Deutsche Telekom Der wundersame Wiederaufstieg der Telekom

Telekom-Chef Timotheus Höttges hat geschafft, woran seine Vorgänger scheiterten: Nach Jahren der Tristesse steigen Umsatz, Gewinn und Börsenkurs wieder. Das Unternehmen kommt ohne Skandale, Gewinnwarnungen und Führungskrisen aus – und hat sein Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Tim Höttges Quelle: REUTERS

Wer verstehen will, wohin Timotheus Höttges die Deutsche Telekom führt, der sollte eine Zeitreise zurück ins Jahr 2014 antreten. Die Tränen von der Abschiedsfeier des bei den Mitarbeitern überaus beliebten René Obermann sind gerade erst getrocknet. Da tritt ausgerechnet der Mann an die Spitze, der mit der markanten Glatze und seinem „grimmigen Blick“ (Höttges über Höttges) alles andere als ein Sympathieträger ist.

Weit über 500 Führungskräfte fiebern am frühen Morgen des 8. Januar der ersten Grundsatzrede von Höttges als Vorstandschef entgegen. Welchen Kurs schlägt der Vorstand ein, wenn zum ersten Mal in der Geschichte der Telekom ein gelernter Controller das Kommando auf der Telekom-Brücke übernimmt?

Aus den vielen Ideen und Plänen, die Höttges seiner Führungsmannschaft an diesem Tag vorstellt, sticht ein Punkt besonders hervor. Der Telekom-Chef erklärt die seit Jahren andauernde Phase mit stagnierenden Umsätzen und schwachen Börsennotierungen für beendet. „Wir müssen zurück zu Wachstum“, schwört er seine Mannschaft ein. Und zweitens: „Wir müssen den Wert des Unternehmens steigern, stärker als der Wettbewerb es kann.“

Diese Länder haben das schnellste Internet
Breitband-Internet Quelle: REUTERS
Helsinki Quelle: dpa
Prag Quelle: dpa
Irland Quelle: gms
Riga Quelle: dpa
Platz 6: NiederlandeDen Sprung auf 14,2 Megabit pro Sekunde schaffen unsere niederländischen Nachbarn. Quelle: dpa
Schweiz Quelle: dpa

Nun lässt sich Wachstum nicht so einfach verordnen; ginge dies, welcher Chef würde dies nicht machen? Nur: Höttges, der seinen altertümlichen Vornamen Timotheus abgelegt und durch die weit freundlicher klingende Kurzform Tim ersetzt hat, hat es geschafft, die Stagnation wie auf Knopfdruck abzustellen. Zweieindrittel Jahre nach Amtsantritt mausert sich der Konzern zum Liebling der Börsianer.

Telekom steigert Umsatz um zehn Prozent

Im vergangenen Jahr legte die T-Aktie überproportional zu und gehörte mit 16,74 Euro und einem Plus von 26 Prozent zu den Jahresgewinnern. Mit einer Börsenkapitalisierung von 73 Milliarden Euro rangiert die Telekom inzwischen auf Rang vier der wertvollsten Unternehmen in Deutschland.

Den Vorsprung vor den Konkurrenten in Europa – der britischen Vodafone, der spanischen Telefónica und der französischen Orange – hat die Telekom ausgebaut. „Die Geschäfte laufen gut“, wird Höttges auf der Hauptversammlung am Mittwoch in der Kölner Lanxess-Arena verkünden. Allein im vergangenen Geschäftsjahr stieg der Umsatz um zehn Prozent auf den Rekord von 69 Milliarden Euro.

Umsatz-Deutsche-Telekom

Der wundersame Aufstieg der Deutschen Telekom. Ausgerechnet Höttges, der bei Problemen gerne zu Überreaktionen neigt, hat mit einer Mischung aus Kontinuität (vor allem in personeller Hinsicht), neuem Realismus (vor allem was die mentale Veränderungsbereitschaft vieler Alt-Telekomer angeht), Kooperation (mit anderen Unternehmen) und politischer Rückendeckung (in Wettbewerbsfragen) eine überraschende Erfolgsgeschichte geschrieben.

Für ihn selbst ist das eine Momentaufnahme. Ob das Unternehmen erfolgreich ist, ist aus Höttges’ Sicht eine Frage der Perspektive: Aus der deutschen „Froschperspektive“ steht die Telekom besser als früher da. Aber eigentlich denkt der Konzernchef viel lieber in globalen Dimensionen – aus der „Vogelperspektive“, wie Höttges sie nennt.

„Apple, Google, Amazon und Facebook sind heute mehr wert als alle Dax-30-Unternehmen zusammen“, rechnete der Telekom-Chef kürzlich auf einer Konferenz zur digitalen Transformation vor. „Mit ihren Barbeständen könnten Google und Apple die drei deutschen Konzerne Bayer, SAP und Daimler aufkaufen.“ Und gegen diese Gefahr arbeitet er an – ob am Ende erfolgreich, das ist trotz allem Grund zum Optimismus noch nicht entschieden.

Aufbruch ja, Start-up nein

Was Höttges’ Führungsstil ausmacht, lässt sich vor allem bei der Zusammensetzung des Vorstandsteams ablesen: Bis auf den Wechsel im Personalressort arbeitet Höttges noch mit der gleichen Mannschaft zusammen wie sein Vorgänger Obermann. Selbst der neue Personalchef Christian Illek gehörte vor seinem Intermezzo als Deutschlandchef von Microsoft, zum engsten Vertrautenkreis von Höttges, als der noch Deutschlandchef der Telekom war. „Wir sind auf dem Weg zu einem ganz normalen Unternehmen“, sagt ein Manager aus der zweiten Führungsebene, der schon viele Höhen und Tiefen bei der Telekom erlebt hat. Und meint das wohlwollend. In der von Höttges verordneten Ruhe an der Personalfront lässt sich offenbar besser arbeiten.

Positiver Nebeneffekt dieser neuen Kontinuität: Die Telekom kommt nun ohne Datenskandale, Führungskrisen, Strategiewechsel und Gewinnwarnungen aus. Dazu gehört auch, dass Höttges eine Stellschraube aus der Zeit seines Vorgängers Obermann neu justiert hat: Er hat sich von der Idee verabschiedet, den Telekom-Mitarbeitern einen Pioniergeist einzuhauchen wie bei den Webriesen im kalifornischen Silicon Valley.

So innovativ ist die ehemalige Bundesbehörde nun mal nicht, hat Höttges erkannt: „Das gehört nicht zur DNA der Deutschen Telekom.“ Stattdessen arbeitet die Telekom jetzt stärker mit den „besten Technologieanbietern“ der Welt zusammen, um mit ihnen gemeinsam Lösungen, Produkte und Plattformen zu kreiern. Mehrere Dutzend Partnerschaften gibt es bereits – darunter etwa mit den Netzwerkausrüstern Cisco und Huawei und dem Streamingdienst Spotify. Bis 2018 soll daraus ein Riesenzoo mit über 500 verschiedenen Technologie- und Branchenpartnern entstehen. So, das hofft Höttges, bleiben die Bonner auf Augenhöhe mit den großen der Techwelt.

Aktienverlauf: Telekom AG

Mit freundlicher Unterstützung der Politik

Zur Wahrheit aber gehört auch: Neben Entschlusskraft und Glück profitiert Höttges von der politischen Großwetterlage, die eng mit dem Spannungsverhältnis aus Frosch- und Vogelperspektive zusammenhängt. Ohne Wohlwollen der Politik wäre das Comeback des Staatskonzerns kaum denkbar.

Lange Zeit, vor allem um die Jahrtausendwende, gab es zwischen allen Parteien im Bundestag einen Konsens: Möglichst intensiver Wettbewerb sei der beste Motor für Wachstum in der Telekombranche. Das war die Zeit, als in Deutschland Wettbewerber wie Arcor, später Vodafone, oder 1&1 für die Telekom entstanden und für deutsche Telefon- und Internetkunden die Preise sanken. Inzwischen schlägt das Pendel in die entgegengesetzte Richtung. Auch wenn die Bundesregierung das nicht offiziell zugibt: Weit oben auf der digitalen Agenda steht, aus der Telekom einen starken nationalen Champion zu machen.

Die Internet-Anschlüsse der deutschen Haushalte

Das Ziel von Höttges ist praktischerweise also identisch mit dem Ziel der Bundesregierung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) kämpfen seit den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Agenten Edward Snowden für eine stärkere „digitale Souveränität“ Deutschlands und wollen die Abhängigkeit von den Datenkraken in den USA schrittweise reduzieren. Die neben SAP letzte Digitalbastion in Deutschland, die Telekom, darf deshalb nicht in ausländische Hände fallen. Im Gegenteil: Sie muss wertvoller werden, damit sie bei einer möglichen Übernahmewelle nicht von amerikanischen Telekomgiganten wie AT&T oder América Móvil geschluckt wird.

Das Zehn-Punkte-Programm der Telekom zur Cyber-Sicherheit

Frühere Bundesregierungen beherzigten die Leitidee des ehemaligen Bundespostministers Christian Schwarz-Schilling: „Ein Elefant muss gepiekst werden, damit er sich bewegt.“ Die große Koalition orientiert sich an einer anderen Maxime: „Elefanten brauchen eine Schutzzone, damit sie nicht aussterben.“

Neue Vectoring-Technik ist umstritten

Entsprechend aufgeschlossen steht die Bundesregierung allen Reformvorschlägen der Telekom gegenüber. Der Konzern hält drei statt der bisher vier oder fünf Mobilfunkbetreiber pro Land für absolut ausreichend? Gesagt, getan: Die Wettbewerbshüter in Brüssel erlaubten solch eine Fusion in Deutschland. Sogar bei der sehr hitzig geführten Debatte um das Aufweichen der Netzneutralität setzte sich die Telekom in Brüssel durch. Die EU-Kommission verabschiedete sich vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Daten im Internet und erlaubt nun erstmals Vorfahrtsregeln bei der Markteinführung von schnelleren Spezialdiensten. Das eröffnet der Telekom die Möglichkeit, für autonome Autos und lebensrettende Gesundheitsdaten Überholspuren einzurichten.

Die Auftritte auf dem Mobile World Congress zeigen: Die Deutsche Telekom will wieder Global Player werden. Doch dieses Mal ganz anders.
von Jürgen Berke

Der Schulterschluss mit dem Exmonopolisten, der sich immer noch zu 32 Prozent in Staatsbesitz befindet, geht so weit, dass die Bundesregierung – wie jüngst bei den Brüsseler Konsultationen zur nächsten Reformrunde der Telekommunikations- und Internetmärkte – die Forderungen der Telekom mitunter wörtlich übernimmt. So plädiert das Bundeswirtschaftsministerium für eine „investitionsfreundlichere Ausgestaltung der Regulierung“ – eine Forderung, die von den Telekom-Lobbyisten kommt.

Experten fordern Glasfaserkabel

Auch beim Ausbau der Infrastruktur für schnelleres Internet in Deutschland hilft die Politik der Telekom: Die Bundesnetzagentur zwingt Telekom-Konkurrenten, einen Teil ihrer Infrastruktur in den Ortsnetzen abzubauen. Die neue Vectoring-Technik der Telekom für schnelleres Internet funktioniert nämlich nur, wenn keine Konkurrenten im Telekom-Ortsnetz die Datenübertragung stören. Diese Vectoring-Technik aber ist umstritten. Nach Ansicht vieler Experten wäre es sinnvoller, die Netzinfrastruktur möglichst schnell auf Glasfaserkabel umzustellen, die deutlich schneller Daten übertragen und damit besser für die Zukunft gerüstet sind. Deutschland könnte so besser in ganz neue Wachstumsmärkte vorstoßen – und sich so von Platz 22 der Länder mit dem schnellsten Internet hocharbeiten. Allein in Deutschland wachsen die Digitalmärkte in den nächsten vier Jahren mit einem Rekordplus von 57 Prozent und damit weit schneller als in den vergangenen Jahren, prophezeit die Unternehmensberatung Arthur D. Little in einer Studie für den Verband der Internetwirtschaft (Eco).

Nur: Beim Erobern von Wachstumsmärkten tut sich die Telekom weiter schwer. Selbst bei zukunftsträchtigen Geschäftsfeldern, die sie nach langen internen Diskussionen als strategisch wichtig herausgefiltert hat, erfüllt sie die eigenen Planvorgaben nicht. Den letzten Fünf-Jahres-Plan mit ambitionierten Umsatzzielen hatte der Telekom-Vorstand noch unter Obermann verabschiedet – und verfehlte die Vorgaben.

Ein Beispiel: der Zukunftsmarkt um das „vernetzte Zuhause“. Die Telekom wollte den Umsatz bis 2015 auf sieben Milliarden Euro steigern. Erreicht wurden gerade mal 6,4 Milliarden Euro.

Zweites Beispiel: „Intelligente Netzlösungen“ für Schlüsselbranchen wie Energie, Gesundheit und Auto. Der Markt sollte eine weitere Milliarde Euro in die Kasse spülen – erreicht wurde nicht mal die Hälfte. Mit dem Verkauf der Scout24-Gruppe und dem Portal T-Online verabschiedete sich Höttges auch noch vom Ziel, mit eigenen Webangeboten Umsätze in Höhe von rund zwei Milliarden Euro einzufahren. Aus den überdurchschnittlich wachsenden Internetmärkten Musik (plus 19 Prozent pro Jahr) und Spiele (plus 16 Prozent pro Jahr) zog sich die Telekom schon vor zwei Jahren ganz zurück. Und der Einstieg ins Geschäft der Onlinebezahldienste mit der Übernahme des Dienstleisters ClickandBuy floppte vollständig. Die Gesellschaft wird gerade abgewickelt.

Insbesondere die von Arthur D. Little identifizierten digitalen Spitzenmärkte mit den höchsten Zuwächsen sind die Sorgenkinder der Deutschen Telekom. So wächst der Bereich Fernsehen/Video jährlich um üppige 37 Prozent, doch die Telekom ist mit ihrem TV-Produkt Entertain und ihrer Download-Plattform Videoload nur ein Nischenspieler mit einem Marktanteil von fünf Prozent.

Ursprünglich wollte die Telekom schon 2012 die Marke von drei Millionen Entertain-Kunden überspringen. Jetzt wird die Telekom dieses Ziel erst im Laufe dieses Jahr erreichen.

Telekom spricht vom „Wirtschaftswunder 4.0“

Mit dem Wechsel des Technologiepartners – der chinesische IT-Spezialist Huawei ersetzt den US-Softwareriesen Microsoft – startet Telekom-Deutschlandchef Niek Jan van Damme jetzt einen zweiten Anlauf. Eine komplett runderneuerte technische Plattform soll verstärkt mit ganz neuen Funktionen Kunden locken. So können die Kunden selbst bestimmen, wann sie aus dem vorgegebenen Programmschema ausbrechen und sich eine Sendung anschauen. Für „ausgewählte Angebote“ (van Damme) können sie sich dafür künftig sieben Tage Zeit lassen. Ob noch ein zweites Zugpferd hinzukommt, entscheidet sich im Juni. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass die Telekom auch bei der Versteigerung der Live-Übertragungsrechte der Fußballbundesliga mitbietet.

Meist lässt der Telekom-Vorstand viel zu viel Zeit verstreichen, bis er einen Boommarkt besetzt – wie der neue Geschäftsbereich Cyber Security zeigt. Von der ersten Idee bis zur Gründung der neuen Einheit vergingen zwei Jahre. Bis heute sind nicht alle Verhandlungen mit dem Betriebsrat abgeschlossen. Selbst über die Mannschaftsstärke wird noch gestritten. Mindestens 1000, vielleicht aber sogar 1200 der überall im Konzern an diversen Standorten verteilten Mitarbeiter sollen die neue Division verstärken.

Wackel-Dackel als Symbol des Kulturwandels

Der Geschäftsbereich ist so wichtig, dass einige der Experten in eine eigene Zentrale in Bonn umziehen sollen. Der ehemalige Sitz der konzerneigenen Unternehmensberatung Detecon im Stadtteil Ramersdorf, ein dreigeschossiger Rundbau, soll so umgebaut werden, dass von dort aus Hacker und andere Spezialisten Cyberangriffe abwehren.

Die Leibinger-Kammüllers führen den Maschinenbauer Trumpf. Wie das als Ehepaar funktioniert, wie die Digitalisierung alles ändert und warum Europa gerade seine Zukunft verspielt.
von Miriam Meckel, Martin Seiwert

Um schneller die internen Widerstände zu überwinden, will Höttges nun einen neuen Führungsposten schaffen. Neben dem Technikchef, dem IT-Chef und dem Innovationschef soll künftig auch noch ein Chief Digital Officer die Transformation der Telekom ins Digitalzeitalter beschleunigen. Ursprünglich sollte der Neue, der derzeit intern und extern gesucht wird, gleich in den erweiterten Konzernvorstand, das sogenannte Executive Komitee, einziehen. Doch jetzt soll er erst einmal als Mitglied der Geschäftsführung von Telekom Deutschland starten. Seine Aufgabe ist jedenfalls klar umrissen: Er soll die „Antworten für die digitale Zukunft“ geben – wie die Telekom bereits auf dem Titel ihres neuen Geschäftsberichts ankündigt – und eine „Kultur des Widerspruchs“ etablieren. Ein magentafarbener Wackel-Dackel soll die Symbolfigur des Kulturwandels werden. „Es gibt zu viele Jasager im Konzern“, heißt es aus Höttges' Umfeld.

Traum vom Digitalisierer der deutschen Wirtschaft

Die größten Chancen auf zusätzliches Umsatzwachstum rechnet sich die Telekom mit netznahen Diensten wie dem sogenannten Cloud Computing aus. Der Trend, Software nicht mehr zu kaufen, sondern über das Web nutzungsabhängig zu mieten, ist einer der wichtigsten Wachstumstreiber der IT-Industrie. Marktforscher wie die Pierre Audoin Consultants (PAC) in München rechnen allein in Deutschland bis 2019 mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 26 Prozent auf dann 25 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2015 waren es knapp zehn Milliarden Euro.

Die Telekom spricht angesichts solcher Wachstumsraten bereits vom „Wirtschaftswunder 4.0“, ist aber letztlich in einem arg zersplitterten Markt auch nur einer von vielen Spielern. Die Cloud-Umsätze der Telekom stiegen zwar im vergangenen Jahr von 1,0 auf 1,4 Milliarden Euro. Der Marktanteil liegt damit aber nur bei 14 Prozent.

Höttges’ Traum, mit der Telekom zum Digitalisierer der deutschen Wirtschaft aufzusteigen, ist alles andere als ein Selbstläufer. Vor allem bei Mittelständlern und Familienunternehmen gilt es noch Vorbehalte abzubauen, bevor sie sensible Daten externen Anbietern anvertrauen. „Ich gehe davon aus, dass die digitalen Geschäftsplattformen, die die Grundlage von Industrie 4.0 sind, eher bei Unternehmen wie Trumpf eingerichtet werden als bei großen IT-Dienstleistern wie Google oder Telekom“, sagt Trumpf-Geschäftsführer Mathias Kammüller.

T-Systems-Chef Reinhard Clemens, im Telekom-Vorstand auch für die Cloud-Geschäfte verantwortlich, ist überzeugt, dass solche Alleingänge eher die Ausnahme bleiben. Denn viele Unternehmen könnten sich den Aufbau der dafür benötigten IT-Landschaft gar nicht leisten. Das Herzstück seiner Telekom-Cloud, das im Juli 2014 eröffnete hochsichere Rechenzentrum in Biere bei Magdeburg, ist nahezu ausgebucht.

Telekoms Projekt "Null Fehler" als ambitioniertes Ziel

Die Idee, das auch die durch die Snowden-Enthüllungen in Verruf geratenen amerikanischen IT-Giganten die Speicherstätte als Lagerplatz für Daten ihrer deutschen Kunden einsetzen dürfen, kommt so gut an, dass die Telekom noch in diesem Jahr die Kapazitäten durch ein zweites baugleiches Rechenzentrum an gleicher Stelle massiv aufstocken wird.

Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, hat die Telekom allerdings ein äußerst ambitioniertes Projekt gestartet. Zum ersten Mal will ein IT-Unternehmen das Ende der Achtzigerjahre in den USA bei General Electric und Motorola entwickelte Qualitätssteigerungsprogramm, das unter dem Schlagwort Six Sigma Furore machte, auf die IT-Welt übertragen. Die nicht ganz von Größenwahn freie Idee: In der bisher sehr störanfälligen Software- und Internetwelt will die Telekom Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit der künftig noch stärker vernetzten Produkte und Prozesse auf 99,99 Prozent steigern. Bisher schien das technisch unmöglich.

Als die Telekom das Projekt zero outage (zu Deutsch: null Fehler) 2010 startete, sollte der alte Programmierer-Grundsatz Quick and Dirty ein für alle Male verdammt werden. Programmierer mussten lernen, disziplinierter und gründlicher zu arbeiten. Passiert trotzdem ein Fehler, wird er so genau analysiert, dass er sich nicht wiederholen kann. Auch den Lieferanten werden so strenge Vorgaben ins Pflichtenheft geschrieben, dass die Unternehmen, die sie nicht einhalten, keine Folgeaufträge mehr bekommen. „Die Zahl der Großstörungen hat sich um 95 Prozent reduziert“, sagt Qualitätsvorkämpfer Stephan Kasulke.

Muss Deutschland wirklich Milliarden in den Glasfaser-Ausbau investieren, um schnelles Internet zu haben? Eine interne Telekom-Prognose weckt erstmals Zweifel: Die Kupferkabel könnten noch zehn Jahre halten.
von Jürgen Berke

Früher hätte der Telekom-Vorstand solch ein Projekt geheim gehalten, um den Wettbewerbsvorteil möglichst lange auszukosten. Die neue Telekom der Ära Höttges gibt solche Internas heraus. Denn die Telekom will auch gesamtwirtschaftliche Verantwortung übernehmen. Wenn all die großen Digitalprojekte in der Fabrik 4.0 und im Internet der Dinge permanent einstürzen, weil unausgereifte Software zu viele Schwachstellen besitzt, dann legen die Verantwortlichen die Transformation auch schnell wieder auf Eis. Die IT-Branche würde das Fundament, auf dem all die kühnen Wachstumsprognosen beruhen, untergraben.

Zu schwach für die Trendwende?

Die Telekom hat deshalb eine branchenweite Debatte losgetreten. „Wir müssen das Null-Fehler-Prinzip zum Gütesiegel und Marktstandard entwickeln“, sagt Kasulke. „Sonst nimmt die Zahl der IT-Störungen weiter zu.“

Die Telekom allein fühlt sich nicht stark genug, diese Trendwende herbeizuführen. Mit möglichst vielen großen IT- und Softwareanbietern will sie ein Konsortium gründen, das ein wichtiges Ziel verfolgt: „Ich wünsche mir einen Baukasten mit fehlerfreien Komponenten für superkritische Systeme“, sagt Kasulke. Dann können normale Kunden IT-Produkte und -Dienstleistungen einkaufen, die sonst nur die US-Army und die Nato bekommt.

Das Projekt zeigt aber auch: Die Telekom tritt viel selbstbewusster gegenüber den IT-Giganten auf. Früher wäre sie blind vor Respekt allen Ideen aus dem kalifornischen Silicon Valley gefolgt. Jetzt dreht sie zum ersten Mal den Spieß um und spielt ihre Einkaufsmacht aus. Auch US-Firmen müssen die Software in einer Qualität liefern, wie sie die Telekom vorschreibt. Selbst auf der globalen Bühne ist die Telekom auf einmal doch nicht mehr ganz so winzig, wie Höttges gerne suggeriert.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%