Amerika liebt es, seine Helden frenetisch hochzujubeln, um sie genauso begeistert bei Verfehlungen vom Sockel zu stoßen. Mark Zuckerberg galt laut Titelbild des US-Technologiemagazins „Wired“ vom Dezember 2016 gar als potentieller Lebensretter.
Ein Ausnahmeunternehmer, der aus dem von ihm gestarteten sozialen Netzwerk Facebook einen der einflussreichsten und wertvollsten Konzerne der Welt gemacht hat, mit 40 Milliarden Dollar Jahresumsatz und über zwei Milliarden Nutzern. Er persönlich ist deshalb heute mindestens sechzig Milliarden Dollar schwer – mit gerade mal 33 Jahren.
Ein neuer Bill Gates. Der wie der mit ihm befreundete Microsoft-Gründer nun in die Phase der Entzauberung eintritt. So wie in den neunziger Jahren die Macht von Microsoft unheimlich wurde, ist nun die von Facebook beängstigend. Nur dass es diesmal nicht um ein Betriebssystem für Computer geht, sondern um das Recht auf Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und damit letztlich um die Demokratie.
Zuckerberg wirkt müde, nervös und ängstlich, mit weit aufgerissenen Augen und geweiteten Pupillen, als er am Dienstagabend zum ersten Tag seiner öffentlichen Demontage vor dem US-Senat in Washington antritt. Das hindert ihn jedoch nicht daran, seine Rolle als reumütiger Sünder so ausgezeichnet zu verkörpern, dass er fast alle anderen Akteure glatt an die Wand spielt. Gefährlich werden die ihm, so zeigt sich bald, nicht – zumindest nicht an diesem Tag.
Was bisher im Facebook-Datenskandal geschah
Der Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica, die unter anderem für das Wahlkampfteam des heutigen US-Präsidenten Donald Trump gearbeitet hatte, fielen Informationen dutzender Millionen Facebook-Nutzer in die Hände. Ein App-Entwickler hatte sie über eine Umfrage eingesammelt und dann unrechtmäßig an Cambridge Analytica weitergereicht. Facebook wusste seit Ende 2015 davon, aber verließ sich auf die Zusicherung, dass die Daten vernichtet worden seien und informierte die Nutzer damals nicht.
Die Enthüllung durch einen Ex-Mitarbeiter von Cambridge Analytica Mitte März löste einen Sturm der Empörung aus. Politiker sowohl in Europa als auch in den USA forderten eine schärfere Regulierung beim Datenschutz im Internet. Die britische Datenschutz-Behörde ließ Daten bei Cambridge Analytica beschlagnahmen - ein Nebeneffekt davon ist, dass Facebook immer noch nicht sagen kann, um welche Informationen genau es geht. Die Aufregung ist auch Wochen später nicht abgeklungen.
Facebooks Gründer und Chef Mark Zuckerberg war erst tagelang von der Bildfläche verschwunden - und ging dann auf eine Entschuldigungs-Tour. Facebook habe nicht genug unternommen, um seine Nutzer zu schützen, räumte er ein. „Das war unser Fehler, das war mein Fehler.“ Er trage am Ende die Verantwortung für alles, was bei Facebook passiere. Zugleich betonte Zuckerberg, er sei nach wie vor die richtige Person, um Facebook zu führen, weil er aus Fehlern lerne.
Facebook ließ auf die Fehler-Eingeständnisse auch schnell Taten folgen. Der Zugang von App-Entwicklern zu Nutzerdaten wurde eingeschränkt. Die Möglichkeit, nach Nutzer-Profilen über E-Mail-Adressen oder Telefonnummern zu suchen, wurde abgeschafft - Facebook räumte ein, dass über diese Funktion vermutlich die öffentlich zugänglichen Informationen der Mehrheit der Nutzer abgesaugt wurden. Facebook will künftig bei der Personalisierung der Werbung auch nicht mehr auf Informationen externer Datenhändler zurückgreifen. Wer Anzeigen zu politischen Themen schalten will, muss Identität und Standort bestätigen - das soll Manipulationen wie Propaganda aus Russland im Präsidentschaftswahlkampf 2016 verhindern. Zudem wurden die Nutzungsbedingungen in einem seit langem geplanten Schritt an die EU-Datenschutzgrundverordnung angepasst, was Mitgliedern weitere Instrumente zum Schutz ihrer Privatsphäre gab.
Statt Jeans und hautenges, graues T-Shirt trägt der Internet-Milliardär respektvoll dunkelblauen Anzug, weißes Hemd und hellblaue Krawatte. Und leistet gleich zu Beginn sein mea culpa, als er die Verantwortung für den unerlaubten Gebrauch von Facebook-Nutzerdaten durch Cambridge Analytica übernimmt. „Ich habe Facebook gestartet, ich leite es, und ich bin verantwortlich für das, was dort passiert“, reut Zuckerberg und es sieht für einen Moment so aus, als ob er gleich in Tränen ausbricht. Wobei seine Einsicht Grenzen hat. Warum er weder die betroffenen 87 Millionen Facebook-Nutzer über den Missbrauch ihrer Daten durch das Datenanalyse- Unternehmen Cambridge Analytica informiert habe, noch die Aufsichtsbehörde FTC benachrichtigt, will die kalifornische Senatorin Kamala Harris wissen. Zuckerberg zieht sich darauf zurück, dass er Cambridge Analytica vertraut habe, dass diese die Daten löschen würden. „Für mich war der Fall damit erledigt.“
Zuckerbergs Berater haben ihm offensichtlich eingeschärft, nur nicht zurück zu keilen oder patzig zu wirken. Der Facebook-Chef hält sich demütig daran. Wenn es brenzlig oder kompliziert wird, wie beim genauen Ablauf der Cambridge Analytica Affäre, verspricht er: „Mein Team wird dem nachgehen und sich melden.“
Auch sonst hält er sich brav an die Spielregeln für Anhörungen vorm US-Kongress. Deren Dramaturgie schreibt vor, dass der Beschuldigte sich zunächst geläutert gibt und dann geduldig den Fragen der Spitzenpolitiker lauscht. Wobei es denen – schließlich ist die Fragezeit auf fünf Minuten begrenzt – gar nicht so sehr um Antworten geht, sondern um das möglichst öffentlichkeitswirksame Vortragen der Fragen. Nur dass heute die Fronten nicht so klar sind wie sonst. Normalerweise hacken die Senatoren der Demokratischen Partei auf Manager oder Unternehmer besonders gnadenlos mit Fragen ein. Die Republikaner lassen bei den Bossen hingegen in der Regel Milde walten. Doch bei Facebook funktioniert die Rollenverteilung nicht. Zwar sehen etliche Demokraten den Facebook-Chef als den Sündenbock, der russische Propaganda und das Ausforschen von Wählern auf seinem sozialen Netzwerk zugelassen hat und damit in ihren Augen Donald Trump zum Präsidenten gemacht hat. „Es waren ja in einigen Staaten nur ein paar tausend Stimmen“, seufzt die kalifornische US-Senatorin Dianne Feinstein. Andererseits gilt die Belegschaft von Facebook als den Demokraten wohlgesonnen und Sheryl Sandberg, die Operativchefin des sozialen Netzwerks, als mögliche US-Präsidentschaftskandidatin der Partei. Hillary Clinton hat das soziale Netzwerk ebenfalls für ihre Kampagnen genutzt. US-Präsident Barack Obama hat mehrfach das Hauptquartier von Facebook im Silicon Valley besucht. Trump hat sich dort noch nie blicken lassen.