Börsengang Wieso die Spotify-Aktie zu teuer ist

Spotify Quelle: AP

Der Musikstreamingdienst ist seit gestern an der Börse. Doch die hohen Kurse zum Debüt sind eher eine Last als ein Erfolg.

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Der Handelsstart der Spotify-Aktie gestern in New York geriet fulminant. 168 Dollar waren Investoren in der Spitze bereit, für einen Anteilsschein zu bezahlen. Auch in Deutschland ließen sich die Anleger von der Streaming-Begeisterung anstecken. An der Börse Tradegate kostete eine Aktie gestern in der Spitze 138 Euro. Das ist ein satter Aufschlag auf den Preis, den institutionelle Investoren bei der letzten größten Kapitalerhöhung im Januar bezahlt haben. Sie legten für knapp zehn Millionen Stück rund 55 Euro je Aktie auf den Tisch. Drei Monate später also sind die ersten Anleger bereit, mehr als das Doppelte zu zahlen.

Das Unternehmen, das bisher keinen Gewinn und nur gut vier Milliarden Dollar Umsatz macht, kommt damit auf einen Wert von rund 30 Milliarden Dollar. Rechnet man nicht nur die aktuell ausstehenden Aktien, sondern auch begebene Aktienoptionen hinzu, die die Zahl der Aktien in Zukunft erhöhen werden, beträgt der Wert sogar 34 Milliarden Dollar.

Das ist gut für die bestehenden Aktionäre wie die Investmentgesellschaften Tiger Global oder TCV. Sie dürften den Börsengang nutzen, um sich sukzessive von ihren Anteilen zu trennen. Weniger gut ist der hohe Preis hingegen für alle, die die Aktie nun neu kaufen oder in nächster Zeit kaufen wollen. Denn mit den Fakten zum Unternehmen lassen sich solche Kurse nicht rechtfertigen.

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von Matthias Hohensee, Georg Buschmann, Frank Doll

Spotify brachte es zum Jahreswechsel auf 159 Millionen Nutzer. Mit einer Bewertung von 30 Milliarden Dollar zahlen Anleger also 189 Dollar je Nutzer. Als das Netzwerk Facebook 2012 an die Börse ging, mussten Investoren nur halb so viel Geld je Nutzer hinblättern. Der Börsengang damals war trotz Anfangsschwierigkeiten und des aktuellen Datenskandals ein Erfolg. Anleger, die zum Börsengang Facebook kauften, liegen sechs Jahre später trotz des jüngsten Kursabschlags 300 Prozent vorne. Auch, weil die Aktie zum Start nicht völlig überzogen bepreist war.

Facebook schaffte damals schon stattliche Gewinne, hatte ein viel höheres Umsatzwachstum und ein attraktiveres Geschäftsmodell als Spotify. Denn die Schweden haben üppige Fixkosten zu tragen. Für die Musik, die Nutzer über den Dienst hören, muss Spotify Gebühren an die Musiklabels abdrücken. Nur 20 Prozent des Umsatzes bleiben nach Abzug dieser Kosten wirklich bei Spotify. Und davon gehen dann alle Ausgaben ab, die der Dienst etwa für Marketing oder den Betrieb seiner Server ausgibt.

Das war und ist bei Facebook anders, weil die Nutzer die Inhalte, mit denen Facebook weitere Nutzer und damit Werbekunden anlockt, netterweise kostenlos selbst produzieren. Entsprechend rentabel und attraktiv ist das Geschäftsmodell, Facebook strich schon 2011 ein gutes Viertel seines Umsatzes als Nettogewinn ein. Spotify hingegen muss sich sehr strecken, um überhaupt in die Gewinnzone zu kommen. Das ist bisher nicht gelungen und auch nicht ernsthaft versucht worden. Im vergangenen Jahr fuhr das Unternehmen 1,2 Milliarden Euro Nettoverlust ein.

Insofern ist schwer nachvollziehbar, wieso Spotify heute doppelt so hoch bewertet wird wie Facebook zum Start an der Börse. In den ersten Handelsstunden haben Marktteilnehmer dann auch schon die Bewertung von Spotify deutlich nach unten korrigiert. In New York ging die Aktie gestern zehn Prozent billiger aus dem Handel, heute steht sie nochmal vier Prozent tiefer.

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Dass sie in den ersten Handelstagen so stark schwankt, hängt auch mit der Art des Börsengangs zusammen. Spotify hat für das Debüt an der Börse den ungewöhnlichen Weg der Direktplatzierung gewählt. Dabei werden Aktien nicht vorbörslich Investoren angedient, sodass sich ein Preis bilden kann. Auch gibt es kein Kontingent neuer Aktien für Investoren wie sonst bei Börsengängen üblich, um neues Geld einzusammeln. Stattdessen werden die Papiere der bestehenden Aktionäre einfach an der Börse gelistet. Sie können dann an andere Anleger verkaufen oder ihre Papiere behalten. Wegen dieser Konstruktion ist unklar, wie viele Spotify-Aktien überhaupt frei handelbar sind.

Möglich, dass die hohen Kurse gestern vor allem dadurch zustande kamen, dass Altinvestoren ihre Anteile behielten und so das Angebot verknappten. Wenn sie in den kommenden Monaten vermehrt Papiere abstoßen, könnte sich das ändern und noch einmal Druck auf den Kurs kommen. Der muss sich nun erst einmal finden. Im Vorfeld des Börsengangs waren Analysten von einer Bewertung von rund 20 Milliarden Dollar ausgegangen. Das entspräche einem Kurs je Aktie von rund 80 Euro. Bis dahin ist trotz der bisherigen Kursverluste noch viel Platz. Anleger sollten daher lieber nicht vorschnell zugreifen. Gut möglich, dass sie noch deutlich günstiger an das Papier kommen als im Moment.

Warnende Beispiele aus der Tech-Welt gab es in den vergangenen Jahren zu Genüge: Auch der Kurznachrichtendienst Twitter und der Videochatservice Snap kamen unprofitabel, aber dafür mit riesiger Bewertung an die Börse. In beiden Fällen haben Anleger der ersten Stunde das teuer bezahlt.

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