Cyberkrieg Wie die Bundeswehr im Netz aufrüstet

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Die IT-Kompetenz der Bundeswehr soll gebündelt werden

Vor diesem Hintergrund ist das Grundrational der Verteidigungsministerin durchaus überzeugend: „Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sind in einer zunehmend vernetzten, digitalisierten Welt für Angriffe im Cyber- und Informationsraum (CIR) verwundbarer geworden. Diese digitale Verwundbarkeit der Gesellschaft haben sich in den letzten Jahren staatliche und nichtstaatliche Akteure – insbesondere im Rahmen der hybriden Kriegsführung – zu Nutze gemacht. Die zunehmend komplexeren Angriffe erfordern den Ausbau der staatlichen Handlungsfähigkeit zum Schutze unseres demokratischen Systems und seiner wirtschaftlichen Grundlagen.“

Bereits zum Oktober 2016 wird im Verteidigungsministerium eine eigenständige Ab-teilung eingerichtet. Der vormalige Thyssen Krupp-Manager Klaus-Hardy Mühleck übernimmt hier als Chief Information Officer mit Budgethoheit die Verantwortung für die Themen Cyber und IT. Als IT-Architekt der gesamten Bundeswehr soll er zu-nächst einmal die bislang verzettelte materielle und personelle IT-Infrastruktur unter ein Dach bringen und die Bundeswehr-Informationstechnikgesellschaft als eigen-ständige IT-Organisation (Systemhaus) steuern.

Ob dann noch Zeit, Kraft und ziel-führende Vision für die zukunftsweisende Gestaltung der Netze des militärischen Nachrichtenwesens, für die recht komplexe Waffensystem IT sowie die leistungsfähige Ausprägung einer neuen Teilstreitkraft mit ganz neuen Fähigkeiten bei rechtlich unübersichtlichen Rahmenbedingungen bleibt?

Bis Anfang April 2017 wird zudem ein Kommando für den Cyber- und Informations-raum (CIR) aufgestellt mit den Aufgaben Cyber, Informationstechnologie, militärisches Nachrichtenwesen, Geoinformationswesen, operative Kommunikation und elektronische Kampfführung. Insgesamt 13.500 Dienstposten werden hierzu von den anderen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen in die neue Struktur wechseln – 12.800 davon allein aus der Streitkräftebasis.

Die Ministerin will mit diesen Maßnahmen die IT-Kompetenz in der Bundeswehr bündeln und effektiver zu nutzen. Zugleich sollen Effizienz und Schlagkraft der Bundes-wehr im dynamisch wachsenden Feld der Informationstechnologie verbessert werden, ebenso der Schutz der Truppe – auch im Einsatz – und gegebenenfalls auch der Schutz der Bevölkerung.

Denn die Bundeswehr stellt sich darauf ein, bei Cyber-Angriffen von katastrophalen Ausmaßen an der Seite der Spezialisten von der Polizei und vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik in die Abwehr einzugreifen. Eingebettet in einer Ressort übergreifenden Gesamtstrategie der Bundes-regierung sollen dann die Cyber-Fähigkeiten der Bundeswehr in enger Abstimmung vor allem mit dem Bundesinnenministerium agieren.

In diesem Kontext stellt sich natürlich die Frage, welche Rahmenbedingungen - fak-tisch und rechtlich – im internationalen Einsatz sowie beim Schutz von Bevölkerung, Wirtschaft und der verletzlichen Infrastruktur der Heimat auf dem digitalen Gefechts-feld gelten. Welcher Mix aus defensiven und offensiven Fähigkeiten ist notwendig? Welcher ist erlaubt? Wo sind rechtliche Grenzen gesetzt?

In der Bundeswehr erwartet man, dass solche Fragen im Falle eines Auslandsein-satzes durch ein Bundestagsmandat geklärt werden. Einsatzmöglichkeiten jenseits der Firewall eines fremden Servers kommen für sie – außer im Verteidigungsfall – nur infrage, wenn sie für den jeweiligen Einsatz vom Bundestag mandatiert sind. Bei Angriffen auf die eigenen Computersysteme im Inland, darf sich die Bundeswehr zwar schützen. Sie überlässt die erforderlichen Gegenmaßnahmen jedoch dem im Inland zuständigen Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Ob das in der Praxis gut geht?

Die nächste Großbaustelle der Bundeswehr

Man könnte die Ministerin für ihre Weitsicht in Sachen Internet loben. Allerdings wurden die bedrohlichen Cyber-Herausforderungen in der Bundeswehr doch bemerkenswert spät wahrgenommen. Wer die Details der deutschen Planung prüft, entdeckt viele gute Absichten und viel weniger gute Taten. Was die Ministerin inhaltlich verspricht, trifft frühestens 2020 ein, vermutlich erst viel später. Das Geld reicht nicht. Das Personal reicht nicht. Die Strukturüberlegungen geben in erster Linie bestehenden Organisationen einen neuen Namen und eine neue Unterstellung – alter Wein in neue Schläuche.

Verbrechen 4.0 - das ist möglich

Bereits jetzt sorgt sich der Wehrbeauftragte des Bundestages vor einem flächendeckenden Burnout in der Bundeswehr. Das Weißbuch 2016 spricht im gegenwärtigen Entwurfsstand selbstkritisch von „schleichender Überalterung des Materials“ und von Streitkräften, die im Grundbetrieb vermehrt aus der Substanz leben müssten. Dies ist eine freundliche Umschreibung für die Kannibalisierung von Ersatzteilen aus Waffensystemen, Fahrzeugen, Flugzeugen und Schiffen, früher ein klassifizierendes Merkmal von Drittweltstaaten. „Aufgaben, Kräfte und Mittel befinden sich nicht mehr in einer ausgewogenen Balance“. Gemeint sind Panzer die nicht fahren, Flugzeuge die nicht fliegen, Kompanien ohne Personal.

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