Evan Spiegel geht an die Börse Warum Snapchat Milliarden an Google überweist

Die Foto-App Snapchat ist damit groß geworden, Nachrichten zu verschicken, die sich selbst zerstören. Das könnte auch das Schicksal der Snap-Aktie von Gründer Evan Spiegel sein. Eine Analyse.

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Wofür Snap das Geld von der Börse geben, wenn es kein Wachstum gibt, das man finanzieren muss? Quelle: Reuters

San Francisco Snap, die Mutter der Foto-App Snapchat, hat offiziell den Prospekt für den Gang an die Börse eingereicht. Es ist ein Dokument einer Jugend zwischen einem vor Kraft strotzenden Selbstbewusstsein und latentem Größenwahn. Vordergründig ist es eine traumhafte Erfolgsgeschichte. Der Umsatz, geht aus dem Dokument hervor, ist von 2015 mit mickrigen 58 Millionen Dollar auf 404 Millionen Dollar in 2016 explodiert. Ein guter Grund, Aktien auszugeben und mit dem eingenommenen Geld die Expansion voranzutreiben. Doch dann kommt schon der erste Haken.

Der Preis und Zahl der auszugebenden Aktien ist noch nicht bekannt, als Platzhalter wird drei Milliarden Dollar angegeben. Aber in früheren Berichten wird von einer erwünschten gesamten Unternehmensbewertung von 25 Milliarden Dollar gesprochen. Das wäre locker das 61-fache des Umsatzes von 2016. Im Vergleich: Google ist mit dem knapp fünffachen bewertet, Facebook nicht mal mit dem 13-fachen. Der tatsächliche Ausgabepreis wird Klarheit bringen.

Was bekommt der Aktienkäufer für sein Geld. Die Zahl der „durchschnittlichen täglichen aktiven Nutzer“ im Quartal lag im vierten Quartal 2016 bei 158 Millionen. Das ist imposant und ein Plus von 48 Prozent zum Vorjahr. Doch gegenüber dem dritten Quartal 2016 ist das nur noch ein Plus von drei Millionen.

Hat da gerade jemand Twitter gesagt? Der Kurznachrichtendienst aus San Francisco kam auch an die Börse, als das Wachstum gerade versiegte. Seitdem hat sich der Dienst auch nicht mehr erholt. Aber wofür der Snap-Konzern das Geld von der Börse geben, wenn es kein Wachstum gibt, das man finanzieren muss?

Ein kleiner Vergleich der drei wichtigsten Börsengänge aus dem Bereich der sozialen Netzwerke zeigt die dramatischen Unterschiede zu den Vorgängern. Ein Jahr vor dem Börsengang verdiente Facebook 2011 eine Milliarde Dollar. Twitter wies einen Nettoverlust von 80 Millionen Dollar aus, und jetzt kommt der Snap-Konzern mit einem krachenden Nettoverlust von 515 Millionen Dollar in 2016. Das ist mehr als der Jahresumsatz von 404 Millionen Dollar. Da bekommt der Warnhinweis im Börsenprospekt, dass das Unternehmen „vielleicht niemals Gewinn erwirtschaften wird“ eine ganz andere Bedeutung. Der Snap-Konzern verdient praktisch nur im hart umkämpften Online-Werbemarkt Geld.

Da sollte man vor einem Börsengang Leitplanken einziehen, falls alles nicht so läuft wie geplant, sonst könnte es zu Revolten und Proxy-Kämpfen mit Aktionärsaktivisten kommen. In der Tat werden Gründer und Chef Evan Spiegel sowie Technologie-Vorstand Robert Murphy nach dem Börsengang praktisch das alleinige Sagen haben.

Die Aktienklasse für das Publikum hat kein Stimmrecht, und von den stimmberechtigten Aktien halten beide genug, um auch in Zukunft alles bestimmen zu können, heißt es im Prospekt. Jeder wäre auch alleine in der Lage, wichtige Entscheidungen zu blockieren – und das selbst nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen.

Außenstehende Investoren müssen also hoffen, dass sich die beiden Freunde nie zerstreiten. Oder wie es im Prospekt heißt: „Uns ist kein Unternehmen bekannt, dass einen Börsengang mit stimmrechtslosen Aktien an einer US-Börse durchgeführt hat. Deshalb können wir nicht vorhersagen, wie sich die Kapitalstruktur oder die Machtkonzentration bei den Gründern auf Aktienkurs und Geschäft auswirken wird.“


Snapchat, das nächste Facebook – oder das nächste Twitter?

Der größte Unsicherheitsfaktor aber heißt Facebook. Mark Zuckerberg wollte Snapchat für drei Milliarden Dollar kaufen, wurde aber abgewiesen. Seitdem baut er seine Fotoplattform Instagram mit bereits 600 Millionen monatlichen Nutzern unablässig zur Snapchat-Konkurrenz aus. Die Erfolgsfunktion „Snapchat Stories“ hat er bereits kopiert. Der Snap-Konzern müsste die Kundenbasis von Facebooks Tochter erfolgreich abwerben, um wieder Wachstum generieren zu können. Beide wenden sich an junge, smartphone-affine Nutzer.

Der Börsenprospekt gibt nebenbei auch einen seltenen Einblick in die verschwiegene Welt des Cloud-Computings. Der Snap-Konzern existiert schlicht und einfach aus Googles Gnaden. Rund zwei Milliarden Dollar wird das Unternehmen aus Los Angeles in den kommenden fünf Jahren an Google in Mountain View für IT-Dienste überweisen, steht im Prospekt. Hinzu kommt ein ungewöhnlicher Warnhinweis: Jede Störung oder Unterbrechung des Zugangs zu Googles Computermacht kann schwerwiegende Folgen für das Geschäft haben.

Zudem ist ein guter Teil der Software maßgeschneidert für die Nutzung von Googles Netzwerk, Speicher- und Computertechnik. Nur für manche gebe es eine „Alternative im Markt“. Snap ist Preiserhöhungen praktisch hilflos ausgeliefert. Vor allem, wenn der Dienst über Gebühr erfolgreich werden sollte. Dann steigen mit den Nutzerzahlen auch die Kosten. Zumindest kann Snap froh sein, dass Google kein signifikantes Geschäft in sozialen Netzwerken hat und aus Konkurrenzgründen nicht einfach irgendwann den Daten-Hahn zudreht.

Dieser Risikohinweis ist eigentlich mehr als Kaufhinweis für Amazon, Microsoft und Google, die Marktführer im Cloud-Computing, zu verstehen. Aber er verschärft auch einen anderen Risikohinweis im Prospekt. Snap muss den uneingeschränkten Zugang zu den mobilen Betriebssystemen iOS von Apple und Android von Google behalten. Zumindest bei Google existiert hier eine gefährliche doppelte Abhängigkeit. Wie so etwas geht, musste Google schon selbst erfahren, als Apple einen Smartphone-Krieg anzettelte und Google Maps oder die Google Suche auf seinen iPhones kaltgestellt hat. So etwas darf Snap nicht passieren.

Investieren oder nicht? Diese Entscheidung ist derzeit noch nicht zu treffen. Aber egal wie der Ausgabepreis letztlich ausfällt. Es wird ein heißer Ritt werden und Snapchat wird entweder das nächste Facebook – oder das nächste Twitter.

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