Entwicklerkonferenz I/O Google setzt alles auf künstliche Intelligenz

Google will seinen Herrschaftsanspruch bei künstlicher Intelligenz unterstreichen. Künftig soll die Technologie alle Produkte der Google-Familie verbessern.

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Google-Chef Sundar Pichai spricht auf der Entwicklerkonferenz Google I/O. Quelle: dpa

Mountain View Pinke Blasen blubbern wie Sprudelwasser über die Bühne. Links und rechts zeigt die Leinwand die hippen Musiker in Großaufnahme, die chillige Beats an ihren elektronischen Mischpulten erzeugen. Dann hüpfen bunte Android-Männchen in Bonbon-Farben durchs Bild und halten sich an den Händen. Es riecht nach Grillkohle.

Immer wieder steigt Jubel unter dem hellen Zeltdach des Shoreline Theaters in den knallblauen Himmel über Mountain View auf. Die über 7000 Besucher von Googles Entwicklerkonferenz I/O feiern ausgelassen auf ihren Sitzen. Es herrscht eine Stimmung wie bei einem Pop-Festival. Vorsorglich hat der Veranstalter Sonnencreme und Sonnenbrillen verteilt.

Die bunte Show soll allerdings mehr als nur gute Laune verbreiten. Die Soundmaschine auf der Bühne wird unterstützt von künstlicher Intelligenz. Mit diesem Kniff schwört Google das Publikum auf die Strategie ein, die es mit seinem Event verfolgt: seinen Herrschaftsanspruch bei künstlicher Intelligenz (kurz: KI) zu unterstreichen.

„Es ist aufregend, neue Technologien weiterzuentwickeln und es bringt uns dazu, mehr darüber zu reflektieren“, erklärt ein gut gelaunter Google-Chef Sundar Pichai. Künstliche Intelligenz löse heute viele Probleme für Menschen auf der ganzen Welt, meint er. Künftig soll die Technologie alle Produkte der Google-Familie verbessern.

Ins Zentrum des Google-Universums rückt fortan der Google Assistant. Der elektronische Sekretär wird noch gesprächiger, menschlicher und natürlich unverzichtbarer. Google rüstet das intelligente Programm mit sechs neuen Stimmen aus, unter anderem erklingt der Bariton von R&B-Musiker John Legend. Statt vor jedem Satz das übliche Kommando „Ok, Google“ aufzurufen, können Nutzer bald echte Gespräche mit der Maschinen führen, verspricht das Unternehmen. Der Assistent soll den Kontext der Konversation noch besser verstehen.

Einfache Telefonate und Terminvereinbarungen nimmt der Assistent dem Besitzer künftig ebenfalls ab. Die KI ruft auf Kommando beim Friseur oder im Restaurant an, antwortet auf einfache Zusatz- und Rückfragen, versteht Nuancen in den Antworten, so der Konzern. Wie gut die Roboter-Anrufe allerdings in der echten Welt und in der Interaktion mit Menschen funktionieren, muss sich noch zeigen.

Insgesamt nimmt der Google Assistant den Nutzer künftig stärker an die Hand. Auf Suchanfragen spielt er verstärkt auch visuelle Informationen aus, darunter aus Wikipedia. Auf Suchanfragen nach Orten zeigt er die Navigation in Kartenservice Maps an.

Im neuen mobilen Betriebssystem Android P verbessert künstliche Intelligenz zusätzlich die Batterielaufzeit und vereinfacht die Menü-Navigation. Sie berechnet die nächsten Schritte des Nutzers voraus und bietet ihm die entsprechenden Apps zum Tippen an.

Je mehr Googles Maschinen in alle Lebensbereiche vorrücken und den Besitzer hier und da liebevoll bevormunden, umso stärker sieht sich Google gezwungen, zu zeigen, dass trotz all des Maschinenkults nach wie vor der Mensch im Zentrum steht. „Wir wissen, dass sich die Menschen an ihr Gerät gekettet fühlen“, sagt Google-Chef Pichai. In einer konzerneigenen Umfrage hätten sich 70 Prozent der Teilnehmer Hilfe beim Umgang mit modernen Technologien gewünscht.

Die neue Haltung entspricht dem aktuellen Zeitgeist in Silicon Valley. Die Tech-Giganten wetteifern längst nicht mehr nur um Marktwerte und Reichweite, sondern auch um die Deutungshoheit bei moralischen Fragen. Apple, Alphabet und Facebook sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Technologie schade dem Menschen. Eine Facebook-Studie förderte vergangenes Jahr zutage, dass der passive Konsum von Inhalten auf der Plattform depressive Stimmungen fördere. Apple-Investoren riefen den iPhone-Hersteller im Januar auf, mehr gegen die Smartphone-Abhängigkeit von Kindern zu tun.

Alle Konzerne versichern inzwischen, ihnen liege sehr viel am Wohlergehen der Menschen. So auch Google. Android P ermöglicht künftig eine stärkere Kontrolle des digitalen Konsums. Ein Dashboard zeigt dem Nutzer bald grafisch an, wie lange und zu welchen Tageszeiten er online war und welche Apps er währenddessen genutzt hat. Die Video-Plattform Youtube ermuntert „einfach mal abzuschalten“. Ein Limit für das Online-Surfen kann der Smartphone-Besitzer künftig ebenfalls festlegen: Google erinnert ihn daran, wenn er sich der eigenen Deadline nähert.

Ebenfalls neu: Eine „Bitte nicht stören“-Funktion, die auf dem Smartphone nur Telefonate und Nachrichten zuvor ausgewählter Top-Kontakte durchlässt. Naht die Schlafenszeit, taucht der Google Assistant den Smartphone-Bildschirm automatisch in schwarzweiße Töne, damit der Nutzer zur Ruhe kommt.

Doch Google wäre nicht Google, wenn es nicht immer wieder auch die technischen Raffinessen der Maschinenintelligenz in den Vordergrund rücken würde. Der Suchmaschinenriese investiert länger als jeder andere Konzern in die Technologie. Die Deep-Learning-Einheit Google Brain nahm bereits 2011 die Arbeit auf. Doch die Konkurrenz zog längst nach.

Facebooks Technikchef Mike Schroepfer erklärte KI bei der Entwicklerkonferenz des sozialen Netzwerks vergangene Woche zur Schüsseltechnologie. Microsoft zeigte beim Event „Build“ nur kurz vor der IO, wie es die KI Cortana noch enger mit Amazons Alexa verzahnen will. Umso stärker will Google nun die eigene Dominanz unter Beweis stellen.

Besonders beindruckend: Eine neue Funktionen von Google Lens, die der Konzern nun bei der Entwicklerkonferenz vorstellt. Google macht die Kamera zur Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Welt. Sie fügt aus Nutzersicht digitale Zusatzinhalte von Augmented Reality (AR) ins reale Bild ein. Beim Laufen durch eine Straße blenden sich bei Google Maps aus Sicht des Spaziergängers automatisch Navigationshinweise oder Informationen zu umliegenden Restaurants und Gebäuden ein. Auch über bunte Comic-Avatare als Wegbegleiter denkt Google offenbar nach.

Beim Besuch in einer Boutique erkennt die in die Google-Kamera hinterlegte KI künftig Produkte wie Kleidung oder Schuhe und beamt dem Nutzer entsprechende Informationen auf den Bildschirm. Hält der Besitzer sein Smartphone vor ein Konzertplakat, spielt Youtube das Musik-Video des entsprechenden Künstlers aus.

Nicht zuletzt bemühte sich auch John Krafcik, Chef der Autoeinheit Waymo, eines der ehrgeizigsten Google-Projekte, die Vorteile von KI bei der Entwicklung des autonomen Fahrzeugs zu unterstreichen. Die Fehlerrate der Autos seien durch Tests und KI um 100 Prozent gefallen, erklärt er. „Künstliche Intelligenz berührt jeden Teil unseres Systems.“ Die Technologie habe sehr viel dazu gelernt. 3,7 Millionen Kilometer auf öffentlichen Straßen hätten die Waymo-Fahrzeuge inzwischen zurückgelegt und 3,1 Milliarden Kilometer im Simulator.

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