Cybersecurity
Quelle: dpa

Eine App als Corona-Retter

Jürgen Berke Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Jürgen Berke ehemaliger Redakteur Unternehmen & Märkte

Zwei deutsche IT-Unternehmer suchen mit unterschiedlichen Ideen nach der besten Smartphone-App zum Eindämmen der Coronapandemie. Dabei brauchen wir nur eine einzige App – und der sollten alle freiwillig ihre Daten anvertrauen.

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Wenn gar nichts mehr geht, dann müssen die Digitalisierer die Welt retten. Jetzt sollen Smartphone-Apps die weitere Ausbreitung der Coronapandemie stoppen. Die App als Wunderdoktor und Allheilmittel zugleich – die Aussicht ist in der Tat äußerst verlockend. Deutschland könnte wieder zu einem halbwegs normalen Leben zurückkehren und die Bundesregierung den vor zwei Wochen angeordneten Shutdown des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens beenden.

Zwei deutsche IT-Unternehmer haben sich inspirieren lassen und schon einmal durchgespielt, was technisch alles möglich ist. Unabhängig voneinander hatten sie die Entwicklungsarbeiten an einer eigenen Corona-Tracking-App aufgenommen und in den vergangenen Tagen die ersten Ideen vorgestellt, wie ihrer Meinung nach die Infektionsketten durchbrochen werden könnten. Dabei verfolgen die beiden Unternehmer zwei Ansätze, die sich stark voneinander unterscheiden.

Die erste Lösung präsentierte der ehemalige Microsoft-Manager Mathias Reidel, der noch in dieser Woche mit seinem „Covid-19-Radar“ an den Start gehen will. Der Pilotbetrieb läuft schon. Die Testversion der App kann sich jeder herunterladen. Die App soll Antworten liefern auf die Frage aller Fragen: Wo kann ich mich ohne Ansteckungsgefahr bewegen und wo nicht? Die App arbeitet wie ein Navigator mit zoombaren Straßen- und Landkarten, die sehr kleinteilig vor Regionen – das können auch Straßen und Häuserblocks sein – mit einer hohen Ansammlung von Corona-Infizierten warnt. Die Nutzer müssen nur – freiwillig versteht sich – ihren aktuellen Gesundheitszustand dort eintragen. Auf diese vergleichsweise elegante Art wird erhoben, „wo sich sogenannte Kohorten gebildet haben“, meint Reidel. Dort könnten die Behörden die Mobilitätsbeschränkungen verlängern und im Extremfall sogar verschärfen.

Verlockender für Reidel ist die Entwarnung: In Gebieten mit geringer Ansteckungsgefahr können Behörden die Beschränkungen schnell wieder aufheben. Die Daten sollen zwar keine Identifikation einzelner Personen zulassen, sie reichen aber zum Erstellen einer dynamischen Hitzekarte, die ständig auf den neuesten Stand gebracht wird. „Unsere App soll helfen, Orte und Straßen zu finden, in denen die Behörden die Bewegungseinschränkungen zurücknehmen können“, sagt Reidel.

Wenn alle Nutzer dieser App ehrliche Angaben über ihren Gesundheitsstand machen, bekommen die übrigen App-Nutzer einen sehr detaillierten Überblick, wie hoch die Bedrohungslage an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten ist. Die App hilft also auch, den Bewegungsradius der Nutzer in Orte mit geringerem Risiko zu lenken.

Ganz andere Ziele verfolgt Hans-Christian Boos, der Gründer des Frankfurter Unternehmens Arago. Zusammen mit dem zur Fraunhofer-Gesellschaft gehörenden Heinrich-Hertz-Institut in Berlin hat er die europäische Initiative „Pan-European Privacy-Preserving Proximity-Tracing“ (PEPP-PT) gestartet. Sie wollen mit Hilfe der Nahbereichs-Funktechnik Bluetooth eine App entwickeln, die automatisch alle Kontakte im Umkreis von wenigen Metern aufzeichnet. Die Daten der getroffenen Personen bleiben erst einmal auf dem Smartphone – bis eine Corona-Infektion festgestellt wird. Erst dann warnt die App alle Kontaktpersonen.

Wer diese App herunterlädt, muss auch Bluetooth aktivieren, sonst funktioniert diese Form der Spurensammlung nicht. Die in jedem Smartphone installierte Funktechnik schafft zwar nur wenige Meter. Aber diese kurze Distanz reicht aus, um andere Bluetooth-Smartphones in der Umgebung zu identifizieren. Ein internationales Team mit 130 Mitgliedern aus sieben europäischen Ländern will in etwa zwei Wochen eine marktreife Lösung vorstellen. Momentan testen 50 Bundeswehr-Soldaten in der Berliner Julius-Leber-Kaserne die Praxis-Tauglichkeit. Wichtig ist, dass sich Bluetooth-Smartphones schnell untereinander verbinden. Vor allem zufällige Kontakte – etwa beim Einkaufen – dauern manchmal nur wenige Sekunden. Auch die sollte die App auffangen.

Mein Eindruck ist: Die beiden Apps liefern sinnvolle Daten zur Bekämpfung der Pandemie. Ein Problem müssen die Initiatoren allerdings noch lösen: Bereits zwei Anti-Corona-Apps sind eine zu viel. Wenn die eine Hälfte der Deutschen die eine App nutzt und die zweite Hälfte die andere App, haben die gewonnenen Daten nur wenig Aussagekraft. Zumal nach einer aktuellen Umfrage von Infratest-Dimap ohnehin nur 47 Prozent aller Wahlberechtigten bereit sind, so eine App auf ihrem Smartphone zu installieren. Deshalb ist Vielfalt in diesem Fall kontraproduktiv, sagt auch der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber. Im WirtschaftsWoche-Interview warnt er bereits vor einer inflationären Verbreitung von Corona-Tracking-Apps. Die schlimmste Variante sei: „Es gibt unzählige Apps, bei denen jeweils nur wenige Tausend Nutzer die Daten tauschen.“

Ich gebe dem obersten Datenschützer recht: Wir brauchen eine übergreifende App, die sämtliche für die Bekämpfung von Corona erforderlichen Daten einsammelt und bei Bedarf liefert. Für die sollte auch die Bundesregierung und alle Landesregierungen werben. Nur dann bekommen wir die Chance, dass diese App die meisten Smartphones in Deutschland erobert.

Eine App für alles – das kann viele Leben retten und den Shutdown schnell beenden. Das wollen auch die beiden App-Pioniere Reidel und Boos – und deshalb sollten sie so schnell wie möglich ihr Know-how zusammenwerfen.

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„Es gibt keine Alternative zu einer freiwilligen Nutzung“: Ulrich Kelber ist Bundesbeauftragter für Datenschutz. Im Interview spricht er über den Vorwurf an seine Zunft, Innovationen zu blockieren – und erklärt, warum es in Deutschland nur freiwillig installierte Corona-Apps geben darf.

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