Entwicklerkonferenz Build Microsoft und Google - Showdown der Tech-Giganten

Microsoft und Google präsentieren diese Woche ihre Strategien. Microsoft legt vor und überzeugt. Die Aktie ist jetzt die Nummer zwei hinter Apple. Google ist im Zugzwang.

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Microsoft und Google – Showdown der Tech-Giganten Quelle: AP

Seattle Satya Nadella selbst brachte es am Montag gleich zu Beginn seiner Rede auf den Punkt: „Heute habe ich Bill Gates über Aktien reden gehört“, begann der CEO von Microsoft seinen Auftritt auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz Build in Seattle. „In 30 Jahren habe ich Bill nicht über Aktien reden hören. Und nun hat er über Apple-Aktien gesprochen. Das ist das neue Microsoft.“
Vom Hassobjekt zum Wohlfühlpartner: Microsoft hat eine bemerkenswerte Transformation hinter sich. Der Unterschied von Nadellas Ansprache an die über 6000 Software-Entwickler konnte größer nicht sein als zu den gigantischen und legendären Verkaufsshows seines Vorgängers Steve Ballmer.

Der jagte schon mal wie ein Irrwisch mit verschwitztem Hemd, hochrotem Kopf und heiserer Stimme von einer Seite der Bühne zur anderen und brüllte „Developer, Developer, Developer“, bis der ganze Saal mehr oder weniger freiwillig einstimmte. Es gab Microsoft und sonst nichts.

Die Branche und viele Verbraucher sagten schlicht, sie „hassten“ den übermächtigen Giganten, der zu seinen Top-Zeiten die PC-Industrie praktisch zu 100 Prozent beherrscht hat und seine Bedingungen diktierte.

Heute sagt Nadella Sätze wie „Privatsphäre ist ein Menschenrecht“ und „Wir brauchen eine künstliche Intelligenz mit Ethik“ - komplett neue Töne. Deshalb gilt Nadella auch als derjenige, der die verrosteten Tore der Festung Microsoft aufgestoßen und frische Luft rein- und rausgelassen hat.

Microsoft ist heute der größte einzelne Zulieferer zum Open-Sorce-Softwareportal Github. Open Source, als „quelloffene Software“, war für den jungen Bill Gates noch „unamerikanisch“, ein „Krebsgeschwür“ in einer Branche, die, wie Microsoft, jede Zeile ihres Softwarecodes mit Zähnen, Klauen und Heerscharen von Anwälten verteidigte. Heute kann jedermann auf Github Microsofts Software kostenlos nutzen und sogar verändern, solange er sich an die Regeln hält.

Früher war Google pauschal gut und Microsoft böse, heute müssen beide beweisen, was sie für die Gemeinschaft leisten. Googles Entwicklerkonferenz I/O beginnt am heutigen Dienstag im Silicon Valley.

Der dramatische Wandel zur Offenheit war also kein Selbstzweck. Nadella hat den 1975 gegründeten Altstar der IT-Branche radikal fit gemacht für die neue IT-Welt, in der er gegenüber dem wilden Newcomer Google und Superstar Apple schon abgeschrieben schien.

Vor vier Jahren, am 7. Mai 2014, dümpelte der Microsoft-Aktienkurs bei 39,22 Dollar. Zum Börsenschluss am Montag waren es 96,22 Dollar. Google notierte vor vier Jahren bei 523,25 Dollar, am Montag waren es 1059,46 Dollar. Ein Plus von 145 Prozent gegen 102 Prozent.

Oder in Marktkapitalisierung ausgedrückt: Microsoft hat am Montag im Top mit 739,3 Milliarden Dollar laut Yahoo-Finance Google mit 734 Milliarden Dollar abgelöst und den zweiten Platz hinter Apple erobert - vor Amazon und Facebook.
Nadellas Ansprache war eine wohlmeinende Rede, ausbalanciert zwischen Visionen, Produkten und dem Verständnis für die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die die dramatischen Veränderungen haben werden, die vor uns liegen.

Microsoft will der moralische Anführer der Branche werden

„Frage nicht, was ein Computer machen kann, frage dich, was er machen sollte“, gibt er die Richtung vor, in die sich die künstliche Intelligenz bewegen sollte. So hat er bei Microsoft eine eigene Arbeitsgruppe für Computer-Ethik besetzt. Nadella will Microsoft zu nicht weniger machen als den moralischen Anführer einer Branche, die zutiefst in Verruf geraten ist. Nicht zuletzt wegen Facebook und auch Google.
Eine ethische künstliche Intelligenz in der Cloud, Cyber-Sicherheit und Privatsphäre - diese Themen ziehen sich als roter Faden durch alle strategischen Überlegungen, die Nadella und seine Mitstreiter am Montag präsentierten. Sie sollen in der ein oder anderen Form in jedem Microsoft-Produkt, in jeder Kooperation Einzug halten, von der Analysesoftware bis zur Textverarbeitung oder im Betriebssystem und der Cloud. Alleine für Cyber-Sicherheit steht pro Jahr ein Budget von einer Milliarde Dollar zur Verfügung, hieß es.
Welche Chancen in der künstlichen Intelligenz stecken, zeigt das Modell eines Konferenzraums der Zukunft. Die sprachgesteuerten digitalen Assistenten mit Kameras und Mikrofonen erkennen die Teilnehmer, sobald sie den Raum betreten, führen Protokoll und erkennen die Sprecher aus dem Stimmengewirr heraus. Sie sortieren Folien und setzen automatisch Folge-Treffen an, weil sie die Kalender der Teilnehmer abgleichen können.

In einer anderen Demonstration überfliegen Drohnen Rohleitungen und erkennen potenzielle Problemstellen, schreiben einen Bericht für das Wartungsteam am Boden und senden ihn direkt an die Leitstelle.
Mit der Cloud und geschätzt bis zu 30 Milliarden Objekten von der Drohne über vernetzte Autos bis zu Toastern und Verkehrsampeln wird laut Nadella in den kommenden Jahren die „Welt zum Computer“.

Und Microsoft will nicht mehr wie noch in den 80ern „einen Microsoft-PC auf jedem Schreibtisch“ haben. Nadella will mehr: Er will nicht weniger als alle einladen, mit ihm zusammen die Software, das Netzwerk und die Intelligenz für die Computerwelt zu bauen. Zukunftsvisionen Marke Microsoft.
Einen kleinen Eindruck von der neuen Welt bekommen Microsoft-Nutzer bereits dieses Woche. Dann wird mit dem „April-Update“ von Windows 10 unter anderem die Funktion „Timeline“ eingeführt. Damit lassen sich alle Aktivitäten der letzten 30 Tage in chronologischer Reihenfolge anzeigen. Das erleichtert den Zugriff auf ältere Dokumente oder Webseiten. Wer auf allen Geräten mit seinem Microsoft-Account angemeldet ist, sieht selbst das, was er auf einem iOS- oder Android-Gerät gemacht hat. Auch das ist Teil der neuen Offenheit.
Mit „Focus Assist“ ist es möglich, störende Meldungen oder Mitteilungen zu blockieren, um konzentrierter arbeiten zu können. Besonders wichtige Kontakte lassen sich aussparen und werden immer durchgeleitet. Nach Abschalten der Funktion wird eine Zusammenfassung der eingegangenen Meldungen präsentiert.
Daneben konzentrieren sich die meisten Neuerungen auf den Webbrowser Edge, wo teilweise zusätzliche Funktionen und mehr Komfort geboten wird. Auch der Bereich virtuelle Realität bekommt Updates - auf jeden Fall ein Windows-Update mit einem kleine Guckloch in die Zukunft der Produktivität.

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