
Aufsteiger wie René Obermann stehen gerne auf dem Siegertreppchen. Das beste Netz, die besten Produkte und den besten Service – mit diesem Credo liefert sich der ehrgeizige Chef der Deutschen Telekom seit Jahren ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Erzrivalen Vodafone.
Oft geht Obermann als strahlender Sieger durchs Ziel. Doch wenn – wie in diesem Jahr – der britische Mobilfunkriese die Spitze übernimmt, dann empfindet der Telekom-Chef das als persönliche Niederlage. Das deutsche Management-Team muss zum Rapport antreten und konkrete Vorschläge vorlegen, wie die Bonner Vodafone schlagen wollen. Von seinen Zielen rückt Obermann keinen Millimeter ab: „Wir müssen die Marktführerschaft zurückerobern.“ Ansonsten, das ist jedem in der Konzernzentrale klar, werden Köpfe rollen.
Telekom droht der Abstieg
Die harte Gangart schlägt Obermann jetzt auch im Festnetz an, wo sich die Lage im Geschäft mit schnellen Internet-Anschlüssen zuspitzt. Intensiv diskutiert der Telekom-Vorstand, wie das Unternehmen die Kundenverluste in den Ballungszentren stoppen kann. Mit großer Sorge beobachtet Obermann, wie stark von Stadtwerken kontrollierte Regionalanbieter wie Netcologne in Köln und M-Net in München sowie die Kabel-TV-Anbieter mit superschnellen 100-Megabit-Anschlüssen auftrumpfen und der Telekom den Nimbus des Technologieführers streitig machen. Der Ex-Monopolist ist zwar noch der Platzhirsch mit bundesweit 12,4 Millionen DSL-Kunden und einem Marktanteil von 45 Prozent. Doch in den Städten droht der Telekom der Abstieg in die Zweitklassigkeit.

Viele Neukunden wechseln
Die größte Gefahr geht vom umgerüsteten Kabel-TV-Netz aus. In mehr als der Hälfte aller deutschen Haushalte bieten die beiden größten Anbieter – Kabel Deutschland und Unitymedia – schon Spitzengeschwindigkeit von 100 Megabit pro Sekunde und ziehen damit locker an der Telekom vorbei. Das Vorzeigeprodukt der Deutschen Telekom, der mit Glasfaser beschleunigte VDSL-Anschluss, schafft maximal 50 Megabit pro Sekunde – und das auch nur in 50 ausgewählten Großstädten. Das Gros der Neukunden wechselt deshalb mit dem Internet ins überlegene Kabel-TV-Netz. Der langsamere VDSL-Anschluss der Telekom konnte dagegen nicht den Durchbruch schaffen und liegt mit 700 000 Kunden weit hinter den Planvorgaben zurück.
In den nächsten Jahren wollen die Kabel-TV-Anbieter noch stärker in den Kundenbeständen der DSL-Anbieter wildern. „Die richtig guten Zeiten kommen erst noch“, prophezeit Kabel-Deutschland-Chef Adrian von Hammerstein. Genaue Zahlen nennt von Hammerstein nicht, doch Marktforscher schätzen eine Verdopplung des Marktanteils auf 30 Prozent in den nächsten vier bis fünf Jahren durchaus als realistisch ein.
Telekom will Ausbau beschleunigen





Vom Telekom-Vorstand eingesetzte Arbeitsgruppen basteln deshalb an einer Abwehrstrategie, die den Siegeszug der TV-Kabel-Anbieter stoppen soll. Noch gibt es keinen Vorstandsbeschluss, aber viele Vorschläge weisen in dieselbe Richtung: Mit einem beschleunigten Aus- und Umbau der Glasfasernetze will die Telekom den technologischen Rückstand gegenüber den Kabel-TV-Netzen aufholen und ihr Netz so umrüsten, dass sich ebenfalls superschnelle Internet-Anschlüsse mit einer Spitzengeschwindigkeit von 100 Megabit pro Sekunde schalten lassen. Wie schnell und mit welchem Investitionsvolumen dies geschehen kann, spielen die Experten gerade in verschiedenen Szenarien durch.
Warum sich ein schneller Glasfaserausbau für die Telekom lohnt
Aktuell versorgt die Telekom 42,5 Prozent der Deutschen mit einem Internetanschluss - weitere 2,5 Prozent über ein Glasfaserkabel. Alternative Anbieter haben einen Marktanteil von 41 Prozent, Kabel-TV-Anbieter halten 14 Prozent.
Drückt die Telekom nicht aufs Gas, wird sie bis 2016 rund 32 Prozent der Deutschen mit klassischen Internetanschlüssen versorgen, weitere 8 Prozent mit Glasfaserkabel. Damit würde sie rund 5,7 Milliarden Euro im Festnetz umsetzen.
Je 30 Prozent der Internet-Anschlüsse würden nach diesem Szenario Kabel-TV-Anbieter sowie alternative Anbieter bereitstellen.
Investiert die Telekom zusätzliche fünf Milliarden in die Infrastruktur, würde sie 2016 statt acht Prozent, 21 Prozent der Deutschen per Glasfaserkabel ins Internet bringen. Weitere 24 Prozent erhielten von der Telekom einen herkömmlichen Zugang. Der Umsätze stiege gegenüber dem ersten Szenario auf 7,1 Milliarden Euro.
(27 Prozent kämen über Kabel-TV-Anbieter ins Netz, 28 Prozent mit alternativen Anbietern.)
Verwirklicht die Telekom den beschleunigten Ausbau des Glasfasernetzes, wird sie bis 2016 rund 3,6 Millionen Kunden mehr mit teurem Glasfaseranschluss versorgen. Damit würde sie im Festnetz 1,4 Milliarden Euro mehr umsetzen.
Als Favorit gilt in Telekom-Kreisen ein Ausbau-Szenario, das mit einem vergleichsweise geringen Investitionsvolumen auskommt. Ein Budget von fünf bis sechs Milliarden Euro könnte ausreichen, wenn die Telekom die in 50 Großstädten eingesetzte VDSL-Technik auf das gesamte Verbreitungsgebiet der TV-Kabelnetze ausdehnt. Dazu müssten Glasfaserkabel bis zu den Verteilerschränken am Straßenrand ausgerollt werden. Statt der bisherigen elf Millionen Haushalte würde VDSL dann über 20 Millionen Haushalte erreichen.
Viele Vorteile durch VDSL-Technik
Die VDSL-Technik galt bis vor Kurzem als Auslaufmodell, weil die Geschwindigkeit auf 50 Megabit pro Sekunde begrenzt war. Ein neues Übertragungsverfahren, das aus den Labors des Netzausrüsters Alcatel-Lucent kommt, lässt sich aber wie ein Turbolader nachträglich einbauen und beschleunigt die Datenübertragung auf die von der Telekom benötigten 100 Megabit pro Sekunde. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die neue VDSL-Technik in den bereits versorgten 50 Großstädten auf jeden Fall zum Einsatz kommt. Die neue VDSL-Technik sei ein „sehr interessantes Modell“, heißt es offiziell bei der Deutschen Telekom. Über die neuen Ausbaupläne will sich das Unternehmen aber erst äußern, wenn sie beschlossen sind.
Für den Bonner Konzern könnte die neue VDSL-Technik viele Probleme im Festnetz lösen. „Die neue Technik bringt viele Vorteile“, schreibt Hannes Wittig, Telekom-Analyst bei der Investmentbank JP Morgan, in einem kürzlich veröffentlichten Report. Mit der VDSL-Beschleunigung auf 100 Megabit werde die Telekom die Mehrheit der deutschen Haushalte viel schneller erreichen als mit einem flächendeckenden Glasfaserausbau zu allen Häusern, meint Wittig – und das auch noch „zu einem Bruchteil der Kosten“.
Ausbau ist zu viel für den verschuldeten Konzern
Als Marktführer müsste der Ex-Monopolist eigentlich den Anspruch haben, ein neues Glasfasernetz für alle 38 Millionen Haushalte in Deutschland zu bauen. Damit wäre der Fernmelderiese auf absehbare Zeit für die sich abzeichnende Explosion des Datentransports gewappnet. Doch solch ein Komplettausbau würde nach Berechnungen des Wissenschaftlichen Instituts für Infrastruktur und Kommunikationsdienste in Bad Honnef bis zu 80 Milliarden Euro verschlingen. Das wäre zu viel für einen Konzern, der einen Schuldenberg von 40 Milliarden Euro vor sich herschiebt und schwer abschätzen kann, wie viele Haushalte überhaupt bereit sind, einen Aufpreis für einen superschnellen Glasfaseranschluss zu zahlen.
Wenig ambitionierte Reaktion auf Kundenwünsche





Ein Weiterwurschteln wie bisher würde aber genauso in die betriebswirtschaftliche Katastrophe führen. „Die Deutsche Telekom ist der Ex-Monopolist in Europa, der mit dem niedrigsten Investitionsniveau und den am wenigsten ambitionierten Glasfaserausbauplänen auf den Kundenwunsch nach höherer Geschwindigkeit reagiert“, kritisiert Analyst Wittig. Die bisherige Strategie sieht vor, dass die Telekom jährlich 150 000 und 200 000 Haushalte mit Glasfaser ausrüstet – und das auch nur, wenn genügend Vorbestellungen vorliegen. Erst wenn zehn Prozent der potenziellen Kunden in einer Stadt Vorverträge unterzeichnen, rollen die Bagger an.
Wie Obermann das Vertrauen verspielt
Der Umsatz ging von 61,3 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 58,7 Milliarden Euro im Jahr 2011 zurück. Damit fiel der Umsatz innerhalb von fünf Jahren um 4,3 Prozent.
Der Konzernüberschuss ging von 3,2 Milliarden Euro auf 0,6 Milliarden Euro zurück. Damit fiel er seit Obermanns Amtsantritt um mächtige 82 Prozent.
Die Aktie der Telekom verlor zwischen 2006 und 2012 satte 35 Prozent. Sie startete 2006 mit 13,50 Euro, derzeit liegt sie bei rund 8,80 Euro.
Sollte die Telekom weiter mit angezogener Handbremse ihr „Giganetz“ ausrollen, dann stehen ihr schwere Zeiten bevor. Die fehlende Konkurrenzfähigkeit im Festnetz würde mehr Kunden in die Arme der Kabel-TV-Anbieter treiben, fürchtet JP Morgan. Im Jahr 2016 hätte die Telekom dann nur noch einem Marktanteil von 40 Prozent im Festnetz, der Umsatz würde auf 5,7 Milliarden Euro dramatisch absacken.
Schnelles Rollout wäre gut besser für Telekom
Äußerst positiv in der Telekom-Bilanz würde sich nach JP-Morgan-Berechnungen dagegen der viel schnellere VDSL-Rollout im gesamten Verbreitungsgebiet der TV-Kabel niederschlagen: Weniger Kundenverluste und mehr Glasfasernutzer würden im Jahr 2016 Umsätze in Höhe von 7,1 Milliarden Euro in die Telekom-Kasse spülen. Das auch in den Folgejahren stetige Umsatzplus von 1,4 Milliarden Euro, meint JP Morgan, mache die zusätzliche Investition in Höhe von fünf bis sechs Milliarden Euro „sehr attraktiv“.
IT
Die neue VDSL-Technik hat noch einen – für die Telekom – äußerst angenehmen Nebeneffekt. Der Internet-Turbo zündet nur, wenn Konkurrenten nicht die gleiche Technik einsetzen. Wettbewerber sind gezwungen, in neue Verhandlungen mit der Telekom über die Mitbenutzung der beschleunigten Leitungen in den Verteilerkästen zu treten. Die Bundesnetzagentur müsste solch ein Modell zwar noch absegnen, Telekom-Chef Obermann säße jedoch am längeren Hebel.