Dass es sich bei solchen Fragen nicht um einen akademischen Diskurs handelt, ist seit ein paar Tagen klar. Mitte August beteiligte sich der Web-Dienstleister United Internet aus Montabaur mit 10,7 Prozent an Rocket Internet und lieferte nebenbei ein finanzakrobatisches Meisterstück ab.
Auf dem Papier musste United Internet die stolze Summe von 435 Millionen Euro für das Aktienpaket berappen. Einen Teil davon – nämlich 102 Millionen Euro – zahlte das Unternehmen aber nicht bar. Stattdessen erhielt Rocket Internet allerlei Start-up-Beteiligungen. Die Anteile stammten aus einer gemeinsam geführten Gesellschaft von United Internet und Global Founders, dem Privatfonds der Samwers.
Erstaunlich: In den eigenen Büchern hatte United Internet diese Anteile nicht mit 102 Millionen Euro bewertet, sondern nur mit 30 Millionen Euro. Das explosionsartige Plus erklärt ein United-Internet-Sprecher mit einer „Neubewertung“ der Beteiligungen. Davon profitierten auch die Samwers. Denn auch sie gaben ihre gemeinsam mit United Internet gehaltenen Anteile an den Start-ups im Tausch gegen zusätzliche Rocket-Internet-Aktien ab – ein klassischer Samwer-Deal.
Etwas getrickst
Noch 35 Minuten bis zum Abflug. Der Taxifahrer steuert schweigend durch den Berliner Feierabendverkehr, vorbei an Häuserschluchten, Imbissbuden und Spielcasinos. Hier, mitten in der Hauptstadt, begann der Fabelaufstieg der drei Dotcom-Brüder.
1999 startete das Trio in einer Bürogemeinschaft in Berlin-Mitte Alando. Das Unternehmen sollte den Markt für Online-Auktionen aufmischen, ein deutsches Ebay werden. Schnell kristallisierte sich die Rollenverteilung innerhalb der Bruderschaft heraus: Oliver Samwer ist Anführer der Formation, Alexander der Stratege und Marc der Diplomat. Gemeinsam ist ihnen der unbändige Siegeswille. Um mehr Angebote auf die Alando-Web-Site zu bekommen, vertickten die Brüder anfangs Teile ihres Jugendzimmerinventars samt Baseballhandschuh und Modelleisenbahn.
Auch bei der Beschaffung der notwendigen Technik und der Finanzierung des Projekts waren sie nicht zimperlich. „Da mussten wir etwas tricksen“, räumte Oliver Samwer später ein. „Den Venture-Capital-Gesellschaften haben wir erzählt, die Technologie sei schon so gut wie installiert. Und die Technologiefirmen haben wir überzeugt, dass die Finanzierung schon so gut wie gesichert ist.“
Die Idee ging auf: Nach wenigen Monaten übernahm Ebay den Laden – und machte die Samwers zu Millionären. Das systematische Kopieren, Ausrollen und schnelle Weiterverkaufen von erprobten Online-Konzepten wurde fortan zu ihrem Geschäftsmodell. Alando gab die Blaupause ab: voller Einsatz, waghalsiges Tempo und mitunter ein paar Tricks.
Wann immer sich ein neuer Trend im Netz abzeichnete, schickten die Samwers nun einen deutschen Nachbau ins Rennen. Mit Rocket Internet konstruierten sie 2007 eine Plattform, um diesen Kopier- und Ausrollprozess vollends zu industrialisieren. Statt Waren laufen bei Rocket Internet-Start-ups vom Band. Unternehmen wie die Partnerbörse eDarling, der Kosmetikversender Glossybox, die Möbelhändler Home24, die Online-Bettenbörse Wimdu und der Kreditvermittler Lendico entstanden – allesamt inspiriert von Wettbewerbern. Die Kopiermasche sorgt denn auch für Empörung. Als „niedrigste Form von Müll“, beschimpfte etwa die US-Web-Koryphäe Jason Calacanis das Vorgehen der Samwers.
Die sind von den Klon-Vorwürfen genervt. Ideen gebe es schließlich wie Sand am Meer, sagt Oliver Samwer. Auf die Umsetzung komme es an. Dabei macht ihm niemand etwas vor.