Die Welt ist im iPad-Fieber. Schon in den ersten drei Tagen nach dem Marktstart am 16. März 2012 setzte Apple drei Millionen Stück der neuesten Version seines populären Tablet-Computers ab. „Es ist absehbar, dass künftig mehr Tablets als PCs verkauft werden“, prognostiziert Apple-Chef Tim Cook. Innerhalb der kommenden drei Jahre könnte es so weit sein, prognostiziert die US-Beratung Gartner. Bei Smartphones – Kleincomputer-Handys wie Apples iPhone oder Android-Wettbewerber wie Samsungs Galaxy-Reihe – ist das schon der Fall: 2011 wurden erstmals mehr von ihnen verkauft als Notebooks und Desktop-PCs.
Intel hinkt hinterher
Was Cook freut, ist ein Albtraum für Intel-Chef Paul Otellini. Denn der Vormarsch von Tablets und Smartphones bedroht immer stärker das Geschäft des Chipherstellers. Zwar stecken in rund 70 Prozent aller neuverkauften PCs weltweit Intel-Prozessoren. Doch ausgerechnet in den zwei wichtigsten Boommärkten Tablets und Smartphones hat Intel nichts zu melden. Wegen strategischer Fehler und einer gescheiterten Allianz mit dem Handyhersteller Nokia haben sich auf diesem Feld Intels Wettbewerber Qualcomm, Samsung und Texas Instruments breitgemacht. Sie fertigen Strom sparende und günstige Prozessoren auf Grundlage der Designs des britischen Chipspezialisten ARM.
Keine Stellungsnahme seitens Intel
Um das zu ändern, bahnt Intel laut Silicon-Valley-Insidern eine neue Allianz mit Apple an: Danach würde Apple die Fertigung seiner iPhone- und iPad-Prozessoren von Samsung an Intel übertragen, wenn der Konzern günstigere Produktionskosten und bessere Verfügbarkeit garantiert. Aus dem Umfeld von Intel verlautet, dass dazu Gespräche geführt wurden. „Wir äußern uns nicht zu Spekulationen“, sagt Intel-Sprecher Chuck Malloy. Man würde auch nie einen Kunden öffentlich benennen, es sei denn, dieser gebe dazu die Erlaubnis.
Gelingt der Coup, würde das Otellini einen großen Schritt weiterbringen. Denn bisher kommt Intel mit seinen Atom-Prozessoren bei Smartphones und Tablets nur auf maximal zwei Prozent Marktanteil. Jedes zusätzlich verkaufte iPad – zurzeit angetrieben von einem von Apple entworfenen und von Samsung gefertigten Prozessor – vergrößert den Abstand.
Deshalb wird Apple in diesem Jahr nach Berechnungen des US-Marktforschers Instat erstmals mehr iPhone- und iPad-Chips ausliefern, als Intel weltweit an Notebook-Prozessoren vertickt. „Apple schiebt sich an Intel vorbei“, erwartet Instat-Chefanalyst Jim McGregor.
Trügerischer Erfolg
Eine weitere Zeitenwende vollzieht sich im PC-Geschäft. Zwar wächst der Absatz der traditionellen PCs noch immer, vor allem in Asien. Doch in der Käufergunst haben sie verloren, vor allem in den gut mit Geräten ausgestatteten Industrieländern. „Für Privatkäufer ist der PC mittlerweile so etwas wie ein Haushaltsgerät, das nur ersetzt wird, wenn es kaputt ist“, sagt JP-Morgan-Analyst Mark Moskovitz.
Bisher hat diese Entwicklung Intel zwar noch nicht die Bilanz verhagelt: 2011 war Intels bisher bestes Jahr mit 54 Milliarden Dollar Umsatz und einem Gewinn nach Steuern von fast 13 Milliarden Dollar.
Wachstum dank Expansion
Beflügelt wird Intels Geschäft vom Ausbau der Internet-Infrastruktur, vor allem den Datenzentren von Google, Amazon und Facebook. In deren Servern ticken vornehmlich Intel-Prozessoren. Doch auch das PC-Geschäft wuchs beim Umsatz um 17 Prozent. Das gelang vor allem dank der Expansion nach China und Brasilien.
Während in Deutschland mehr als 80 Prozent aller Haushalte über einen Computer verfügen, sind es in China nur 35 Prozent. Fast der gesamte Zuwachs im PC-Geschäft stammt aus solch unterversorgten Ländern. China wird in diesem Jahr die USA nach Stückzahlen als größten PC-Markt der Welt überholen.
Doch der Erfolg ist trügerisch. Geringeres Wachstum im Reich der Mitte schlägt umso stärker auf Intel durch. Und mit sinkenden Preisen könnten bald auch Konsumenten in den Schwellenländern lieber gleich zu Tablets oder Smartphones greifen. Sind diese ähnlich leistungsfähig und bedienbar wie PCs und zugleich günstiger, könnten sie auch dort zur Überholung ansetzen, so Patrick Moorhead, Chef der US-Beratung Moor Insights & Strategy: „Ende 2014 könnte es so weit sein.“
Intel muss reagieren
Dieses Risiko ist der Grund, weshalb die Intel-Aktie immer noch weniger als die Hälfte ihres Höchststandes im August 2000 wert ist, während der im Smartphone-Geschäft dominante Konkurrent Qualcomm sich in Richtung eines Allzeithochs bewegt.
Otellini bleibt nicht viel Zeit. Intern hat er die Parole ausgegeben, seinen Smartphone-Prozessor Medfield und den Tablet-Chip Clover Trail-W mit allen Mitteln in den Markt zu drücken. Ende Januar bestellte er den Lieferkettenspezialisten Brian Krzanich zum neuen Operativchef. Der bereitet Intels Fabriken auf massive Nachfrage von Tablet- und Smartphone-Herstellern vor. Für die Aufträge soll vor allem Kirk Skaugen sorgen, der mithalf, den Umsatz der Datencentersparte von 2009 bis 2011 von 6,5 auf über 10 Milliarden Dollar zu steigern. Nun leitet er die PC-Sparte.
Smartphone-Offensive
Das Problem ist nur, dass sich das Interesse der Smartphone- und Tablet-Hersteller nach Intels Chips in Grenzen hält. Analysten, die auf dem Mobilfunk-Weltkongress im Februar in Barcelona mit einem großen Überraschungspartner gerechnet hatten, wurden enttäuscht. Bislang haben sich nur Motorola, Lenovo sowie der indische Handyproduzent Lava und der chinesische Fertiger ZTE zum Kauf bereit erklärt – und auch das nicht exklusiv.
Selbst Intels langjähriger Partner Microsoft fährt lieber zweigleisig. Das für September erwartete Betriebssystem Windows 8 wird es erstmals nicht nur für Intel-Chips, sondern auch in einer Variante für ARM-Prozessoren geben. So will Microsoft das von Google vorangetriebene mobile Betriebssystem Android kontern, das auf ARM-Chips läuft. Damit spielt der Softwarekonzern aber zugleich Intel-Konkurrenten wie Qualcomm, Texas Instruments und Nvidia in die Hände, deren Prozessoren auf ARM aufsetzen.
Konkurrenzkampf um Windows 8
Die ultimative Kombination sei jedoch ein Paket aus Windows 8 und einem Intel-Prozessor, beschwört PC-Spartenchef Skaugen potenzielle Abnehmer wie den taiwanischen Handy- und Tabletbauer HTC. Aber: Die im PC-Geschäft bewährte Kombination wird wohl teurer sein als die Android-Alternativen, weil sowohl Microsoft an seinem Betriebssystem wie auch Intel an seinen Chips verdienen will.
Der Android-Konkurrenz spendiert hingegen Google das Betriebssystem. Google bezahlt sogar für dessen Einsatz, weil er seine Such- und Cloud-Computing-Dienste besser präsentieren kann.
Intels Hoffnung auf Ultrabooks
Parallel wollen Otellini und seine Mannen dem Geschäft mit Notebooks mehr Leben einhauchen, um den Angriff der Tablets und Smartphones abzuwehren. Ultrabooks – dünne und leichte Notebooks – sollen Mobilcomputer mit Intel-Prozessoren attraktiver machen. „Bis Ende 2012 werden 40 Prozent aller Consumer-Notebooks Ultrabooks sein“, verspricht Otellini. Er will Intel als führenden Ultrabook-Prozessorlieferanten etablieren und den Leicht-PC später als Sprungbrett ins Smartphone- und Tablet-Geschäft nutzen.
Befreiungsallianz Intel-Apple
Doch die Offensive ist gefährlich. Denn die Ultrabooks konkurrieren mit Apples MacBook Air – in dem Intel-Prozessoren laufen. Intel päppelt so die Konkurrenz für einen seiner wichtigsten Abnehmer.
Im Silicon Valley gibt es deshalb Gerüchte, dass Apple die Intel-Prozessoren in seinen MacBooks durch eigene Chips ersetzen wird. Laut Marktbeobachter Moorhead taugten die eigenen Prozessoren auf Basis des ARM-Designs bisher noch nicht für den Einsatz in Apples Notebooks. Zudem will Apple-Chef Cook sich nicht zu abhängig von Samsung machen. Die Südkoreaner bauen neben iPhone- und iPad-Prozessoren eigene Tablets und Smartphones.
Auf die eigenen Stärken konzentrieren
Deshalb wird im Valley noch eine Option gehandelt: eine Befreiungsallianz Intel-Apple. Dabei würde Intel für Apple die iPhone- und iPad-Chips bauen, zu günstigeren Kosten und mit besserer Verfügbarkeit.
Intel würde dann unabhängig vom Erfolg seiner eigenen Smartphone-Prozessoren über Apple am Boom im Handy- und Tablet-Geschäft teilhaben und könnte sich auf seine Stärken konzentrieren: „Intel kann Apple eine Menge anbieten in Sachen Fertigungserfahrung und Kapazität“, urteilt Moorhead. Gelingt Otellini der Apple-Coup, wäre die Scharte im Smartphone- und Tablet-Geschäft sauber ausgewetzt.