Über Zuzenhausen, einem 2000-Einwohner-Dorf bei Heidelberg, braut sich ein Gewitter zusammen, als Peter Görlich die Tür zur Zukunft öffnet. Der verdunkelte Raum, den der Geschäftsführer des Bundesligaclubs TSG Hoffenheim betritt, hält die Schwüle ebenso fern wie er Einflüsse von außen auf ein Minimum reduziert.
Die Fenster sind verhangen, wer Wimpel oder vergilbte Mannschaftsfotos erwartet, sucht vergebens. Stattdessen nimmt ein Bildschirm eine gut sechs Meter breite Wand ein; um einen Tisch ist ein Dutzend blaue Kunstleder-Stühle gruppiert. Die Tischplatte besteht aus einem Hightech-Touchscreen, sie wirkt, als stamme sie aus einem James-Bond-Film. „Digital boardroom“, nennt Görlich seine Kommandozentrale.
Egal, was der 50-jährige Manager wissen will – von den Leistungswerten seiner Profis über den Stand des Kartenvorverkaufs bis zu den TV-Einnahmen aus der Champions League –, alles kann er auf dem Bildschirm aufrufen, sichtbar machen, in Beziehung setzen. „Geschwindigkeit ist entscheidend“, sagt Görlich, „und damit sind wir der Branche um einige Jahre voraus.“
Tatsächlich bildet der von gegnerischen Fans oft als seelenlose Laborschöpfung verschriene Club, der sich gerade für die Champions League qualifiziert hat, die Speerspitze der Digitalisierung des Fußballs in Deutschland.
Big Data und Datenanalyse, Begriffe aus der Welt der Großkonzerne, Banken und Internetgiganten, machen sich breit im Volkssport – nicht nur in den Ligen, auch bei den Nationalmannschaften. Künstliche Intelligenz werde „künftig eine große Rolle spielen“, sagt Nationalteammanager Oliver Bierhoff. „Im traditionellen Fußball hören das die Leute nicht gerne.“ Der Talentscout, der ewig rastlos über die Fußballplätze der Welt reist, um junge Spieler zu entdecken: ein Auslaufmodell.
Unternehmen verspricht das einen lukrativen Wachstumsmarkt. Weltweit aktive Statistik- und Analysefirmen wie OptaPro, Stats und Wyscout sammeln Daten und werten sie aus. Wett-Syndikate wie Smartodds und Starlizard steigen in das Fußballmanagement ein. Auch der Dax-Konzern SAP mischt mit. 40 Mitarbeiter kümmern sich um 1600 Kunden aus dem Bereich Sport und Entertainment; bereits 18 deutsche Proficlubs nutzen SAP-Software nicht nur für das Ticketmanagement, sondern auch für Training und Taktik. Für die Nationalspieler, die in Russland um den WM-Titel kicken, programmierten die Experten eine Software, die das Stärken-Schwächen-Profil jedes Spielers ins Verhältnis zum Gegner setzt. Neben Ruhm und Ehre hofft SAP-Manager Fadi Naoum auf Geschäfte: „Wir sehen großes Potenzial im Bereich Sport.“
Zusammen arbeiten sie, für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar, an einem tollkühnen Ziel – sie wollen den Fußball beherrschbar machen, den Zufall und das Glück bezwingen. Der Konkurrenzkampf in dem Milliardenbusiness wird immer härter. Vereine und ihre Geldgeber suchen nach Wegen, ihre steigenden Investitionen abzusichern. Immer detailliertere Spielerdaten sollen millionenteure Transferentscheidungen rational begründen und Flops vermeiden. Big Data soll helfen bei der Suche nach der Erfolgsformel.
Der Anstoß dazu kam, wie so oft, aus den Vereinigten Staaten. Dort hatte der Autor Michael Lewis in seinem 2003 erschienenen und mit Brad Pitt verfilmten Buch „Moneyball“ die wahre Geschichte des Baseball-Managers Billy Beane aufgeschrieben. Beane machte das Beste aus einem schmalen Budget, indem er ein mithilfe von Leistungsdaten zusammengestelltes Team von Nobodys zur Meistertruppe machte.
In der Folge hielten Datenspezialisten und Analysten Einzug in US-Proficlubs. Über Umwege landete das Konzept im Fußball. Mit einem großen Unterschied: Fußball ist viel weniger berechenbar als Baseball, ein vergleichsweise statisches Spiel mit vielen Standardsituationen. Das musste im November 2013 auch SAP-Manager Naoum feststellen: „Bei einem ersten Versuch mit Sensoren, die wir bei der A-Jugend einsetzten, hatten wir am Ende 76 Millionen Datenpunkte gesammelt – nur: Was macht man damit?“ Noch fehlte die Möglichkeit, Verbindungen zwischen Daten herzustellen, aus ihnen Schlüsse zu ziehen.
Kicken im Footbonauten
Für Hoffenheim-Geschäftsführer Görlich markiert ein hallengroßer Apparat auf dem Trainingsgelände die Trendwende. Eine dramatische Fanfare ertönt, als der studierte Sportwissenschaftler den sogenannten Footbonauten betritt. Aus vier Richtungen lässt sich der drahtige Görlich willkürlich Fußbälle zuspielen. Ein Pfeifton kündigt sie an, Lichter markieren eines von 64 Feldern an der Wand, das er treffen muss.
Schauen, stoppen, schießen – nach drei Minuten liest Görlich sein Ergebnis auf dem Tablet: eine Trefferquote von 73 Prozent, pro Ball brauchte er 3,4 Sekunden. „Unsere Profis machen das in zwei Sekunden“, lacht der Manager, „damit wäre ich durchgefallen.“
Für ihn ist das Gerät, das der Berliner Unternehmer Christian Güttler erfand und von dem es weltweit nur drei weitere gibt – in Dortmund, Katar und Kasachstan –, mehr als nur ein Trainingsautomat: „Der Footbonaut ist das Paradebeispiel für Digitalisierung im Fußball.“ Das Gerät liefert massenhaft Daten. In Hoffenheim haben sie erst in den vergangenen Jahren gelernt, aus diesen die richtigen Schlüsse zu ziehen, aus Zahlen Informationen zu machen. Erst das verschafft Wettbewerbsvorteile.