„Gefahren für Amerikas Sicherheit“ Amerika will die Macht von Big Tech brechen – diesmal wirklich

Der damalige Amazon-Chef Jeff Bezos bei einer Anhörung im Jahr 2020 Quelle: imago images

In den USA nimmt die lange versprochene Regulierung von Tech-Konzernen Fahrt auf. Silicon Valley CEOs sind nervös. Wie hoch sind die Chancen, dass es tatsächlich neue Gesetze gibt?

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Die Lobbyisten der großen US-Internetkonzerne sind seit Wochen im Stress. Tim Cook und Sundar Pichai, die Chefs der Silicon Valley Größen Apple und Alphabet haben sich persönlich eingeschaltet. Ken Walker, Chefjustiziar von Google, beschwört „Gefahren für Amerikas Sicherheit“, warnt gar, dass Menschenleben in Gefahr sind, weil Informationen über Covid-Impfstoffe behindert werden könnten.

Was ist nur geschehen? US-Politiker machen sich daran, die Macht der großen Internet-Konzerne tatsächlich zu bändigen. Jahrelang hatten sie dies angekündigt. Doch die vielen Vorhaben versandeten nach langen Debatten. Markige Parolen wie von den „Räuberbaronen“ machten die Runde, mit Aufspaltung wurde gedroht, die Chefs von Facebook, Amazon, Apple und Alphabet mussten peinliche Befragungen über sich ergehen lassen. Viel Show, passiert ist nichts. Stattdessen nimmt die Machtkonzentration in der Internet-Branche immer mehr zu, wo gegenwärtig um die Vorherrschaft im sogenannten Metaverse gerangelt wird. Microsoft macht sich deshalb gerade daran, für 69 Milliarden Dollar Activision zu übernehmen, was es auf einen Schlag weltweit auf Platz 2 bei Spieleanbietern katapultiert.

Doch nun scheint endlich Bewegung in die lange angekündigte Regulierung zu kommen. In Washington stehen zwei Gesetzentwürfe zur Diskussion, die vor allem das Silicon Valley in hektische Betriebsamkeit versetzen. Denn sie gehen über Parteigrenzen hinweg, Demokraten und zumindest einige Republikaner ziehen an einem Strang.

Der erste Entwurf sieht vor, dass große Internet-Unternehmen auf ihren Plattformen eigene Produkte und Dienste nicht mehr bevorzugen dürfen. Der zweite will für mehr Wettbewerb in den AppStores sorgen, etwa dass die Anbieter von Apps eigene Zahlungsmöglichkeiten auswählen dürfen, bei den Preisen flexibler sein und schneller und leichter ihre Programme offerieren.
Besonders das erste Vorhaben, der „American Innovation and Choice Online Act“, eingebracht von der demokratischen Senatorin Amy Klobuchar und dem republikanischen Senator Chuck Grassley, sorgt für Unruhe bei den großen Internet-Unternehmen. Es hat gerade bei einer Vorabstimmung eine wichtige Hürde genommen, soll nun im Senat debattiert werden. Der Entwurf zielt darauf, dass große Internet-Konzerne ihre Produkte nicht herausstellen dürfen und unfair konkurrieren. Etwa Amazons sogenannte „Basics“-Produkte, Eigenmarken, die das Unternehmen besonders kennzeichnet.

(Sehen Sie hier anhand von Satellitenbildern, wie die Konzernzentralen der Tech-Giganten verwaisen.)

Amazon wird zudem seit Jahren der Vorwurf gemacht, dass es analysiert, welche Produkte seine Händler sich besonders gut verkaufen und diese dann dank dieser Einblicke mit eigenen Angeboten unterbietet. Amazon-Gründer Jeff Bezos hat dies vor dem Senat vehement bestritten, doch es nimmt ihm kaum jemand ab.

Google dürfte seine eigene Reisesuchmaschine, Bewertungsdienste oder seinen E-Mail-Service nicht mehr vorrangig platzieren. Im Silicon Valley hatte besonders Jeremy Stoppelman, der Gründer der Bewertungsplattform Yelp sich für Sanktionen stark gemacht. Er beklagt seit Jahren, dass Google Yelp schädige und behindere.

Zudem sollen Nutzer vorinstallierte Programme ohne Probleme entfernen können, sofern sie nicht aus Sicherheitsgründen nötig sind. Und Kunden der großen Plattformen sollen auf die gleichen Funktionen wie die Betreiber zugreifen können, um nicht im Wettbewerb benachteiligt zu sein.

Um den Sektor nicht zu stark zu regulieren, soll das Gesetz nur auf Unternehmen angewendet werden, deren Börsenwert 550 Milliarden Dollar übersteigt. Und die mehr als 50 Millionen monatliche Nutzer haben, auf deren Zugang andere Marktteilnehmer angewiesen sind, um ihre Angebote zu vermarkten. Oder monatlich 100.000 Geschäftskunden.

Derzeit sind das Apple, Facebook, Google, Microsoft und Amazon. Die Liste soll von der Wettbewerbsbehörde FTC und dem US-Justizministerium gepflegt werden. Die FTC wird von Lina Khan geleitet, die ihre Karriere mit ihrer Kritik am Wettbewerbsgebahren von Amazon gemacht hat, was den Händler stört.

Nach Interventionen von Lobbyisten werden nun auch ausländische Internet-Konzerne einbezogen, die in den USA operieren, etwa ByteDance, der Besitzer von TikTok. Amazon konnte erreichen, dass es für seinen Lieferservice Amazon Prime Ausnahmen gibt. Apple setzte durch, dass seine Nutzer weiterhin entscheiden dürfen, ob sie ihre Informationen an andere Anbieter weitergeben. Diese neue Funktion hatte Apple kürzlich eingeführt, was vor allem Facebook beklagt.



Bei den Plattform-Anbietern ist unter anderem das Anzeigengeschäft betroffen, etwa bei Google und Amazon. „Das Gesetzesvorhaben greift in deren grundlegenden Geschäftsprozesse ein“, lobt Barry Lynn, Direktor des Think Tanks Open Market Institute, der seit Jahren die Wettbewerbsverstöße der großen Internet-Plattformen anprangert.

Die große Frage ist, ob das Gesetz tatsächlich die Hürden im Senat und danach im Kongress nimmt. Zwar reicht es über Parteigrenzen hinweg. Klobuchar und Grassley haben die Demokraten hinter sich und auch einige prominente Republikaner für sich gewonnen, unter ihnen Ted Cruz und Josh Hawley. Das macht die CEOs im Silicon Valley so nervös.

Doch in Amerika stehen im November Zwischenwahlen an. Die republikanische Partei, so meinen viele Beobachter, hat sich auf die Fahnen geschrieben, möglichst viele Vorhaben von Demokraten zu blockieren. Da US-Präsident Biden höchstpersönlich angekündigt hat, gegen die Machtkonzentration in der Wirtschaft vorzugehen, könnte er ein Gesetz gegen die Übermacht von Big Tech für sich als Sieg deklarieren. Das fürchten die Republikaner.

Auch die Unterstützung bei den Demokraten ist nicht wasserdicht. Apple, Facebook und Alphabet sitzen in Kalifornien, dem Heimatstaat von Nancy Pelosi, der Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus. Auch Oppositionsführer Kevin McCarthy hat seinen Wahlkreis in Kalifornien. Um die Wahlkampfspenden von BigTech und deren Mitarbeiter konkurrieren beide Parteien. Bislang hat das Silicon Valley mehrheitlich die Demokraten unterstützt.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass die AppStores geöffnet werden, scheint indes realistisch. Der Gesetzentwurf wurde von Richard Blumenthal von den Demokraten und Marsha Blackburn von den Republikanern verfasst. Hier gibt es stärkere Unterstützung von den Republikanern. Die stören sich daran, dass der ehemalige US-Präsident Donald Trump sowohl auf Facebook als auch Twitter gesperrt ist. Trump plant, mit einem Facebook-Klon namens Social Truth seine Stimme im Netz wiederzufinden. Der Start ist fürs Frühjahr geplant. Fürs Verbreiten der App ist er auf Google und Apple angewiesen. Deren Möglichkeiten, Apps zu blockieren, könnten nun eingeschränkt werden. Was den Tech-Konzernen sogar entgegenkommen könnte, um aus der Schusslinie zu kommen. Dafür müssten sie jedoch mehr Wettbewerb tolerieren.

Lynn vom Open Market Institute ist optimistisch. Bevor das Vorhaben in die Vorabstimmung ging, taxierte er die Wahrscheinlichkeit, dass es Gesetz wird, auf 25 Prozent. „Jetzt sind es nördlich von 50 Prozent“, sagt Lynn. Im Gegensatz zu Bidens „American Built Better Act“, der aus Lynns Sicht völlig überfrachtet war, gäbe es diesmal in den eigenen Reihen auch keinen Senator wie Joe Manchin, der alles blockiert. Politiker beider Parteien hätten begriffen, dass das Wirtschaftssystem der USA durch das Geschäftsgebaren von Big Tech bedroht sei.

„Es ist nur ein Anfang, aber ein wichtiger“, unterstreicht Lynn.

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