Festival in Berlin Schwammige Slogans und grüne Barbies: Die Greentech-Szene feiert – vor allem sich selbst

Christian Lindner und Nico Rosberg

Während Deutschland den Gas-Gau fürchtet und über Kohle- und Atomkraft diskutiert, feiert sich die Greentech-Szene in Berlin. Doch statt Lösungen zu präsentieren, geht es hier vor allem um Imagepflege.

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Als wäre er ein Rockstar hetzt Nico Rosberg von Stand zu Stand in den alten Hallen des Flughafens Berlin Tegels. Hier ein Selfie vorm L’Oréal-Stand, da die neue erste Klasse der Deutschen Bahn kurz Probesitzen, dann dem Nachhaltigkeitschef von Google EMEA die Hand schütteln. Was er hier organisiert ist das Greentech-Festival, hier geht es darum, die „großartigsten Innovationen für unseren Planeten“ zu feiern, wie es von den Organisatoren heißt. Worum es aber vor allem geht: Konzerne wie Shell, Lufthansa oder Audi wollen ihr grünes Gewissen präsentieren. Gut fürs Image oder doch nur Greenwashing? Ein Rundgang.

Bei Shell am Stand steht eine Elektroautoladesäule von einer der jüngsten Shell-Töchter: Ubitricity. Sie ist in eine Laterne integriert – in London stehen solche Laternenlader schon an einigen Straßenzügen, in Berlin will das Unternehmen sie jetzt auch aufstellen. Daneben steht ein Stromspeicher von Sonnen, ebenfalls eine Akquisition von Shell. Für das Mineralölunternehmen ist ein sauberes Image wichtig, immerhin ist der Konzern für einen nicht unbeträchtlichen Anteil der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich.

Erst im vergangenen Jahr hat der Konzern einen Klimaprozess in Den Haag verloren und wurde per Gericht dazu verdonnert, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu reduzieren. Wie viel die nachhaltigen Lösungen schon am Umsatz von Shell ausmachen? Dazu habe er keine genauen Zahlen, sagt ein Pressesprecher von Shell. Aber es flössen immer mehr Investitionen hinein. Besucher auf der Messe können übrigens Tickets für das Formel-E-Rennen in London gewinnen.

Ein paar Meter die Halle hinunter schenkt Nespresso in einem grün bewachsenen Stand großzügig Kaffee aus. Dort zeigt die Kapselkaffeesparte von Nestlé, wie sie Kaffeeplantagen mit Bäumen bepflanzt. Die spenden Schatten, schützen den Boden und sorgen dafür, dass die Kaffeepflanzen besser gedeihen. Stichwort: Agroforstwirtschaft – deren Ursprünge liegen schon einige Tausend Jahre vor Christus. Nespresso pflanzt seit 2014 Bäume. Die Aluminiumkapseln für zu Hause bestehen seit diesem Jahr immerhin zu 80 Prozent aus recyceltem Alu. Bei den Green Awards, einem grünen Preis, die im Rahmen des Festivals verliehen werden, verliest Nespressos Nachhaltigkeitschef Jérome Perez den Sieger im Bereich „Impact“.

Auf der Bühne geben sich derweil Nachhaltigkeitschefs und Marketingexperten die Klinke in die Hand. Ihre Slogans ähneln sich, sie plappern viel und sagen wenig. #togetherwechange – auch ein Motto des Greentech-Festivals – wird ständig wiederholt; dass sich etwas ändern müsse und zwar jetzt, so heißt es. Doch was konkret jeder Einzelne dafür tut? Bleibt bei den meisten Speakern schwammig.

Auch die Lufthansa ist mit ihrem Clean Tech Hub vor Ort. Der Inkubator sucht nach Start-ups und Projekten, die helfen können, das Fliegen grüner zu machen. Eine Künstliche Intelligenz etwa, die überprüft, was beim Essen übrig bleibt und die Speisen optimieren soll, sodass weniger Müll entsteht. Eine Haut auf den Fliegern, die der eines Hais nachempfunden ist und für weniger Luftwiderstand sorgt, der immerhin ein Prozent CO2 einspart. Oder nachhaltiges Kerosin. Lufthansa-Chef Carsten Spohr sagt in einem digitalen Beitrag, wie stolz er sei, dass Lufthansa ein Vorreiter dabei sei, das Fliegen sauberer und grüner zu machen. In seinem Clean Tech Hub arbeiten sechs Leute – im gesamten Konzern über 100.000.

von Jannik Deters, Dominik Reintjes

Auf dem Weg zurück zur Bühne kommen Besucher nicht am Stand von Mattel vorbei, der seine „Barbie loves the Ocean“-Puppenkollektion präsentiert. Die Puppen bestehen laut dem Hersteller zu 90 Prozent aus Plastik, das in der Nähe von Meeren gesammelt wurde, bevor es eben genau dorthin gelangt, „Ocean-Bound-Plastik“ nennt Mattel das. Außer die Haare könne alles aus dem Recyclingmaterial gemacht werden.

Die ozeanliebende Puppe ist zumindest im Barbiesegment bisher die einzige Linie, die aus recycletem Material ist. Bis 2030 will der Konzern Spielzeuge und Verpackungen auf hundert Prozent recycelte, recyclebare oder biobasierte Kunststoffe umstellen. Die Werbekampagne zur Nachhaltigkeitsbarbie („Die Zukunft von pink ist grün“) hält Mattel derweil nicht ein – der Stand leuchtet im typischen barbie-pink.

Zurück an der Bühne zeigt das Greentech-Team „Green CEO Pledges“. Mehrere Firmenlenker melden sich hier in einem Videobeitrag zu Wort und sollen in einem Satz verbindliche Nachhaltigkeitsverpflichtungen ihrer Unternehmen abgeben – „ohne PR oder Greenwashing“, wie es vom Greentech-Festvial vorgegeben ist. Das Ergebnis: Es fallen Satzteile wie „wir bekennen uns eindeutig zur Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel“, „wir unterwerfen uns voll und ganz dem Ziel der Nachhaltigkeit“ oder „wir haben eine klare und strenge Nachhaltigkeitsvision“.

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Christian Lindner, der eigentlich als Speaker zum Thema Finanzierung der Zukunft eingeladen ist, sagt für den Talk kurzfristig ab, wegen einer Pflichtveranstaltung im Bundestag. Zwei Tage zuvor beim Tag der Industrie stellte Lindner noch klar, dass die Bekämpfung der Inflation erst einmal wichtiger sei als die Transformation zur CO2-freien Wirtschaft. Vor den Besuchern des Greentech-Festivals sprechen klappt also nicht. Doch für einen Rundgang mit Nico Rosberg ist trotzdem Zeit. Inklusive genügend Selfies.

Lesen Sie auch: Die Fondsgesellschaft DWS steht seit Monaten unter Verdacht, ihre Produkte nachhaltiger dargestellt zu haben als sie sind.

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