Bill McDermott "Daten gehören den Kunden – auch in China"

Der SAP-Vorstandschef Bill McDermott hat auch im achten Jahr an der Spitze des Softwarekonzerns große Pläne. Ein Gespräch über Wachstumsambitionen, deutsche Digitalpolitik – und warum er mehr verdient als jeder andere Dax-CEO.

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SAP-Chef Bill McDermott. Quelle: Bloomberg

WirtschaftsWoche: Mr. McDermott, seit Ihrem Amtsantritt 2010 hat sich der Börsenwert von SAP auf 100 Milliarden Euro verzweieinhalbfacht. Kein deutscher Konzern ist wertvoller. Kürzlich sagten Sie, dass auch 300 Milliarden drin seien. Sind Sie ein Träumer?

Bill McDermott: Ein Unternehmenslenker kann doch nicht tiefstapeln. Meine Aufgabe ist es, die 86.000 Frauen und Männer bei SAP zu motivieren, die ihrerseits Träume haben. Sie erwarten, dass ich als Vorstandschef ambitionierte Ziele setze. Und wenn Sie die Wachstumsraten von SAP betrachten, gibt es keinen Grund, warum wir das Ziel einer Marktkapitalisierung von 300 Milliarden Euro nicht erreichen sollten.

Wann wird es so weit sein?
Wir haben bewusst kein Datum genannt, aber wir sind uns sicher, das Ziel erreichen zu können. Und die Zahlen für Umsatz und Gewinn und die Prognosen bis 2020, die wir bereits öffentlich verkündet haben, zeigen, dass wir nicht mehr weit davon entfernt sein dürften.

Zur Person

Der Aktienkurs soll sich also innerhalb von drei Jahren nochmals verdreifachen. Das ist ein sehr ambitionierter Zeitplan.
Die Kapitalmärkte entscheiden letztlich über den Wert einer Aktie, darauf haben wir nur begrenzt Einfluss, und daher kann ich auch keinen genauen Zeitpunkt angeben. Für uns ist es vor allem wichtig, dass wir bis 2020 unsere Unternehmensziele erreichen. Wir wollen den Umsatz von heute 18 Milliarden auf 28 bis 29 Milliarden Euro und den operativen Gewinn von zuletzt 6,6 Milliarden auf 8,5 bis 9 Milliarden Euro steigern. Wenn wir hier liefern – und das werden wir –, wird unsere Marktkapitalisierung entsprechend nachziehen.

Trotz Optimismus und Aktienhoch haben sich einige Aktionäre auf der Hauptversammlung neulich über Ihr Gehalt beschwert. Sie haben zuletzt 14 Millionen Euro und damit mehr als jeder andere Dax-Chef verdient. Sind Sie wirklich so viel wert?
Das ist eine kulturell geprägte Debatte. In Deutschland gelten bei der Entlohnung andere Benimmregeln als etwa in den USA. Der Großteil der Bezahlung des gesamten SAP-Vorstands ist eng an das Erreichen unserer Unternehmensziele und an den Aktienkurs gekoppelt. Wenn der Kurs nicht steigt, verdienen wir weniger. Das ist ein transparentes System und geht für mich in Ordnung.

Würden Sie auch für weniger arbeiten?
Verglichen mit dem, was amerikanische Vorstände in unserer Branche verdienen, ist mein Gehalt immer noch signifikant niedriger. SAP kann sich einfach auch keine überproportional unattraktiven Gehälter leisten. Denn dann könnten wir nicht die Talente anheuern und halten, die wir brauchen.

Kursentwicklung der SAP-Aktie seit Amtsantritt von Bill McDermott.

Das Argument bringen deutsche Vorstände immer, um ihre hohen Einkommen zu rechtfertigen. Warum sind Sie bei SAP, wenn Sie anderswo mehr verdienen könnten?
Weil ich SAP als meine Familie betrachte. Ich arbeite hier seit nunmehr 15 Jahren. Ich habe mich schon geehrt gefühlt, als mich Aufsichtsratschef und Mitgründer Hasso Plattner 2002 persönlich als Chef von SAP Nordamerika angeheuert hat – und noch mehr, als ich erst Co-Vorstandschef und schließlich 2014 alleiniger CEO wurde. Dass ich inzwischen seit mehr als sieben Jahren an der Spitze von SAP stehe, macht mich sehr stolz. Es gibt für mich wichtigere Dinge, als mein Gehalt zu maximieren.

Obwohl bei SAP alles so gut läuft, haben Sie einen Einstellungsstopp bis zum Jahresende verhängt. Warum müssen ausgerechnet Sie sparen?
Wir haben bereits in der ersten Jahreshälfte mehr als 7000 neue Mitarbeiter eingestellt – das waren mehr als geplant. Und wir stellen weiter ein. Aber wir priorisieren stärker und achten darauf, dass wir vor allem in der Entwicklung und im Vertrieb einstellen. Auch ein Unternehmen, bei dem es gut läuft, muss diszipliniert agieren.

Weg von herkömmlicher Software hin zur Cloud

SAP kann also nicht deshalb weniger Leute einstellen, weil der Vorstand zu viel verdient hat?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wie alle Unternehmen unserer Größe hat SAP von Zeit zu Zeit die Tendenz, viele Mitarbeiter für unterstützende Funktionen einzustellen – das ist der einzige Bereich, in dem wir die Einstellungen jetzt zurückgefahren haben. Wir tun das nicht für einen höheren Bonus, sondern, um das Unternehmen fokussiert zu halten.

Eine Ihrer wichtigsten Aufgaben als CEO von SAP war der Umbau weg von herkömmlicher Software hin zu Internetanwendungen aus der Cloud. Ist diese Mission erfüllt?
Nein, sie ist noch nicht beendet, aber wir haben enorme Fortschritte gemacht. Heute können wir die Geschäftsprozesse wirklich jedes Unternehmens komplett in der Cloud abwickeln – angefangen bei der Echtzeit-Datenbank Hana bis hin zur SAP-Unternehmenssoftware. Es liegt nur noch am Wunsch des Kunden, wie schnell und wie umfassend er seine IT in Richtung Cloud verlagern will.

Und wann werden alle SAP-Kunden komplett in die Cloud abgewandert sein?
Über die Geschwindigkeit entscheiden nicht wir. Viele Unternehmen wollen das Rechenzentrum für die Cloud selber betreiben. Und manche Firmen wollen gewisse Teile ihrer IT gar nicht in die Cloud verlagern. Unsere Aufgabe ist es, den Kunden Möglichkeiten zu bieten.

SAP und die wichtigsten Wettbewerber im Überblick.

Deutsche Kunden fürchten um ihre Datenhoheit. Lange Zeit haben sie sich deshalb gegen den Cloud-Trend gesperrt. Haben Sie die inzwischen bekehrt?
Wir stellen auch in Deutschland eine erhöhte Nachfrage nach Cloud-Produkten fest. Parallel beobachten wir ein großes Interesse an Cloud-Rechenzentren, die hierzulande betrieben werden. Von diesem Bedürfnis nach Datensicherheit profitieren wir stärker als jeder andere Anbieter in dem Geschäft. Denn als deutsches Unternehmen vertrauen uns die Kunden. Und wir haben für jeden von ihnen das passende Angebot.

In China müssen Sie neuerdings selbst die Daten deutscher Unternehmen, die dort Geschäfte machen, in Rechenzentren in dem Land halten. So manch ein Großkunde hat Sorge, diese könnten bei der Regierung landen. Können Sie auch in China Datensicherheit garantieren?
Es gibt keinerlei Hintertüren in SAP-Software. Wer unsere Technologie nutzt, kann sicher sein, dass ausschließlich er selbst Zugriff auf die Daten hat. Die Daten gehören nicht uns, sondern unseren Kunden. Dafür stehen wir als SAP. Auch in China.

Das Geschäft mit Daten und Algorithmen wird weltweit immer mehr zum Topthema der Industriepolitik. In Deutschland dreht sich hingegen fast alles um die Autobranche, wie man im Wahlkampf wieder sieht. Fokussieren sich deutsche Politiker noch auf die richtigen Wirtschaftsthemen?
Deutschland hat herausragende Politiker, allen voran Kanzlerin Angela Merkel. Zudem sticht Deutschland im Vergleich mit vielen anderen Ländern dadurch hervor, wie gut und professionell es regiert wird. Da kann man wirklich stolz drauf sein ...

... meinen Sie das im Vergleich zu den USA?
Ich vergleiche Deutschland mit der ganzen Welt. Das Land ist ein signifikanter Spieler in der Weltwirtschaft. Auf die gut laufende Wirtschaft, auf die erfolgreichen Produkte und auf die Exportstärke kann Deutschland stolz sein.

Gilt das auch für die Techbranche? Außer SAP hat Deutschland trotz Techboom keinen weiteren Exportmeister hervorgebracht.
Ich bin kein Politiker. Aber ebenso wie eine gute Führungskraft in der Wirtschaft, sollte man auch in der Politik anerkennen, dass Technologie nicht mehr nur das Geschäft unterstützt, sondern selber ein gigantisches Geschäft geworden ist. Jeder Politiker muss heute die herausragende Bedeutung von Informationstechnologie, Digitalisierung und Industrie 4.0 erkennen, um gewählt zu werden.

Hat Kanzlerin Merkel das?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe sie mehrfach getroffen und mit ihr darüber gesprochen. Sie ist eine exzellente Vordenkerin in Sachen Technologie. Ihr ist sehr bewusst, welche Bedeutung Themen wie Industrie 4.0 und die Digitalisierung haben, um die Produktivität und die globale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern – sowohl für Deutschland als auch für die EU insgesamt.

Dafür benötigt Deutschland eine funktionierende Infrastruktur. Beim Ausbau von Glasfaser, Grundvoraussetzung für Anwendungen der Industrie 4.0, hinkt Deutschland aber allen Industrienationen hinterher. Das muss Sie als SAP-CEO doch beunruhigen?
Ich stimme zu, das ist ein Problem. Es zu lösen erfordert Investitionen und eine gute und rasche Umsetzung – aber letztlich hat jedes Land solche Herausforderungen. Es würde mich jedenfalls wundern, wenn diese Themen nicht ganz oben auf den Listen aller Politiker in Deutschland stünden.

Neue Geschäftsfelder

Sie haben als CEO so viele Milliardenkäufe getätigt wie keiner vor Ihnen bei SAP und so die globale Konsolidierung vorangetrieben. Seit dem letzten großen Zukauf 2014 halten Sie sich aber zurück. Warum?
Jeder dieser Zukäufe hat SAP in einem wichtigen neuen Geschäftsfeld schneller vorangebracht, als wenn wir ein entsprechendes Produkt selber entwickelt hätten. Bestes Beispiel ist etwa SuccessFactors fürs Cloud-Computing. Wenn wir wieder eine Gelegenheit bekämen, bei der dies zuträfe, würden wir zugreifen. Es gab aber in der jüngeren Vergangenheit nur wenig wirklich interessante Übernahmeziele für uns.

In welchen solchen neuen Geschäftsfeldern könnten Sie sich Übernahmen vorstellen?
Mit unserer neuen Produktlinie Leonardo drängen wir in neue Technologien wie künstliche Intelligenz, Machine Learning, Quantencomputer und Blockchain ein. Hier gäbe es gewiss viele interessante und passende Übernahmeziele. Aber die Realität ist auch: Das sind meist sehr kleine Firmen mit einer sehr hohen Bewertung. Man würde vor allem Know-how und Kompetenzen erwerben. In den meisten Fällen macht es daher Sinn, uns auf unsere eigenen Stärken zu verlassen. Unsere Strategie lautet: Wir wollen die besten Talente anwerben, um selbst neue Produkte und Services zu entwickeln.

Bei künstlicher Intelligenz und Machine Learning konkurrieren Sie mit Facebook und Google. Wie wollen Sie Talente ausgerechnet zur bald 50 Jahre alten SAP locken, die Software für Geschäftskunden macht?
Das ist eine berechtigte Frage. Aber bedenken Sie: Im Geschäftskunden-Segment sind wir der weltweit größte Anbieter. Praktisch alle angesagten Unternehmen wie Apple oder Facebook steuern ihre Geschäftsprozesse im Hintergrund mit SAP. Die Menschen sind fast immer überrascht, wenn ich ihnen erzähle, dass iTunes – ja, sogar Apple selbst, als wertvollster Konzern der Welt – mithilfe von SAP-Software läuft. Genau dies müssen wir noch stärker herausstellen. Wir tragen dazu bei, dass viele großartige Markenhersteller wie Adidas oder Nike ihre Produkte weltweit vermarkten können. Die jungen Talente werden dies schätzen.

Neue Geschäftsfelder bedeuten auch neue Konkurrenten. Bislang war das immer Erzfeind Oracle. Wen sehen Sie heute als Ihren ärgsten Wettbewerber?
Unser schlimmster Wettbewerber ist die Begrenztheit unserer eigenen Vorstellungskraft. Nehmen Sie ein Produkt wie unser neues Softwarepaket mit integrierter Datenbank Hana: Wir haben damit noch nicht einmal die 20-Prozent-Marke bei unseren Bestandskunden erreicht, für die das Angebot geeignet wäre. Oder unser Geschäftsnetzwerk Ariba: Das verfügt aktuell über drei Millionen Handelspartner, die darüber eine Billion Dollar bewegen. Gleichzeitig ist Ariba eines der am schnellsten wachsenden Cloud-Unternehmen der Welt. All diese Felder verfügen also noch über ein enormes Wachstumspotenzial. Wir stehen erst am Anfang unserer Möglichkeiten.

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Aufsichtsratschef Plattner befürchtete vor gar nicht langer Zeit, SAP könnte zum Übernahmeziel werden. Sogar chinesische Investoren sah er nach SAP gieren. Besteht die Gefahr noch?
Hier gilt ein Motto aus dem Sport: Angriff ist die beste Verteidigung. Ein Unternehmen wie SAP, das erfolgreich ist, steigt im Wert. Es kommen überhaupt nur noch ganz wenige Konzerne infrage, die SAP übernehmen könnten. Hinzu kommt: Aktuell wickelt SAP weltweit 76 Prozent aller Geschäftstransaktionen ab – diese Tatsache ist noch gar nicht richtig in die Bewertung unseres Unternehmens mit eingeflossen.

Vor zwei Jahren hatten Sie einen tragischen Unfall, bei dem Sie ein Auge verloren haben. Was motiviert Sie noch, jeden Tag ins Büro zu gehen, statt irgendwo am Strand zu entspannen?
Ich habe mein ganzes Leben lang hart gearbeitet – und ich konnte mit unbehaglichen Situationen immer gut umgehen. Das hat mich auch vor SAP schon angetrieben. Umgekehrt ist mir oft unwohl, wenn es mir zu gut geht. Das hat mich vor Selbstzufriedenheit bewahrt, privat wie beruflich. Ich mag Veränderungen, ich mag Träume – und ich bin gerne Teil davon, etwas zu erschaffen, das es bisher so noch nicht gab.

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