Facebook Mark Zuckerbergs überfälliges Eingeständnis

Unter steigendem öffentlichen Druck vollzieht Facebook-Gründer Mark Zuckerberg einen bemerkenswerten strategischen Schwenk. Quelle: AP

Bisher verstand sich Facebook als Technologieplattform, keinesfalls für das verantwortlich, was dort so gepostet wird. Nun hat der Konzern seine Rolle als Medienhaus offenbar akzeptiert. Das ist gut, aber nur ein erster Schritt. Ein Kommentar.

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Hassbotschaften, Verleumdungen, Exekutionen und Anschläge im Video-Livestream – was immer Facebook in der Vergangenheit an asozialen Grässlichkeiten an seine Nutzer verbreitete: Stets gerierte sich das soziale Netzwerk als weitgehend schuldlos und unbeteiligt. Gebetsmühlenartig verwiesen Firmengründer Mark Zuckerberg und seine Lobbyisten darauf, das Unternehmen sei ja bloß eine Technologieplattform und habe mit all dem, was dort so gepostet, geteilt und geliked wird, nichts zu tun.

Mit diesem argumentatorischen Kunstgriff wehrte der Konzern über Jahre alle Versuche ab, das Netzwerk wie ein Medienunternehmen zu regulieren. Denn als solches hätte Facebook für die verbreiteten Inhalte geradezustehen. So wie das für traditionelle Medien, Zeitungen, Magazine, Radio- oder TV-Sender längst die Regel ist.

Mit derlei Verantwortung aber wollte sich der boomende Konzern auf seinem Wachstumskurs nicht belasten. Sollten sich doch die alten Medien mit den Aufsehern herumschlagen. Dass Facebook für viele seiner bald drei Milliarden Mitglieder weltweit längst zu einer der wichtigsten Informationsquellen geworden ist, diese Realität hat der Firmengründer allzu lange ausgeblendet. Sei es aus mangelndem Verständnis für die Realität, sei es aus Kalkül.

Umso bemerkenswerter ist ein Schritt, den Facebook in dieser Woche etwas versteckt in einem Blogbeitrag angekündigt hat. Ab sofort werde das Unternehmen Falschbehauptungen und Impfmythen aus den Nachrichtenströmen von Facebook und Instagram löschen. Und zwar nicht bloß in Bezug auf die aktuelle Covid-19-Pandemie, sondern auch bezogen auf andere Impfungen. Gleichzeitig werde der Konzern seine Nutzer auf verlässliche und wissenschaftlich fundierte Quellen leiten, um Desinformationskampagnen rund ums Impfen zu stoppen.

Schluss mit den Ausreden

Die Ankündigung ist nicht bloß ein Eingeständnis der eigenen Verantwortung für die Verbreitung von Lügen und Falschmeldungen. Es ist, zumindest implizit, auch das überfällige Eingeständnis der eigenen Rolle als Medienkonzern. Denn spätestens in dem Moment, in dem Facebook Informationen einordnet, bewertet und auswählt, übernimmt das Unternehmen die Mechanismen traditioneller Medien. Nun kann sich Firmenchef Zuckerberg nicht länger aus der Verantwortung für die von seinen Algorithmen verarbeiteten und über sein Netz geteilten Texte, Videos und Bilder stehlen, indem er Facebook als reine Technologieplattform darstellt.

Dieser Schritt dürfte weniger einer tieferen Einsicht geschuldet sein als dem wachsenden äußeren Druck. Und es ist gut möglich, dass Zuckerberg mit dem Eintreten gegen die Impfmythen noch einmal versucht, den regulatorischen Druck zu mindern. Fakt aber ist, dass er mit der jüngsten Ankündigung seinen Kritikern eher in die Hände spielt, als sie zu entkräften.

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Das Netzwerk ist faktisch seit Jahren ein Medienhaus – nicht umsonst findet sich im englischen Begriff „social media“ das Wort „Medium“. Und es gehört politisch und juristisch auch endlich als solches bewertet. Deshalb dürfen weder die Gesellschaft, noch Politiker und Aufsichtsbehörden nachlassen, Facebooks Verantwortung einzufordern. Im Gegenteil: Die jüngste Ankündigung zur Impfkampagne muss sowohl in den USA als auch in Europa Anlass sein, das Unternehmen endlich dem Medienrecht zu unterwerfen. Und damit für Hass, Lüge und Grausamkeiten haftbar zu machen.

Nur dann nämlich besteht die Chance, das Asoziale im sozialen Netzwerk zurückzudrängen.

Mehr zum Thema: Der aktuelle Streit zwischen Apple und Facebook ums Nutzertracking geht am Kernproblem vorbei. In vielen Handyprogrammen arbeitet Schnüffelsoftware, von der nicht mal App-Programmierer wissen, dass es sie gibt.

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