Diskriminierung bei Yahoo? Marissa Mayer und die „Minderleister“

Yahoo steht vor der Zerreißprobe. Die Gespräche über Massenentlassungen haben begonnen. Marissa Mayer kämpft gleichzeitig gegen den Abstieg, den Aufsichtsrat und gegen möglicherweise kostspielige Klagen vor Gericht.

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Auf die Yahoo-Chefin stürzen die Probleme derzeit geradezu ein. Quelle: dpa

San Francisco Die ersten 107 müssen gehen: Überall in der Zentrale von Yahoo waren am Mittwoch Konferenzräume gebucht. Wer hineingerufen wurde, der wusste, dass es ihn getroffen hat. Kara Swisher von der Silicon-Valley-Insider-Site „Recode“ weiß von „tiefen Einschnitten“ zu berichten, die sich über „weite Bereiche“ des Unternehmens hinzögen.

Es werden bis zu 15 Prozent der Belegschaft sein, hatte Vorstandschefin Marissa Mayer bei der Vorlage der Quartalsergebnissen angekündigt. Die hatten deutlich gemacht, dass ihr versprochener Turnaround bislang nicht eingetreten ist. Im Gegenteil. Der Aufsichtsrat ließ deutlich durchblicken, dass man sich auch nach Alternativen umsehe und sich einen Verkauf von Yahoo, ganz oder in Teilen, vorstellen könnte. Ein offener Affront gegen die einstige Super-Frau Marissa Mayer, einst Star bei Google. Doch Zeit und Geld werden knapp.

Deshalb nun der peinliche Personalabbau. Den Rausschmiss der erst 107 Angestellten in der Zentrale meldete der Web-Pionier, so wie es die Gesetze in Kalifornien verlangen, ordnungsgemäß beim California Employment Development Departement in einer Pflichtmitteilung an. Die Kündigungen werden zum 11. April wirksam. Die betroffenen Mitarbeiter müssen 60 Tage im Voraus informiert werden. So will es das Gesetz.

Mit dem hat Marissa Mayer es aber nicht immer so genau genommen, behauptet ein Angestellter, der Ende 2014 entlassen wurde. Er wirft der einst als rettender Engel gefeierten Vorstandschefin falsches Spiel mit manipulierten Personalbewertungen vor, um eine Massenentlassung 2014 zu vertuschen. Dafür geht er jetzt bis vor Gericht.

Gregory Anderson hat den Web-Pionier auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt, weil bei seiner Entlassung, und vielen anderen auch, geschummelt worden sei. Er behauptet, Mitarbeiter seien so wie er absichtlich schlecht bewertet worden, um sie schnell feuern zu können. Das ist alles Unfug, beteuert Yahoo. Das angewandte Personalbeurteilungssystem ermögliche Leistungsträgern im Unternehmen voranzukommen, aber helfe auch, Minderleister herauszubefördern, heißt es in einer Stellungnahme zu der Klageschrift. Aber es bleiben Ungereimtheiten, und am Ende wird das Distriktgericht in San Jose entscheiden müssen. Der finanzielle Schaden dürfte dabei für Marissa Mayer überschaubar bleiben. Aber der Imageschaden für sie und das Unternehmen könnte massiv werden.

Personalbewertungen sind überall in der Welt üblich und auch im Silicon Valley. Selbst wer an der Weltveränderung programmiert, der muss es sich gefallen lassen, an seiner Leistung gemessen zu werden. Dagegen hat Anderson auch nichts, schließlich hatte er seit seinem Eintritt bei Yahoo gute Noten, Belobigungen und Beförderungen erhalten. Doch dann nahm er 2014, mit ausdrücklicher Genehmigung der Vorgesetzten, den Ruf zu einem renommierten Stipendium an einer Universität in Michigan an und dafür eine Auszeit bei Yahoo. Danach sollte er zurückkommen.

Doch daraus wurde nichts. Obwohl weit weg von Yahoo und Sunnyvale, war er bei der quartalsmäßigen Überprüfung zum Jahresende auf einmal in die fünf Prozent der „Minderleister“ gerutscht und wurde sofort telefonisch und fristlos gekündigt. Nun klagt er dagegen. Seine Begründung: Das Bewertungssystem sei undurchschaubar und werde manipuliert, um gewünschte Ergebnisse zu produzieren. Außerdem würden unter Marissa Mayer ausdrücklich Frauen bei Beförderungen und Einstellungen bevorzugt. Das wäre Diskriminierung und in Kalifornien ein ernstes Problem.

Suzanne Phillion, Sprecherin bei Yahoo in Sunnyvale, erklärte gegenüber dem Finanzdienst Bloomberg, die Vorwürfe seinen unhaltbar. Außerdem habe Anderson im Januar schriftlich fünf Millionen Dollar gefordert. Das bestreitet Andersons Anwalt Jon Parsons gegenüber Bloomberg auch gar nicht. Das sei die Summe, die sie als Schaden ansetzten. Und er setzt mit Ziel Yahoo noch einen drauf: „Wer nichts Substanzielles zu sagen hat, der ziehst halt den Kläger in den Schmutz.“ Immerhin legte die Yahoo-Chefin einen Tag nach der Klageeinreichung Quartalszahlen vor und diesmal mit der Ankündigung echter Massenentlassungen. 1.500 Mitarbeiter oder mehr sollen gehen. Die Umsätze und Gewinne fallen weiter, eine Trendwende ist nicht in Sicht, während Konkurrent Facebook ein Umsatzplus von 50 Prozent meldet und auch Google fett im Geschäft ist und wächst.


Konsequenzen für die gesamte Personalbewerter-Branche

Ähnliche Personalsysteme wie Yahoo nutzten zum Beispiel Microsoft und General Electric. Dabei werden die bewerteten Arbeitnehmer in Gruppen eingeteilt und ein „Bodensatz“ an schlecht bewerteten Mitarbeitern, bei Yahoo die unteren fünf Prozent, gefeuert. Bei Microsoft soll das, neben krassen Fehleinschätzungen der Märkte, zu dem geführt haben, was in einem viel beachteten Artikel der Vanity Fair mit dem Titel „Microsofts verlorenes Jahrzehnt“ beschrieben wurde.

Statt sich um Weiterentwicklung der Produkte zu kümmern, wendeten Microsoft-Mitarbeiter immer mehr Zeit und Kapazitäten auf, um gegeneinander und um ihre Posten zu kämpfen. Manager sollen gezwungen gewesen sein, Mitarbeiter als Verlierer abzustempeln, obwohl sie ihre Arbeit gut machten. Irgendjemand musste einfach der Verlierer sein, um die Quote zu erfüllen. Auch General Electric hat das System aufgegeben, Amazon hingegen soll ein modifiziertes System weiterhin betreiben.

Während die meisten Unternehmen nur eine jährliche oder halbjährliche Überprüfung der Leistung durchführten, hob Marissa Mayer die Schlagzahl auf vierteljährlich an. Der Hintergrund für die Eile, so jedenfalls der Vorwurf in der Anklageschrift: Auf diesem Weg konnten unauffällig und schnell rund 600 Mitarbeiter gefeuert werden, ohne die strengen Vorgaben der kalifornischen Gesetze bei Massenentlassungen („layoffs“) einhalten zu müssen. Es waren eben nur individuelle leistungsbedingte Kündigungen, gerechtfertigt durch schlechte Arbeit.

Und ganz nebenbei wurden bei jedem Mitarbeiter 60 Tage Gehalt und Sozialleistungen gespart und negative Presse vermieden, die es bei Massenentlassungen gibt. Denn im Silicon Valley können sich Top-Leute aussuchen, wo sie hingehen, und so ein Arbeitgeber steht dann ganz hinten in der Rangliste.

Der Fall könnte Konsequenzen für die gesamte Industrie der Personaldienstleister und -bewerter in den USA haben. „Er nimmt sich wirklich die gesamte Personalbewerter-Industrie vor und die Art, wie sie ihre Arbeit machen“, so die Arbeitsrechtlerin Tamara Devitt von Haynes and Boone gegenüber der Los Angeles Times. Wenn sich solche Systeme als manipulier- und steuerbar erweisen um Entlassungen hinzubekommen, wird sich die Branche ändern müssen. Yahoo soll das System auf Empfehlung von McKinsey ins Haus geholt haben.

Derzeit hat Yahoo noch rund 11.000 Mitarbeiter. Ende 2014 waren es noch 12.500. Bereits vor dem Antritt von Marissa Mayer als Chefin 2012 hatte es größere Entlassungsrunden gegeben, einmal bis zu 2000 Mitarbeiter. Nun bis zu 1500. Für die nächsten Wochen jedenfalls werden die Belegungsquoten für die Besprechungsräume in Sunnyvale hoch bleiben.

Der Fall: Anderson v. Yahoo Inc., 5:16-cv-00527, U.S. District Court, Northern District of California, San Jose.

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