Facebook Kontrolleure der Zensur

Anderthalb Jahre ist es her, dass Facebook-Schöpfer Mark Zuckerberg ankündigte, ein unabhängiges Aufsichtsgremium für seinen Konzern zu schaffen. Denn die Debatte über seine Allmacht wurde zusehends gefährlich Quelle: AP

Facebook hat die ersten Mitglieder eines Inhalte-Aufsichtsgremiums berufen. Kritiker verspotten es bereits als „Zensurkomitee“. So viel ist sicher: Die Macht von Facebook-Chef Zuckerberg wird nicht weniger.

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Josh Hawley ist einer der schärfsten Facebook-Kritiker. Am Mittwoch konnte der konservative US-Senator mal wieder richtig die Klinge wetzen. Da hatte Facebook gerade die ersten Mitglieder seines schon lange vorher angekündigten, international besetzten Kontrollgremiums für Inhalte bekanntgegeben, darunter eine Ex-Regierungschefin und eine Friedensnobelpreisträgerin. „Das ist ein Zensurkomitee“, spottet Hawley ungeniert.

Die Vorgeschichte: Anderthalb Jahre ist es her, dass Facebook-Schöpfer Mark Zuckerberg ankündigte, ein unabhängiges Aufsichtsgremium für seinen Konzern zu schaffen. Denn die Debatte über seine Allmacht wurde zusehends gefährlich.

Wichtigste Aufgabe des Gremiums: Das Überwachen, Bestätigen und Revidieren von Entscheidungen, welche Inhalte über das soziale Netzwerk, das inzwischen drei Milliarden Menschen auf der Erde erreicht, fließen dürfen, welchen der Hahn abgedreht wird und wo er zumindest gedrosselt wird.

Zuckerberg schwebte ein Mix aus renommierten Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Aktivisten vor. Sie sollten den wachsenden Druck von seinen Schultern nehmen. Der war zu groß geworden, wie der Ärger über den Cambridge Analytica Datenskandal, die Debatte um „Fake News“ oder die Beeinflussung der US-Präsidentschaftswahlen durch russische Provokateure zeigen.

Seitdem hat Facebook Milliarden in ein Heer von Mitarbeitern investiert, denen Künstliche Intelligenz sowie humane Beschwerdeführer fragwürdige Inhalte zur abschließenden Beurteilung servieren. Sie müssen entscheiden, was die Meinungsfreiheit deckt und dabei die Gesetze im jeweiligen Verbreitungsgebiet beachten. Es sind letztlich Zensoren, auch wenn Facebook die Bezeichnung Moderatoren bevorzugt. Wie diese entscheiden, ob zu streng oder zu lasch, ist kontrovers und nicht immer nachvollziehbar. Betroffene haben kaum Chancen, sich dagegen zu wehren.


Die ehemalige dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt ist eine der Co-Vorsitzenden des neuen Facebook-Gremiums. Quelle: REUTERS

Facebooks „Oversight Board“ soll das ändern, als eine Art internationaler Gerichtshof fungieren. Unter den ersten 20 Mitgliedern ist wie erwartet einige Prominenz dabei, so wie Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman aus dem Jemen, der einstige Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger und die ehemalige dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt. Die Ex-Regierungschefin ist zugleich eine der Co-Vorsitzenden des Gremiums – neben den US-Juraprofessoren Jamal Greene von der Columbia Universität, Michael McConnell von der Stanford Law School und der kolumbianischen Jura-Professorin Catalina Botero-Marino.

Zwar kommen vier Mitglieder aus Europa, doch niemand aus Deutschland. Das ist enttäuschend. Und könnte sich ändern, weil 20 weitere Mitglieder noch berufen werden sollen. Das Budget gibt es her. Der Konzern hat 130 Millionen Dollar für die nächsten sechs Jahre bereitgestellt, die vom Gremium verwaltet und von Facebook auch nicht wieder gestrichen werden dürfen.

In den nächsten Monaten sollen die ersten Fälle gehört werden, und dann abschließend entschieden werden, ob das Löschen von Inhalten auf Facebook und Instagram gerechtfertigt war. Das dabei vor allem rechtliche Aspekte den Ausschlag geben werden, deutet die Dominanz von Rechtsgelehrten im Gremium an. Aus den zehntausenden Beschwerden sollen dabei jene ausgewählt werden, die besonders viele Facebook- und Instagramnutzer betreffen, für die weltweite politische Debatte wichtig sind und sich gegen zweifelhafte Regeln des Konzerns richten. Nicht zulässig sind Beschwerden gegen Entscheidungen, die auf Grund von gesetzlichen Auflagen erfolgen: Etwa die Leugnung des Holocausts, die in Deutschland gesetzlich verboten ist.

Besonders interessant ist jedoch, dass das Gremium auch über Inhalte urteilen soll, die Werbung betreffen und in Facebook Gruppen veröffentlicht werden. Gerade hier wird sich zeigen, welche Macht es wirklich hat, ob es tatsächlich wichtige Grundsatzentscheidungen treffen kann. Oder sich in Einzelfällen verliert.

von Matthias Hohensee, Mareike Müller, Thomas Kuhn

Bei politischer Werbung beharrt Zuckerberg bislang, diese weiterhin zuzulassen, auch wenn die darin getroffenen Behauptungen nachweislich falsch oder irreführend sind. Er will sich nicht als Schiedsrichter aufspielen. „Den Leuten sollte erlaubt sein, selber zu sehen, was Politiker sagen“, kontert er. Persönlich zahlt er für die Kontroversen um Facebook einen hohen Preis. Seit Jahren wird er rund um die Uhr beschützt, selbst in seinem eigenen Hauptquartier sind Bodyguards stets in der Nähe, die Zugänge von den Terrassen werden scharf bewacht. Täglich soll Zuckerberg, so berichten Vertraute, Todesdrohungen erhalten – auch weil er aus einer jüdischen Familie stammt. Seine Überzeugung, sein Unternehmen nicht in die Rolle des Schiedsrichters über Meinungen drängen zu lassen, geht sogar soweit, dass er die Leugner des Holocausts nicht grundsätzlich von der Plattform verbannt.

Wirklich interessant wird es jedoch, wenn das Aufsichtsgremium Bereiche berührt, die Facebooks Geschäftsmodell betreffen. Laut Statuten kann es nämlich Entscheidungen unabhängig von ökonomischen und politischen Interessen des Konzerns treffen, auch Schaden an seiner Reputation muss dieser hinnehmen. Facebook muss die Schiedssprüche umsetzen, sofern sie nicht gegen das Gesetz verstoßen.

Spätestens hier wird sich zeigen, ob das Gremium mehr als nur kosmetischen Zwecken dient. Es ist mehr als fraglich, ob sich Zuckerberg in seinen unternehmerischen Freiheiten beschränken lässt. Beispielsweise wenn die Aufseher entscheiden sollten, dass die von Zuckerberg vorangetriebene Integration von WhatsApp und Instagram in Facebook wegen der dabei gewonnenen Datenfülle zu gefährlich für die Menschheit ist und gestoppt werden muss. Dafür gibt es immerhin viele gute Argumente.

Fragwürdig ist auch, dass die 20 berufenen Mitglieder ein Mitspracherecht bei der Aufnahme weiterer Personen in ihren erlauchten Kreis haben. Das ist zwar verständlich, denn letztlich steht auch ihre Reputation auf dem Spiel, doch es lädt wahrscheinlich zu Machtspielchen ein.

Auch das Aufsichtsgremium ändert nichts daran, dass die wahre Macht bei Facebook weiterhin bei dessen Schöpfer liegt. Dank Mehrfach-Stimmrechten kommt niemand an Zuckerberg vorbei. Auch der Facebook-Verwaltungsrat, der mehrheitlich von Zuckerberg-Loyalisten besetzt ist, kann daran nichts ändern. Erst kürzlich hat Zuckerberg mit Dropbox-Gründer Drew Houston einen weiteren langjährigen Freund dort installiert.

Ironischerweise wird das Aufsichtsgremium Rufe nach dem Aufspalten von Facebook sogar befördern. US-Politiker von den Demokraten wie auch den Republikanern sind sich einig, dass die Macht des sozialen Netzwerks beschnitten werden muss, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Ein amerikanischer Konzern, der sich einem international bestückten Gremium unterwirft, darunter einer Friedensnobelpreisträgerin, dürfte Politiker provozieren, die sich „America first“ auf die Fahnen schreiben.

Leute wie Senator Hawley eben. Für ihn ist es ein weiterer Beweis, welche Machtfülle Facebook hat, wenn es solch ein Komitee einsetzen muss. „Facebook wirbt damit praktisch dafür, dass es aufgespalten werden sollte“, twitterte Hawley. Besonders pikant: Der ehemalige Verfassungsrechtler arbeitete einst als Assistent für den ehemaligen Bundesrichter McConnell – einen der Co-Vorsitzenden von Zuckerbergs neuem Aufsichtsgremium.

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Im US-Wahlkampf gilt Mark Zuckerberg als potenzielles nationales Risiko. Dabei sind sowohl Republikaner als auch Demokraten von Facebook abhängiger denn je. Die Macht des sozialen Netzwerks wird steigen – selbst wenn die Politik es regulieren würde. Lesen Sie die Geschichte hier.

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