Digitalkonferenz DLD Auf der Suche nach dem europäischen Weg in die Digitalisierung

Zum 16. Mal lädt Burda zur Innovationskonferenz DLD (Digital Life Design) nach München. Quelle: dpa

Seit 2005 pilgert die Digitalszene im Januar zur Burda-Digitalkonferenz DLD nach München. Wirkliche Aufbruchstimmung will im Zeitalter von diskriminierenden Algorithmen und übermächtigen Digitalkonzernen aus den USA und China dieses Jahr jedoch nicht aufkommen.

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Bereits zum 16. Mal eröffnete am Samstag DLD-Mitorganisatorin Steffi Czerny die größte Digitalkonferenz ihrer Art in Europa: „Wir dürfen nicht bloß Chancen und Herausforderungen ansprechen“, appellierte sie an die gut 3000 Besucher in der Alten Kongresshalle in München oberhalb der Theresienwiese. „Sondern es gehe nun um konkrete Pläne und messbare Auswirkungen.“

Daher wolle sie die diesjährigen Konferenzbesucher ermutigen, das Lamentieren endlich sein zu lassen und stattdessen mit Handlungen vorzupreschen. Dazu brauche man nicht immer im globalen Maßstab denken – stattdessen sollte jeder vielmehr sein nahes Umfeld im Visier haben, und dort erste Veränderungen anstreben. „Habt keine Angst vor dem ersten Schritt“, beschwor Czerny ihre Zuhörer.

Damit knüpfte die Erfinderin der Digitalkonferenz aus dem Hause Burda nahtlos an die letztjährige Veranstaltung an: Schon 2019 war die Organisationstruppe um Steffi Czerny, bemüht, der Digitalszene in Europa eine neue positive Grundhaltung einzuhauchen: „Optimismus und Mut“, so das mantrahaft beschworene Motto der DLD19 – wobei von Aufbruchstimmung im Januar des Vorjahres tatsächlich nur wenig zu spüren war.

Wenig verwunderlich also, dass Czerny genau hier in ihrer Rede einhakte: „Wir gehen in diesem Jahr einen Schritt weiter“, beteuert die Burda-Chefvernetzerin. „Jeder sollte sich fragen: Was kann ich persönlich machen und zum Fortschritt beitragen.“ Oder als DLD-Motto: What are you adding?

Wie schwer Optimismus und Voranschreiten dann aber in der Praxis tatsächlich hinzubekommen sind, zeigte sich im weiteren Verlauf des ersten Tages: Die ghanaisch-kanadische Informatikerin und Digitalaktivistin am MIT Media Lab Joy Buolamwini hat im Rahmen ihrer Forschung untersucht, wie voreingenommen Künstliche Intelligenz (KI) für Gesichtserkennung arbeitet.

Dafür hat sie unter anderem analysiert, wie gut die Algorithmen von IBM, Microsoft und Face++ das Geschlecht von Gesichtern vorhersagen. Das Ergebnis: „Dunklere Frauen wurden am schlechtesten erkannt“, so Buolamwini ernüchtert. Immerhin, ihre Erfahrung hat sie in Form eines Gedichts mit dem passenden Titel „Hey KI, bin ich keine Frau?“ verarbeitet.

Auch auf der politischen Ebene überwogen gestern eher die nachdenklichen Töne: „Gegenwärtig ist Europa auf dem besten Weg, eine digitale Kolonie der USA oder Chinas zu werden“, sagte der CDU-Europapolitiker Axel Voss, der sich wegen seines Einsatzes für Upload-Filter und Leistungsschutzrecht auf EU-Ebene in der Digitalszene nicht viele Freunde gemacht hat. „Europa muss einen dritten – einen europäischen – Weg der Digitalisierung einschlagen, der auf unseren Werten in Sachen Datenschutz und Datensouveränität beruht.“

Unterstützung erhielt der umstrittene Politiker dafür ausgerechnet von Andrew Keen, einem britisch-amerikanischen Publizisten, der sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Kritiker der großen amerikanischen Digitalkonzerne und der Internet-Szene insgesamt gemacht hat, auch und gerade durch mehrfache DLD-Teilnahmen. Im direkten Wettbewerb etwa bei Social Media oder der Internet-Suche könne Europa in den Augen von Keen nicht konkurrieren – dafür seien die USA und China zu weit enteilt. Aber Europa könne mit seinen Stärken wie etwa Demokratie oder dem Schutz persönlicher Daten punkten.

„Was kann Europa beitragen?“, griff Keen das DLD-Motto rhetorisch auf – um seine eigene Antwort nachzuschieben: „Europa sollte das Prinzip der Freiheit im Internet hochhalten, denn das machen weder China – noch die USA.“

Wirklich optimistisch, dass dies gelingen kann, ist auch er nicht. Dazu hätten sich in den vergangenen Jahren viel zu deutlich die Negativthemen Autoritarismus und Desinformation ausgebreitet. „Als das Internet vor rund 40 Jahren geboren wurde, dachten wir alle, die Vielfalt an Daten werde Demokratie und Freiheit beflügeln“, so Keen. „Inzwischen zeigt sich – gerade das Gegenteil ist richtig: Je mehr die Digitalisierung voranschreitet, desto erfolgreicher werden Falschinformationen und Fake News.“

Immerhin, auf einen ist angesichts derlei kritischer Betrachtungen wie gehabt Verlass: Yossi Vardi. Der israelische Unternehmer und Investor fungiert seit den Anfangstagen der Konferenz im Jahr 2005 als DLD-Chairman – und bemüht sich dabei gerne um eine gute Stimmung der Besucher. „Ich sage Ihnen jetzt, was der wichtigste Platz auf der DLD ist: Bleiben Sie in den Gängen – und hören Sie sich keine Vorträge an“, so Vardi unter dem Gelächter seiner Zuhörer. Und hebt den vergleichsweise hässlichen, brettchengroßen Konferenzausweis hoch, wie ihn jeder um seinen Hals baumeln hat. „Das ist kein Badge, sondern ein sozialer Vertrag – damit laden Sie andere ein, Sie anzusprechen.“ Besser hat in den vergangenen 15 Jahren niemand das eigentliche Motto der DLD zusammengefasst: Als große und unkomplizierte Kontaktbörse zum Austausch der Digitaljünger aus Europa, Nordamerika und Asien untereinander – tatsächlich vielleicht der wichtigste Zweck der Veranstaltung.

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