branche trifft sich in Berlin. Quelle: Reuters

Berlin Wenn einer wie Christopher Dodd zur Berlinale fährt dann nicht nur, um sich die neuesten Filme anzuschauen. Der ehemalige Senator aus Connecticut, der 2008 vergeblich versuchte US-Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden, ist heute CEO der mächtigen Motion Picture Association of America (MPAA). Der Lobbyverband vertritt die sechs großen Hollywood-Studios Paramount, Warner Bros, Sony Pictures Entertainment, Walt Disney, Universal und 20th Century Fox. Auf der Berlinale veranstaltet die MPAA zusammen mit zwei renommierten Anwaltskanzleien zwei Podiumsdiskussionen.

An diesem Abend steht Dodd in einem für die sehr gut besuchte Veranstaltung eigentlich viel zu kleinen Raum der Kanzlei Morrison Foerster im 13. Stock des Kollhoff Towers am Potsdamer Platz. Er spricht über internationale TV-Serien, die „ein immer wichtigerer Teil des audiovisuellen Marktes“ geworden seien. Deshalb gehören sie seit dem vergangenen Jahr ebenso zur Berlinale wie klassische Kinofilme. Der 71-Jährige schwärmt vom „goldenen Zeitalter des globalen Fernsehens“.

Global heißt seit ein paar Jahren aber nicht nur, dass Hollywood-Studios in den USA TV-Serien abdrehen, die anschließend weltweit verkauft werden. Die großen Studios produzieren – neuerdings zumeist in Kinoqualität – immer lieber im Ausland mit dort ansässigen Co-Produzenten, einem internationalen Staraufgebot und unter Inanspruchnahme der örtlichen Fördermöglichkeiten. Dodd nennt als Beispiel die Kultserie „Game of Thrones“ die mit internationaler Besetzung in Nordirland, Spanien, Island, Malta und Kroatien produziert wurde. Davon hätten diese Länder sehr profitiert. „Film und Fernsehen sind eine Jobmaschine“, sagt der Ex-Senator. „Jeder hier ausgegebene Euro ist ein gut ausgegebener Euro.“

Natürlich muss der Cheflobbyist solche Sätze von sich geben. Aber auf dem Podium rennt er damit offene Türen ein. „Für jeden Euro, mit dem Film- und Fernsehproduktionen gefördert werden, fließen sechs Euro zurück“, sagt etwa Kirsten Niehuus, Chefin des Medienboards Berlin-Brandenburg, das die regionale Filmförderung in der Hauptstadt organisiert. Die von ihr genannte Kalkulation gilt als seriös, da die personal- und finanzintensiven Film- und TV-Produktionen tatsächlich viel Geld an den jeweiligen Drehorten lassen. Doch Niehuus hat noch eine Zahl in petto. Bei den Dreharbeiten zur Serie „Homeland“ in Berlin habe sich dieser Effekt sogar „verdoppelt“. Ein Euro Fördergeld habe er Wirtschaft der Hauptstadt zwölf Euro gebracht.

Einen solchen Effekt erhofft sie sich auch von der Produktion der Agenten-Serie „Berlin Station“, die gerade in der Spree-Metropole angelaufen ist. David Goldman von Paramount TV, das den Mehrteiler verantwortet, betont ebenfalls wie wichtig Fördergelder seien. Aber abgesehen davon, könne eine Serie, die in Berlin spiele und den Namen der Stadt im Titel trage auch nur in Berlin produziert werden.

Tatsächlich kommen die US-Studios nicht nur wegen der Filmförderung nach Deutschland. Anderswo, etwa in Tschechien, sind die finanziellen Konditionen weitaus günstiger als hierzulande. Es herrscht ein weltweiter Wettbewerb um große Film- und Fernsehproduktionen. Staaten und Regionen versuchen sich gegenseitig mit immer höheren Fördersummen auszustechen. Als besonders attraktiv gilt etwa das italienische Modell, das ausländischen Produzenten einen Steuernachlass von 25 Prozent gewährt. Südtirol, das zusätzlich noch mit hohen regionalen Fördergeldern lockt, wurde so zu einem beliebten Drehort.

Die Europäer wollen aber nicht nur Hollywood-Studios anlocken. Sie haben auch eine eigene Film- und Fernsehindustrie, die durch die neuen amerikanischen Serien in Kinoqualität Probleme bekommen könnte. Laut Klaus Goldhammer, Chef des Marktforschungsinstituts Goldmedia, haben Deutsche, die jünger sind als 50 Jahre, immer weniger Interesse an deutschen und europäischen Serien. Sie schauen lieber aufwändige und teure US-Produktionen wie „Breaking Bad“, „House of Cards“ oder „Narcos“.

Europäische Produzenten können nur mit potenten Partnern dagegenhalten. Im Fall der italienischen Produktionsgesellschaft Cattleya ist das Sky Italia. In deren Auftrag produzierte die Firma die Serie „Gomorrha“ nach dem gleichnamigen Bestseller von Roberto Saviano, der bereits Vorlage für einen erfolgreichen Spielfilm war. Marco Chimenz, Chef von Cattleya, schwärmt vom „Sky-Touch“, den seine Produktionen für den neuen Partner hätten.

Das hört auch der Filmchef von Sky Deutschland Marcus Ammon gerne. Er stemmt derzeit eine Produktion, die größer ist als alles, was der deutsche Sky-Ableger jemals im fiktionalen Bereich unternommen hat: Die 16-teilige Serie „Babylon Berlin“, die zu Zeiten der Weimarer Republik spielt und bei der Tom Tykwer („Lola rennt“) Regie führt, ist mit 40 Millionen Euro teurer als jedes vergleichbare Format im deutschen Fernsehen. Im April wird Drehstart sein. Um dieses Projekt zu stemmen, musste sich Sky mit der öffentlich-rechtlichen ARD zusammentun. Offenbar können die Europäer nur dann US-Serien in Kinoqualität Paroli bieten, wenn sie neue, bisher nicht für möglich gehaltene Bündnisse eingehen.

Derweil überlegt man auf der anderen Seite des Atlantiks bereits, was kommen könnte, wenn sich der Hype um internationale TV-Serien abgeschwächt hat. „Wer weiß“, orakelt Dodd, vielleicht ist das nächste große Ding Virtual Reality.“

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