Cyberkrieg Wie die Bundeswehr im Netz aufrüstet

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Es mangelt an Experten

Also Experten von außen anwerben? Auch dieser Ansatz stößt auf Hindernisse. Zum einen kann die Bundeswehr den Wettbewerb mit der IT-Industrie um geeignetes Personal nicht gewinnen, da sie nicht mit den Gehältern der Privatwirtschaft mithalten kann. Zum anderen haben die Nerds der zivilen Welt nicht selten eine problematische Vergangenheit. Wer in sicherheitsempfindlichen Bereichen arbeitet muss über-prüft werden. Die gesuchten Experten wollen aber nicht überprüft werden. Und die Bundeswehr kann schlecht Experten mit Sicherheitsrisiken in sensitive Verwendungen bringen.

Die Bundeswehr sucht deshalb nach neuen Wegen. Unter anderem will man eigene Studiengänge aufbauen, um Menschen zu gewinnen und zu halten. Man will zugleich mit Industrie und Universitäten in „Cyber-Clustern" kooperieren, um die nötige Expertise zu bekommen. An der Universität der Bundeswehr München wird dafür ein eigener Studiengang für Cybersicherheit eingerichtet. Schnelle Ergebnisse wird man hier nicht erwarten können.

Ein bisher sträflich vernachlässigtes, aber vielversprechendes Feld sind Cyber-Spezialisten aus dem Reservistenbereich - vormalige Soldaten mit fortgesetzter Affinität zu den Streitkräften. Statt sie nach den bisher angelegten Maßstäben für den Reservistendienst in klassischen militärischen Funktionen einzusetzen, können sie als IT-Fachleute in Deutschland in Rechenzentren und Gefechtsständen mitarbeiten und z.B. Auslandseinsätze im Zuge des sogenannten Reach-Back unterstützen. Hier werden Einsatzfunktionen, die nicht unbedingt im Einsatzland wahrgenommen werden müssen, von Deutschland aus ausgeübt. Damit spart man erheblich an Personal in Auslandseinsätzen.

Insbesondere das vorherrschende geistige Maginot-Denken, sich auf die Cyber-Abwehr zu konzentrieren und auf offensive Cybereinsätze weitestgehend zu verzichten, ist im Lande eines Carl von Clausewitz geradezu unfassbar.

Bereits vor 200 Jahren lernte man in deutschen Landen zwischen taktischen, operativen und strategisch-politischen Ebenen zu differenzieren. Noch im Kalten Krieg wusste und übte man in Deutschland, wie man einen strategischen Angriff des Warschauer Paktes, durch kleine offensive Gegenangriffe auf taktischer Ebene und Luftangriffe auf die Versorgungs- und Verbindungslinien im Rückraum des angreifenden Gegners aus-bremsen konnte. In der Cyber-Domäne ist der Angreifer klar im Vorteil. Sich hier ein-seitig defensiv auszurichten, bedeutet nichts anderes als sich auf Niederlagen und Großschäden einzustellen.

Will man künftig wirklich immer wieder eigene Informations- und Kommunikations-netze solange beschädigen lassen, wie es ein Angreifer wünscht? Will man die aus-geprägten IT-Aktivitäten von ISIS und Taliban auch künftig möglichst ungehindert und störungsfrei zur Entfaltung kommen lassen? Wie will man forensisch dem Täter auf die Spur kommen, ohne sein Wirken bis an den Ursprungsort zu verfolgen? Selbstverständlich müssen Mandatierungs- und Rechtsfragen geklärt werden. Dennoch: Wer sich gegen Cyberangriffe effektiv schützen will, muss auch in der Lage sein, einen Angriff auszuführen. Die Fachkenntnis ist ohnehin identisch. Ohne eigene taktische und operative Offensiv-Fähigkeiten macht die Cyber-Truppe keinen Sinn.

Der Weg ins digitale Zeitalter beginnt für die Bundeswehr absehbar mit selbstgemachten Hindernissen. Relevanten Überlegungen stehen strukturelle Mängel, zu kurz gesprungene konzeptionelle Grundlagen, eine Kannibalisierung bestehender Strukturen und unzulängliche Investitionen gegenüber. Drei Empfehlungen sollen diesen Beitrag schließen:

• Eine Vision ohne entsprechende Investition ist eine Halluzination. Die neue Teilstreitkraft Cyber – und Informationsraum braucht eine Mittelausstattung, die es ermöglicht, zentrale Zielsetzungen zu erreichen.

• Die neue Aufstellung im Cyber- und Informationsraum sollte sich mit Priorität daran orientieren, dass die Bundeswehr als eine kombattante Organisation politisch-parlamentarische Zwecke im Einsatz erfolgreich umsetzen soll.

• Alle Teilstreitkräfte – auch das neue Kommando Cyber- und Informationsraum - müssen über einen Mix an offensiven und defensiven Fähigkeiten verfügen. Taktisch und operativ brauchen die Streitkräfte ein den Aufgaben angemessenes Fähigkeitendispositiv, um ihre Einsätze im Sinne der politischen Vorgaben erfolgreich zu gestalten. Dies steht der politisch-strategischen Vorgabe einer strategisch defensiven Ausrichtung der deutschen Streitkräfte im digitalen Zeitalter ebenso wenig entgegen wie zu Zeiten des Kalten Krieges.

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