Dass Microsoft die Smartphone-Sparte von Nokia eines Tages übernehmen könnte, liegt schon seit Jahren in der Luft. Hätte sich der Smartphone-Hersteller nicht für den Einsatz von Windows Phone statt Symbian als Betriebssystem für die Lumia-Reihe entschieden, hätte es schon zum Zeitpunkt der Kehrtwende zu einer Übernahme kommen können. Das war zumindest der Plan B für Microsoft. Der weltgrößte Handyhersteller wollte Windows Phone vor allem mit Hilfe der Finnen an den Markt bringen. Das ist inzwischen gelungen.
Nun also auch die Übernahme. Das Geschäft soll Anfang 2014 abgeschlossen werden. Neben Nokia-Chef Stephen Elop werden weitere 32.000 Mitarbeiter zu Microsoft wechseln. Wie viele davon in Redmond bei Seattle eine Zukunft haben, ist bisher ungewiss. Die Übernahme wirft jede Menge Fragen auf. Die wichtigsten Antworten:
Warum hat Microsoft Nokia gekauft?
Microsoft kann sich mit dem Kauf der Nokia-Handysparte ganz neu am mobilen Markt positionieren. Der weltweit größte Softwarekonzern wird damit zum Smartphone-Hersteller. Anvisiert ist ein Marktanteil von 15 Prozent bis 2018, heißt es in einer Präsentation für Analysten, in der Microsoft die 5,4 Milliarden teure Übernahme erklärt. Bisher liegt der Anteil bei 3,7 Prozent.
Bereits ab dem Geschäftsjahr 2015 soll sich der Kauf positiv auf den Gewinn auswirken. Die Marge pro verkauften Smartphone erhöht sich von unter zehn US-Dollar, die Microsoft im Rahmen der aktuellen Partnerschaft mit Nokia erhält, auf über 40 Dollar – so zumindest die Prognose des Konzerns.
Der Deal ähnelt dem vor zwei Jahren verkündeten Kauf von Motorola durch Google und zeigt, dass die großen Hersteller sich im Kampf um Marktanteile neu einrichten. Denn wie insbesondere Apple mit seinem Megaseller iPhone samt Ökosystem App Store bewiesen hat, ist im Handy-Geschäft die möglichst durchgängige Kontrolle der kompletten Wertschöpfungskette – also der Hardware/den Geräten sowie der Software/des Betriebssystems – wichtig für den Erfolg.
Mit dem jetzigen Schritt zieht Microsoft also mit den Marktführern im Smartphone-Geschäft Apple und Google gleich. Den Schritt zum voll integrierten (Mobilfunk-) Konzern hatte auch Sony im Frühjahr 2012 vollzogen und das Handygeschäft Sony Ericsson vom Joint-Venture-Partner Ericsson wieder ins eigene Haus eingegliedert. Der Deal war damals 1,05 Milliarden Euro schwer. Gemessen an den nicht mal zwei Prozent Marktanteil die Sony Ende 2012 noch am globalen Handygeschäft hatte, zahlt Microsoft damit für Nokias Handygeschäft pro Prozent Marktanteil fast vier Mal so viel wie Sony 2012 an Ericsson.
Welche positiven und negativen Seiten hat der Kauf für Microsoft?
Der Deal umfasst neben dem Kauf der Mobilfunksparte für 3,79 Milliarden Euro auch eine Patent-Lizensierung durch Microsoft für 1,65 Milliarden Euro. Das ist verglichen mit den zwölf Milliarden Dollar, die Google für Motorola bezahlt hat, sehr günstig – zumal das Patent-Portfolio von Nokia als viel wertvoller gilt als das von Motorola. Microsoft dürfte hoffen, mit einer Handy-Sparte unter dem eigenen Firmendach schneller agieren zu können, als dies bisher mit zwei unabhängigen Partnern möglich ist. Denn Geschwindigkeit ist gerade im äußerst hoch getakteten Smartphone-Geschäft kriegsentscheidend.
Ob sich die Beschleunigung allerdings wunschgemäß einstellt, ist zumindest fraglich. Erst Ende Juli hatte Bryan Biniak, Nokias Chef der App-Entwicklung, moniert, dass Microsoft seine Windows-Phone-8-Platform nicht zügig genug weiter entwickle.
Negativ dürfte sich der Deal aber auch dadurch auswirken, dass Microsoft die anderen Lizenznehmer von Windows Phone 8, also vor allem HTC, Samsung und LG, noch mehr verprellt als bisher. Bereits aktuell stammen vier von fünf Windows-Smartphones von Nokia. Steve Ballmer hat bereits versucht die Wogen zu glätten und angekündigt, dass auch andere Hersteller Windows-Phones bauen lassen.
Ist der Preis gerechtfertigt?
Nokia befindet sich mitten in einer Umstrukturierungsphase. Die Finnen haben ob der vergangenen Umsatzzahlen Bescheidenheit lernen müssen. Die brachen im Frühjahr um fast ein Viertel ein. Und das nicht nur bei den High-End-Geräten sondern vor allem der Verkauf der Einfach-Handys in den Schwellenländern nahm rapide ab.
Zudem hat Nokia erst im Frühjahr den 50-Prozent-Anteil des Münchener Industriekonzerns Siemens an der gemeinsamen Netzwerktochter Nokia Siemens Networks für 1,7 Milliarden Euro komplett übernommen. Die Investition schlug zu Buche. Unterm Strich bewertete die Börse danach die komplette Handysparte von Nokia mit nicht einmal vier Milliarden US-Dollar. In dem Wert enthalten sind das globale Vertriebsnetz sowie die Marke und alle Fabriken. So gesehen, hat Microsoft sogar noch drauf gelegt.
Welche Schwächen hat der Handy-Hersteller?
Nokia war einst die unantastbare Nummer Eins am Handymarkt. Noch immer finden sich unter den meistverkauften Mobiltelefonen aller Zeiten neun Nokia-Handys. Ungeschlagen an der Spitze steht bis heute das Nokia 1110. Es kam 2005 auf den Markt und wurde weltweit 250 Millionen Mal verkauft. Bis Mitte der 2000er galt Nokia als Must-Have-Marke. Doch 2007 stellte der damalige Apple-Chef Steve Jobs das erste iPhone vor und krempelte damit den Markt um. Innerhalb von eineinhalb Jahren halbierte sich der Marktanteil von 40 auf 20 Prozent. Heute sind die Finnen nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe. Und damit kämpft Nokia bis heute. Umstrukturierungen und Entlassungen haben den Konzern ordentlich durchgeschüttelt.
Gründe für den Absturz des einstigen Marktführers gibt es mehrere. Apples wichtiger Anbindung an den iTunes-Store hatte Nokia nur wenig entgegenzusetzen. Das einfache und legale Herunterladen von Musik direkt auf das Handy war eines der wesentlichen Kaufargumente für das iPhone. Nokia versuchte ähnliches mit dem Angebot „Come with Music“, das jedoch floppte. Ebenso der Deal mit Nokias Online-Shop „Ovi“, der nur für Käufer bestimmter Handys möglich war.
Bis heute leidet der Konzern daran, nicht rechtzeitig den Schwenk zu intuitiv bedienbaren Smartphones vollzogen, sondern sich zu lange auf technisch beeindruckende aber kaum massentaugliche High-Tech-Telefone konzentriert zu haben.
Zudem zieht sich der Schwenk auf eine einheitliche Softwareplattform immer noch hin. Zwar hat sich Nokia inzwischen von der alten Symbian-Plattform verabschiedet und fährt eine konsequente Doppelstrategie – Windows Phone für Smartphones, Series 40 für billige Standard-Handys, speziell fürs Niedrigpreissegment in Wachstumsmärkten. Doch da die Kunden auch dort zunehmend mehr nach (billigen) Smartphones verlangen, gerät Nokia in diesen Märkten immer mehr unter Druck. Vor r allem chinesischer Anbieter wie Huawei oder ZTE, die ihre billigen, für den nationalen Markt entwickelten Multimedia-Handys auf Android-Basis nun auch in den anderen Wachstumsmärkten anbieten, haben Nokia den Rang abgelaufen.
Hard- und Software aus einem Haus: Greift Microsoft jetzt Apple an?
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass Microsoft noch meilenweit davon entfernt ist eine ernstzunehmende Konkurrenz für Apple zu werden. 31,2 Millionen iPhones sind im dritten Apple-Geschäftsquartal 2013 (bis Juni) verkauft worden. Im gleichen Zeitraum griffen die Kunden weltweit 7,4 Millionen Mal zu Windows Phones von Nokia. Sonderlich schnell wird sich das auch nicht ändern. Die Apple-Kunden steigen nur sehr selten auf ein anderes Betriebssystem um. Die iOS-Welt ist mit weiteren Geräten wie dem Mac, Macbook, iTV und dem iPad insgesamt sehr geschlossen.
Denn die großen Wachstumssprünge für Apple sind vorbei. Nokia hingegen konnte in seinem zweiten Quartal um fast ein Drittel zulegen - vor allem aufgrund des erfolgreichen Verkaufs der Lumia-Reihe. Mit dem Kauf des Handykonzerns ist es Microsoft gelungen, Software- und Hardware unter einem Dach zu vereinen. Außer Apple - und inzwischen mit ersten Geräten auch Google – kann diesen Vorteil kein anderer Hersteller ausspielen. Die meisten kooperieren mit Google und verwenden dessen Betriebssystem Android. Wie sehr Kunden Produkte „aus einem Guss“ schätzen, zeigt der Erfolg von Apple. Spannend wird, was Microsoft künftig aus diesem neuen Vorteil macht.
Wird Windows-Phone konkurrenzfähiger?
Schon heute ist Windows Phone besser als sein Marktanteil. Das von Microsoft entwickelte Bedienungskonzept der sogenannten Live-Tiles war wegweisend und wurde inzwischen sowohl von Apple als auch von Google in die eigenen Programme übernommen. Bei Live-Tiles handelt es sich um individuell anpassbarer Programm-Symbole auf der Startseite, die sich dynamisch aktualisieren und so - auch ohne Aufruf der eigentlichen Anwendungen – Informationen über eingegangene Nachrichten, Kalendereinträge oder Status-Updates aus Sozialen Netzen ermöglichen.
Auch das für die Plattform verfügbare App-Angebot umfasst inzwischen rund 165.000 Programme zum Nachladen aus dem Windows-Phone-Store. Sehr viele der beliebtesten Apps, die es für iOS und Android gibt, sind inzwischen auch für Windows Phone 8 verfügbar. Allerdings hapert es an manchen Stellen noch. So blockiert etwa Google aktuell die Youtube-App für Windows Phone wegen angeblicher Verletzung der Nutzungsbedingungen. Auch sind die Apps zwar vorhanden, aber in ihrer Steuerung noch lange nicht so ausgereift, wie die Produkte aus dem Apple- oder Google-Store. Ein unmittelbarer Gewinn an Konkurrenzfähigkeit ist daher durch den Kauf nicht zu erwarten.
Wird Stephen Elop Microsoft-Chef?
Schon vor der Ankündigung des Kaufs galt Stephen Elop als einer der Favoriten für die Nachfolge von Microsoft-Boss Steve Ballmer. Immerhin hat der Ex-Microsoft-Manager Elop jahrelang unter Ballmer gearbeitet und kennt den Konzern bestens. Wie eng die beiden auch in den vergangenen Jahren zusammen gearbeitet haben, zeigt sich an der Milliardensumme, die Ballmer jedes Jahr als Marketing- und Forschungszuschuss ins finnische Espoo überwiesen hat.
Neben den 32.000 Nokia-Mitarbeitern in der Handy-Sparte wechselt auch Elop zu Microsoft – das dürfte seine Chancen auf den Microsoft-Chefsessel weiter erhöhen. Auch, dass er nicht nur bei Microsoft das Businessgeschäft höchst erfolgreich geführt und ausgebaut hat, sondern inzwischen ebenso exzellent mit dem für den Konzern so zukunftskritischen Geschäft mit Smartphones vertraut ist, spricht für seine – zumindest mittelfristige – Beförderung an die Spitze.
Doch noch bleibt etwas Zeit. Steve Ballmer will im Laufe der kommenden zwölf Monate vom Posten des Microsoft-Chefs zurücktreten. Der Aufsichtsrat hat angekündigt, dass sowohl interne als auch externe Kandidaten für die Nachfolge berücksichtigt werden.
Was wird aus Nokia?
Nokias Aufsichtsratschef Risto Siilasmaa wird kommissarisch die Leistung des Konzerns übernehmen. Ihm bleiben noch drei Sparten: NSN (Nokia-Siemens-Networks), Netzwerk-Infrastruktur und –Services, Here, Karten- und Ortungs-Services und Advanced Technologies, Technologie-Entwicklung und –Lizensierung.
NSN wird künftig das Kernstück des Unternehmens, und am meisten Arbeit machen. Gerade erst hatte Nokia die 50-Prozent-Anteile von Siemens übernommen. Die Sparte erholt sich zwar langsam, fährt aber unter dem Druck asiatischer Billiganbieter weiter Verluste ein. Geplant ist der weitere Ausbau des LTE-Netzes in Europa – und was auch immer danach kommt. Um Zukunftstechnologien wird sich die Sparte Advanced Technologies kümmern. Hier wollen die Finnen neue Geschäftsmodelle ausloten und in den Bereichen Vernetzung, Sensortechnik und Material forschen.
Alle Hoffnungen auf Profit liegen auf dem Kartendienst „Here“. Die Karten werden nicht nur Smartphones sondern auch in GPS- und Navigationsgeräten verbaut. Für etliche Autobauer ist Nokia auf diesem Bereich zu einem interessanten Partner geworden. Entsprechend interessiert war Steve Ballmer auch daran, die Sparte gleich mit zu übernehmen, um sie vermutlich mit der Suchmaschine Bing zu verknüpfen, die ebenfalls zu Microsoft gehört. Am Ende blieb der Kartendienst bei den Finnen, und Microsoft der wichtigste Kunde, die bestehende Zusammenarbeit wird aber fortgesetzt. Dafür fließen laufende Lizenzzahlungen.
Welche Auswirkungen hat der Deal auf die Aktienkurse?
Nokia-Aktie geht nach Microsoft-Deal durch die Decke
Die Meinungen an der Börse sind einhellig: Nokia nützt der Deal wesentlich mehr als Microsoft. Der Kurssprung um 40 Prozent nach oben ist dabei nur Ausdruck der nun um 5,4 Milliarden Euro verlängerten Bilanz. Da Nokia bereits vor dem Verkauf der Mobilfunksparte auf einigen Milliarden Euro Cash saß, teil sich der aktuelle Kurs von rund vier Euro für die Aktie wie folgt auf: zwei Euro entfallen auf den nun sehr hohen Bargeldbestand, ein Euro auf die Karten-Sparte Here und ein Euro auf den Wert der Nokia-Patente. Spötter bezeichnen Nokia deshalb schon als eine Bank mit angeschlossener Netzwerksparte, die Aktionäre bei einem Kauf zum jetzigen Kurs quasi gratis dazu bekommen. Das ist fair, schließlich verdient Nokia mit der Netzwerksparte zurzeit kein Geld.
Für Mutige ergibt sich daraus eine spannende Spekulation: Gelingt es Nokia, im Netzwerkgeschäft das Ruder herumzureißen, hat die Aktie auf Sicht von sechs bis zwölf Monaten gute Chancen, weitere Höhen zu erklimmen. Das Risiko für Nokia-Aktionäre, dass die Aktie wieder abstürzt, ist durch die gehorteten Milliarden zumindest mittelfristig gering. Angesichts der enormen Bargeldsummen bleibt jedoch die Frage, ob die Finnen in der Lage sind, diese klug zu investieren. Kurzfristig könnten auch Gewinnmitnahmen den Kurs etwa belasten. Wer mit Nokia-Papieren nun deutlich im Plus liegt, kann das ebenfalls tun. Mittel- bis langfristig bleibt der Wert chancenreich.
Routine bei Microsoft
Für Anleger, die auf Microsoft-Aktien setzen, hat sich eigentlich nicht sehr viel geändert. Sicherlich eröffnet der Nokia-Mobilfunk dem Softwaregiganten gemeinsam mit seiner großen Vertriebskraft und enormen Cash-Reserven neue Möglichkeiten. Andererseits sind Microsoft im Markt für mobile Betriebssysteme schon längst die Felle davon geschwommen. Bei der Hardware sind die Smartphone- und Tablet-Wettbewerber Microsoft ebenfalls weit enteilt. So einen richtigen Schub wird der Deal also nicht bringen, bestenfalls eine Nische könnte Microsoft mit dem Nokia-Zukauf noch besetzen.
Andererseits ist die Aktie gemessen an den Unternehmenszahlen geradezu billig. Zwar gehen die Wachstumsraten zurück, dafür sitzt Microsoft auf 51 Milliarden Dollar Cash-Reserven – und zahlt die Übernahme entsprechend in bar. Durch die Übernahme dürfte der Umsatz um knapp ein Fünftel zulegen, schätzen die Analysten von Independent Research. Im Gegenzug dürfte die Nettogewinnmarge, die noch bei 28 Prozent liegt, Federn lassen. Unter Anlegern ist die Microsoft-Aktie zudem beliebt, weil der Konzern zuverlässig eine Dividende zahlt, die in den vergangenen Jahren noch dazu stetig anstieg. Für Aktionäre ist das Risiko nach unten begrenzt, schließlich gibt der Konzern bei Bürosoftware und PC-Betriebssystemen immer noch den Ton an und verdient prächtig damit. Die Microsoft-Aktie startete nach Bekanntwerden des Deals anfangs im Plus. Offenbar bewerteten Anleger den Kaufpreis für Nokia zunächst als günstig. Später drehte das Papier jedoch ins Minus – wie es bei Aktien auf der Käuferseite einer großen Firmenübernahme häufig zu beobachten ist. Das Minus von knapp fünf Prozent könnte sich langfristig als Kaufgelegenheit erweisen.