Google-Entwicklerkonferenz Bremst Google seine eigene Datensammelwut?

Google IO: Großer Helfer statt großer Bruder Quelle: AP

Auf Googles Entwicklerkonferenz präsentiert dessen Chef Sundar Pichai die neue Datenschutz-Strategie. Der große Plan: Die Daten und damit die Intelligenz sollen aus der Wolke auf das Smartphone des Besitzers wandern.

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Der Himmel über Mountain Views Shoreline-Freiluftarena ist bewölkt. „Ich hoffe, dass die Sonne noch scheint“, sagt Google-Chef Sundar Pichai als er am Dienstagmorgen kalifornischer Zeit Googles Entwicklerkonferenz eröffnet. Rund 7000 Entwickler sind zur Hausmesse des Konzerns gekommen. Auf der Bühne, unweit des Hauptquartiers Googleplex, gibt Pichai die neuesten Leitlinien bekannt. Vor ein paar Jahren schwor er hier die Entwickler auf Mobilität ein, dann auf Künstliche Intelligenz, erweiterte und virtuelle Realität. Nun präsentiert er eine griffige Wachstumsformel: Künstliche Intelligenz plus Hardware plus Software. Die Summe ist Googles sich stetig ausdehnendes Universum, manifestiert durch Milliarden von Smartphones, die von seinem Betriebssystem Android angetrieben werden.

Seit zwei Jahrzehnten sonnt sich das Silicon Valley und allen voran Google im weltweiten Erfolg seiner Kommunikationsdienste und Suchwerkzeuge, die es mittels Werbung finanziert und damit Milliardengewinne einfährt. Früher ging es hauptsächlich um das Sammeln der Daten. Nun geht es darum, mit ihnen die Welt zu automatisieren. Und damit nicht nur die Nutzer bei der Stange zu halten, sondern auch die Werbeeinnahmen anzukurbeln, die aufgrund der wachsenden Konkurrenz durch Facebook und Amazon unter Druck gekommen sind.

„Wir sind das Unternehmen, das Sachen erledigt“, wirbt Pichai und preist Googles wachsende Rolle als emsiger Helfer an der Seite seiner Nutzer, stets parat via Smartphone, smart Display, Lautsprecher oder ganz traditionell via Computer.

Doch gegen das noch tiefere Eindringen in den Alltag und die Neuorganisation der Welt via Künstlicher Intelligenz regt sich globaler Widerstand. Der Vertrauensvorschuss, den es mal gab, ist seit Langem aufgebraucht. Immer schärfer wird die Debatte geführt, ob Silicon-Valley-Konzerne wie Google, Apple und Facebook nicht ohnehin schon viel zu viel Macht haben und ihnen Politik und Gesellschaft Grenzen diktieren müssen. Die Wolken über dem Himmel von Mountain View passen also gut zur aktuellen Stimmung. Wie auf Stichwort taucht zum Start von Pichais Präsentation am Horizont ein Kleinflugzeug auf, das ein Werbebanner hinter sich herzieht. Es warnt, dass die Kontrolle von Daten durch Google und Schutz der Privatsphäre nicht vereinbar seien.

Für Pichai ist das jedoch kein Widerspruch. Mehr noch: Er sieht es als Schlüssel zur Problemlösung. Man müsse die Kontrolle nur in die Hände des Nutzers legen, wirbt er. Oder vielmehr in sein Smartphone. Google will die Künstliche Intelligenz, die bislang in den Datenzentren des Konzerns residiert, auf die Smartphones seiner Nutzer verschieben. Was der digitale Helfer für seine Nutzer erledigt, so Pichais Botschaft, bekommt Google gar nicht mit. Die Daten bleiben auf dem Smartphone, der maschinelle Helfer holt sich nur dann Unterstützung aus der Cloud, wenn es Schwierigkeiten beim Lösen einer Aufgabe oder eine ganz neue Problemstellung gibt.

Es ist ein Ansatz, wie ihn Apple längst verfolgt. Doch mit ihm ist Siri ins Hintertreffen geraten, während Google seine Algorithmen mit dem geballten Training von Milliarden Anfragen in der Wolke hochgezüchtet hat. Schießt sich Google als Konzession zu mehr Privatsphäre nun damit ins Knie? Wird die Künstliche Intelligenz nicht mehr schlauer, sondern sogar dümmer?

Hochgezüchtet und getrimmt

Nein, beteuert Jeff Dean, Chef der Sparte für Künstliche Intelligenz, im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Nicht nur seien die Modelle so stark trainiert, dass sie aufs Smartphone verlagert werden können. Sein Team hat den nötigen Programmcode so fit gemacht, dass er nicht nur auf fast jedes Gerät passt, sondern auch schneller läuft, „bis zum zehnfachen in der Spitze“. Er wurde von 100 Gigabyte auf gerade mal ein halbes Gigabyte geschrumpft. „Wir haben eine Menge Redundanzen herausgenommen“, erklärt Dean.

Und das Verlagern an den Ort des Geschehens hat noch einen weiteren Vorteil: Weil die Wolke nur noch im Ausnahmefall kontaktiert werden muss, agiert der Assistent in Echtzeit. Der Nutzer parliert mit seinem Android-Gerät und sieht dabei seine Anfragen beispielsweise nach dem Wetter oder der nächsten Bahnverbindung parallel im Display auftauchen. Er kann E-Mails öffnen, Antworten diktieren oder Fotos sortieren. Mehr noch: Die Sprache von selbst aufgenommenen Videos lässt sich so direkt auf dem Smartphone live transkribieren und als Untertitel darstellen.

Das Smartphone via Sprache dirigieren, das hatte einst Apples Siri versprochen und dann seine Nutzer frustriert, weil es deren Anweisungen oft nicht oder falsch verstand. Bei der Google-Präsentation auf der Bühne klappt hingegen alles reibungslos. Was auch daran liegt, dass sich die Spracherkennung in den vergangenen Jahren erheblich verbessert hat. Wie sehr, das beweist Google mit Euphonia. Bei dem Forschungsprojekt werden Algorithmen so verfeinert, dass selbst Äußerungen von Menschen mit Sprachstörungen, beispielsweise nach Schlaganfällen, richtig interpretiert werden.

Pixel 3a und 3a XL: Zwei Smartphones zum Mittelklassepreis

Wenn das tatsächlich alles so reibungslos funktioniert, wird das Smartphone nun wirklich zur Kommandozentrale für den Alltag – stets auf dem Laufenden dank aktueller Informationen aus dem Internet. Im vergangenen Jahr präsentierte Google, wie sein Chatbot „Google Duplex“ mit täuschend echter menschlicher Stimme telefonisch Tische im Restaurant reserviert oder einen Termin beim Frisör vereinbart. Mit „Duplex on the Web“ soll der Assistent nun ganz stumm auch Reisen organisieren können, beispielsweise einen Mietwagen buchen, bei dem der Termin automatisch aus dem Kalender gezogen wird. Der eigentliche Clou, so triumphiert Pichai, besteht jedoch darin, dass die Anbieter dafür ihre Reservierungssysteme nicht anpassen müssen. Der Assistent hangelt sich selbst durchs Menü. Sein Nutzer muss im besten Fall am Ende nur noch die vorgeschlagene Reservierung bestätigen.

Seine vollständigen Fähigkeiten spielt Googles Assistent zunächst auf den hauseigenen Pixel Smartphones aus, bevor sie dann über Android an andere Hersteller weitergegeben werden. Um seine eigenen Smartphones noch stärker unter die Massen zu bringen, hat Google am Dienstag mit dem Pixel 3a und 3a XL zwei neue Smartphones präsentiert, die es ab 399 Euro beziehungsweise 479 Euro gibt. Sie sollen den Premium-Telefonen von Apple und Samsung aus der 1000-Euro-Liga nicht nachstehen. Um auf den Preispunkt zu kommen, haben sich Googles Hardware-Experten auf das konzentriert, was den meisten Käufern besonders wichtig ist: Scharfe und große Displays (OLED), kombiniert mit Kamera und leistungsfähigem Akku (angeblich bis zu 30 Stunden Nutzung).

Während der Präsentation kokettierte Hardware-Chef Rick Osterloh damit, dass dank eines speziellen Nachtmodus die Mittelklasse-Geräte die Fotos vom iPhone X im wahrsten Sinne des Wortes in den Schatten stellen. Was allerdings nur durch starke Bildmanipulation gelingt. Mit der Realität hat das wenig zu tun – aber das gilt auch für die meisten Bilder in sozialen Netzwerken.

„Sicherheit und Privatsphäre sind unsere Leitprinzipien“, beteuert Pichai in seiner Präsentation und verweist auf den Inkognito-Modus, der schon vor zehn Jahren in Googles Browser Chrome eingeführt wurde und das Surfen im Internet erlaubt, ohne dass es im Browser protokolliert wird. Diese Funktion soll nun auch auf den Kartenservice Google Maps erweitert werden, sodass Nutzer das Speichern ihres Standorts oder die Routenführung unterbinden können. In der Vergangenheit hatte Google den Aufenthaltsort von Smartphone-Nutzern jedoch auch dann gespeichert, wenn diese das unterdrückt hatten, wirft eine Klage dem Konzern vor.

Google will zudem seine Datenschutzeinstellungen stärker im Profil hervorheben – inklusive des automatischen Löschens von Suchanfragen. Der Nutzer hat die Auswahl, ob das nach drei Monaten oder erst nach 18 Monaten erfolgt. Was ein Hinweis ist, dass Google sein ganzes Know-how nur dann ausspielen kann, wenn es über die Interessen seines Nutzers im Bilde ist. Wer dafür offen ist, holt aus Googles digitalem Helfer noch mehr heraus. Beispielsweise das Ordern eines Blumenstraußes, der automatisch zum Muttertag versandt wird. Was voraussetzt, dass der Assistent weiß, wer die Mutter ist und wo sie wohnt.

Verdient Google dieses Vertrauen? Eins muss man Pichai lassen: Im Gegensatz zur wolkigen Proklamation von Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf dessen Entwicklerkonferenz in der vergangenen Woche, dass die „Zukunft privat ist“, beschreibt der Google-Chef die Pläne seines Konzerns sehr detailliert. So kann man ihn zumindest besser an seinen Taten messen. Während Pichais Präsentation teilen sich die Wolken und geben die Sonne frei – während das Kleinflugzeug mit dem Warnbanner weiter unermüdlich seine Runden über dem Konferenzgelände dreht.

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