Daten der US-Fitness-App Strava So zeigt sich der Radfahr-Boom in deutschen Städten

Corona ließ mehr Menschen das Rad benutzen. Quelle: imago images

Wegen der Corona-Beschränkungen und zahlreicher Pop-up-Radwege erlebte das Radfahren einen Aufschwung. Daten der Fitness-Anwendung Strava bezeugen nun: In einigen deutschen Städten verdoppelte sich gar das Aufkommen.

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Die Coronapandemie hat das Radfahr-Aufkommen in den größten deutschen Städten enorm gesteigert, in manchen Monaten mitunter gar verdoppelt. Das geht aus Daten der Fitness-Anwendung Strava hervor, die der WirtschaftsWoche exklusiv vorliegen. Im April 2020 stiegen die über die Strava-App registrierten Fahrten mit dem Fahrrad etwa in Stuttgart um fast 130 Prozent gegenüber April 2019; in München (96 Prozent) und Köln (94 Prozent) verzeichnete Strava ebenfalls fast eine Verdoppelung der Radfahrten. Auch in Hamburg (68 Prozent), Frankfurt (60 Prozent) und Berlin (56 Prozent) stieg die Zahl der Fahrten um mehr als 50 Prozent.

Strava ist eine Mischung aus Sportdaten-Aufzeichner und sozialem Netzwerk: Läufer und Radfahrer etwa können mit der Anwendung ihre Läufe und Fahrten aufzeichnen, auswerten, analysieren – und auch mit anderen Nutzern teilen und vergleichen. Gegründet wurde Strava 2009 in San Francisco. Firmengründer sind Michael Horvath, ein ehemaliger Wirtschaftsprofessor an der Uni Stanford, und dessen Kumpel Mark Gainey; beide haben in Harvard studiert. Der europäische Firmensitz befindet sich im britischen Bristol.



Weltweit zählt Strava rund 68 Millionen Nutzer, in Deutschland sind es etwas mehr als zwei Millionen. Angesichts von mehr als 78 Millionen Fahrrädern in Deutschland stellt sich die Frage nach der Repräsentativität der Strava-Daten. Wer nutzt die App? Bekannt geworden ist die Anwendung vor allem durch Fitness-Enthusiasten oder auch Profisportler, die die Anwendung für ihr Training nutzen; so teilten etwa mehr als 110 Teilnehmer der Tour de France ihre Aktivitäten auf Strava. Man pflegt Bestenlisten für bestimmte Strecken und kann sich vergleichen. Der Wettbewerbsgedanke ist bei vielen Nutzern stark ausgeprägt. Doch wie ein Strava-Sprecher gegenüber Bloomberg Businessweek mitteilte, würden die Nutzer zunehmend auch Fahrten zur Arbeit, zur Schule oder für Besorgungen protokollieren.

Diese Daten sammelt und gliedert Strava im 2014 gestartete Geschäftszweig Strava-Metro. Im Strava-Heimatmarkt USA haben Untersuchungen des Seuchenkontrollzentrums und des US-Volkszählamtes (US Census Bureau) ergeben, dass Strava-Metro-Daten mittlerweile ein zuverlässiger Indikator dafür sind, wie sich die breitere Bevölkerung bewegt. Es gebe eine „starke Korrelation zwischen dem Aufenthaltsort der Menschen, die unsere App nutzen, um ihre Pendlerwege zu verfolgen, und dem Aufenthaltsort der Rad- und Fußgängerpendler in der Gesamtbevölkerung”, heißt es bei Strava-Metro.

Der Fahrradmarkt wächst: Die ungebremst starke Nachfrage nach E-Bikes und Lastenrädern kann sogar ein Minus bei herkömmlichen Rädern ausgleichen. Gewinner der Entwicklung sitzen in Kopenhagen – und Darmstadt.
von Stephan Knieps

Dem pflichtet Paul Niemeyer bei. Der studierte Sportmanager hat sechs Jahre bei Adidas gearbeitet, seit 2015 leitet er das Deutschlandgeschäft von Strava. Er sagt, die Strava-Metro-Daten entfalteten ihre Aussagekraft vor allem in Kombination mit anderen Datensätzen. Klassische Zählstationen etwa ergäben eine valide Momentaufnahme eines bestimmten Ortes wie zum Beispiel einer Straßenkreuzung; „in Kombination mit Strava Metro-Daten, die den gesamten untersuchten Bereich abdecken, erfolgt beim Vergleich der Daten rund um den Ort der Zählstation die entsprechende Validierung.” Hinzu komme die Möglichkeit nach Alter, Geschlecht und Tageszeiten zu filtern. „Diese Informationen inklusive dem Split zwischen Pendel-Fahrten und Sport- beziehungsweise Freizeit-Fahrten lassen sich im Strava Metro-Interface ablesen”, sagt Niemeyer: „Die Plattform wird somit zu einer wahren Fundgrube für Stadtplaner.”

Radfahren: Von Virologen empfohlen

Zu Beginn des sogenannten Lockdowns Mitte März erfuhr das Radfahren hierzulande einen Schub. Virologen, allen voran Christian Drosten, rieten vor allem Großstädtern zum Radfahren, um Menschenansammlungen in Bussen und Bahnen zu verhindern und so das Infektionsrisiko zu beschränken. In Berlin etwa bot der vom Umweltsenat unterstützte Leihfahrrad-Anbieter „Deezer Nextbike“ seine Fahrräder für die erste halbe Stunde kostenlos an. Und gleich mehrere Städte sperrten auf vielbefahrenen Straßen eine Spur für Autofahrer, zugunsten von temporären Radwegen. Nachdem der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als erster in Deutschland damit begonnen hatte, zogen schnell zahlreiche weitere Bezirke anderer Städte nach. Das Fahrrad war der Krisen-Gewinner.

Auch dank solcher für Radfahrer günstigen Umstände im Frühjahr konnte Strava hierzulande erhebliche Zuwächse erzielen. Dafür hat Strava aufgelistet, wie viele Nutzer mindestens eine Fahrt mit dem Fahrrad aufgezeichnet haben. In München etwa ist die Zahl der Nutzer im April um 90 Prozent angestiegen gegenüber April 2019; in Stuttgart lag die Zahl mit fast 88 Prozent ähnlich hoch. Auch in den Folgemonaten bis einschließlich August stieg die Zahl der Nutzer in den sechs größten deutschen Städten mehrheitlich um mehr als 50 Prozent. Das dürfte Strava auch insofern freuen, weil der Dienst im Mai sein Geschäftsmodell umgestellt hat: Bis dahin hatte Strava gestaffelte Bezahlmodelle angeboten, je nach dem, auf welche Funktionen die Nutzer zugreifen wollten. Neben der kostenlosen Basis-Version gibt es seitdem nur noch eine Bezahlvariante: Für diese verlangt die Firma pauschal 8 Euro monatlich oder 60 Euro jährlich, für die Nutzung aller Dienstleistungen. Wie viele der Nutzer nun zahlen? Deutschland-Chef Paul Niemeyer spricht lediglich von einer „sehr gesunden Konversion zur Bezahlversion”.


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Niemeyer nimmt nun neben Freizeitathleten und Hobbyfahrern auch noch andere Ansprechpartner stärker als Zielgruppe wahr: Städte und Gemeinden. Denn der Datendienst Strava-Metro bietet seine Dienste nun für Stadt- und Verkehrsplaner kostenlos an. Der Grund: Strava hofft damit einen Beitrag leisten zu können für „eine intelligentere und nachhaltigere Gestaltung der Städte der Welt“, wie die Firma formuliert. Zu den bisherigen Nutzern zählen etwa London, Frankfurt und Kassel.

Im Laufe des Sommers verzeichnet Strava zwar immer noch gestiegene Nutzerzahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, diese kommen aber nicht mehr heran an die teilweise registrierten Verdoppelungen im April. So kamen etwa im Juli in Hamburg nur noch knapp 16 Prozent Fahrradfahrten hinzu, und 12 Prozent neue Nutzer (jeweils im Vergleich zum Juli 2019), und im August in Frankfurt rund 9 Prozent an Fahrten. Waren die massiven Zuwächse im Frühjahr also nur ein Einmaleffekt? Paul Niemeyer sieht das naturgemäß etwas milder: Man habe in Deutschland eine „breite Basis” an Strava-Nutzern. Und die Vielzahl der Produktneuerungen und Weiterentwicklungen der vergangenen Monate seien „vielversprechend und ich freue mich auf die kommenden Monate.”

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