Google I/O Woodstock im Valley

Bei seiner Entwicklerkonferenz nahe der Konzernzentrale in Mountain View will Google Startup-Feeling erzeugen. Der Internet-Riese greift mit einem eigenen digitalen Assistenten die Chatbots von Facebook und Microsoft an.

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Google-Chef Sundar Pichai spricht während der Google-Entwicklerkonferenz I/O 2016: Zum zehnjährigen Jubiläum kehrt Google mit der Veranstaltung in die Nähe der Konzernzentrale in Mountain View zurück. Quelle: AFP

Mountain View/San Francisco Ein bisschen Sommerlager, ein bisschen Spielplatz für Erwachsene. Zum zehnjährigen Jubiläum kehrt Google mit der Entwicklerkonferenz in die Nähe der Konzernzentrale in Mountain View zurück. Der DJ spielt Lykke Li bis Lady Gaga und zwischendurch Titel aus dem Kinofilm „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Das Publikum macht La Ola.

Die Laune ist fantastisch und so soll es sein, versucht Google-Chef Sundar Pichai an diesem Tag doch die Wiederzauberung der Googlewelt. Natürlich ist der Konzern, dessen Motto mal „Don’t be evil” lautete, heute kein Startup mehr, sondern ein globaler Player, die putzige Weltverbesserungsattitüde durch diverse Kartellverfahren maximal infrage gestellt.

Als Pichai unter Beifall des zwangsjugendlichen Publikums, artig in Sneakers und Shirts erschienen, die Keynote beginnt, will er denn auch jeden Eindruck zerstreuen, seine Firma verdiene immer noch über 90 Prozent der Einnahmen mit dem alten Suchmaschinengeschäft, das auf Daten basiert – auch auf denen der Leute im Publikum.

Wo Google seine Finger im Spiel hat
Google GlassEines der spannendsten Projekte des Suchmaschinen-Anbieters ist sicherlich Google Glass. Mit der Datenbrille ist es möglich E-Mails abzufragen, im Internet zu surfen, zu fotografieren und zu filmen. 2013 hat das Unternehmen erste Datenbrillen an Webentwickler und Geschäftspartner verkauft, mittlerweile ist die Brille frei verfügbar. Quelle: dpa
Online-MusikdienstGoogle stärkt sein Musikgeschäft mit dem Kauf des Streaming-Dienstes Songza, der passende Lieder für verschiedene Situationen zusammenstellt. Nutzer der Songza-App können zum Beispiel zwischen „Musik zum Singen unter der Dusche“, zum Autofahren oder zum Joggen entscheiden. Solche Song-Listen werden von Songza-Mitarbeitern zusammengestellt, es gibt Angebote für verschiedene Tageszeiten und Stilrichtungen. Zugleich kann sich auch die Software hinter dem Dienst an den Musikgeschmack der Nutzer anpassen. Die Musikauswahl kann über Daten aus dem Netz auch das aktuelle Wetter am Standort des Nutzers abgestimmt werden. Google nannte bei Bekanntgabe des Deals am Dienstag keinen Kaufpreis. Nach Informationen der „New York Times“ waren es mehr als 39 Millionen Dollar. Songza ist bisher nur in Nordamerika verfügbar und hatte Ende vergangenen Jahres 5,5 Millionen Nutzer. Der kostenlose und werbefinanzierte Dienst werden zunächst unverändert weiter betrieben, erklärte Google. Mit der Zeit werde man nach Wegen suchen, wie die Musikplattform Google Play Music von Songza profitieren könnte. Quelle: Screenshot
SatellitentechnikGoogle stärkt seine digitalen Kartendienste mit dem Kauf des Satelliten-Spezialisten Skybox Imaging, der Bilder aus dem All in hoher Auflösung erstellt. Der Preis liegt bei 500 Millionen Dollar in bar, wie der Internet-Konzern mitteilte. Skybox bietet seinen Kunden das Beobachten gewünschter Gebiete mit detailreichen Fotos und 90 Sekunden langen Videos an. Als Dienstleistungen nennt Skybox zum Beispiel die Überwachung von Feldern auf Schädlingsbefall und die Aufsicht über Energie-Pipelines. Auch die Auswertung der Container-Bewegungen in Häfen, der Aktivität auf Flughäfen oder der Bestände auf Parkplätzen von Autohändlern ist möglich. Die Satelliten von Skybox sollen helfen, die Google-Karten auf aktuellem Stand zu halten, erklärte der Internet-Konzern am Dienstag. Außerdem hoffe Google, damit die Versorgung mit Internet-Zugängen und die Hilfe bei Unglücken und Naturkatastrophen zu verbessern. Google ist selbst bei der Entwicklung digitaler Satellitenkarten mit seinem Projekt Google Earth weit vorangekommen. Etablierte Anbieter wie DigitalGlobe oder GeoEye haben den Erdball erfasst, Skybox verspricht jedoch frischere Bilder auf Bestellung. Skybox ist einer von mehreren neuen Anbietern, die von drastisch gesunkenen Kosten für Entwicklung und Herstellung von Satelliten profitieren wollen. Sie packen ihre Technik in deutlich kleinere Satelliten als man sie früher baute. Skybox will über die Jahre rund zwei Dutzend Satelliten ins All bringen, steht bei dem Plan aber erst am Anfang. Die Skybox-Satelliten sind nach bisherigen Berichten rund 100 Kilogramm schwer. Das macht es auch günstiger, sie ins All zu bringen als früher. Die Kosten pro Satellit werden auf rund 25 bis 50 Millionen Dollar geschätzt. Quelle: Screenshot
SatellitentechnikErst im April 2014 hatte Google den Hersteller von Solardrohnen Titan Aerospace gekauft. Mit dem Kauf will Google seine Pläne vorantreiben, drahtloses Internet auch in abgelegenste Teile der Welt zu bringen. Über den Kaufpreis für das US-Unternehmen, das 20 Mitarbeiter beschäftigt, wurde nichts bekannt. Titan entwickelt solarbetriebene Satelliten. Sie sollen 2015 erstmals kommerziell in Betrieb genommen werden. Die Drohnen fliegen in rund 20 Kilometern Höhe und können dort fünf Jahre bleiben. Ihre Spannweite ist mit 50 Metern etwas kürzer als die einer Boeing 777. Medienberichten zufolge war auch Facebook an Titan interessiert. Quelle: AP
Sicherheits-GadgetsGoogle hat die Firma SlickLogin gekauft, die eine innovative Art erfunden hat, herkömmliche Passwörter mit einer zweiten Sicherheitsstufe zu ergänzen. Das israelische Start-up setzt dabei auf Ultraschall-Töne, die zwischen Smartphone und PC eines Nutzers ausgetauscht werden. SlickLogin gab die Übernahme am Sonntag bekannt, eine Preis wurde nicht genannt. Nach Informationen des Technologieblogs „Geektime“, das als erstes von dem Deal berichtet hatte, geht es um einige Millionen Dollar. Derzeit setzt Google als zweite Zugangsstufe zusätzlich zum Passwort Zahlencodes ein, die über eine App auf das Smartphone geschickt werden. Der Vorteil des von SlickLogin entwickelten Systems ist, dass die Authentifizierung automatisch laufen kann, ohne dass der Nutzer sich darum kümmern muss. SlickLogin hatte das Ultraschall-Konzept im vergangenen September vorgestellt und befand sich bis zuletzt noch in einer geschlossenen Test-Phase. Nach Informationen von „Geektime“ bestand die Firma immer noch aus den drei Gründungsmitgliedern. Quelle: WirtschaftsWoche Online
Autonome AutosNicht nur große Automobilkonzerne, auch Google forscht mit viel Aufwand an selbstfahrenden Pkw. Dafür entwickelt der Konzern selbst die Software, die das Auto steuert. Dabei will der Konzern wohl sogar eigene Fahrzeuge auf den Markt bringen, die als autonome Taxen am Straßenverkehr teilhaben sollen. Für die Produktion der Autos gab es bereits Gespräche mit dem deutschen Zulieferer Continental und dem Fertiger Magna. Quelle: dpa
Medizinische GadgetsGoogles geheime Forschungsabteilung Google X hat ihre nächste Erfindung öffentlich gemacht. Es ist eine digitale Kontaktlinse für Diabetiker, die Blutzucker-Werte kontrolliert. Google X soll für den Internet-Konzern die Grenzen des Möglichen austesten. Die Entwickler aus dem Forschungslabor testen laut einem Blogeintrag Prototypen einer Kontaktlinse, bei der zwischen zwei Schichten ein Sensor sowie ein Miniatur-Funkchip integriert sind. Die Linse messe die Glucose-Werte in der Tränen-Flüssigkeit jede Sekunde. Der Prototyp sei in mehreren klinischen Forschungsstudien erprobt worden. Die Kontaktlinse solle die Daten an eine begleitende Smartphone-App funken. Chip und Sensor seien so winzig wie Glitzer-Partikel und die Antenne dünner als das menschliche Haar. Er werde auch erwogen, für Warnsignale Mikro-LEDs direkt in die Linse zu integrieren, hieß es. Es sei noch viel Arbeit zu tun bis die Kontaktlinse als fertiges Produkt auf den Markt komme, schränkten die Entwickler ein. Google wolle sich dafür in dem Bereich erfahrene Partner suchen, die Zugang zu der Technologie bekämen. An dem Projekt arbeitet federführend der Forscher Babak Parviz mit, der schon an den Anfängen der Datenbrille Google Glass stand. Er hatte bereits 2009 demonstriert, wie man Kontaktlinsen mit LEDs versehen kann. Quelle: dpa

Vielmehr will der 43-jährige Inder zeigen, dass die Sammelbegeisterung nur Vorteile für den Nutzer hat. Der Konzern stellt Allo vor, einen digitalen Assistenten, der auf die Wissensmaschine von Google, den Knowledge Graph zugreift, und Nutzern Informationen via Chat zur Verfügung stellt. Vor allem gedacht ist das für Mobil-Geräte, die laut Pichai inzwischen die Hälfte aller Googles Suchanfragen verarbeiten.

„Wir wollen, dass der Nutzer einen Dialog mit Google hat”, sagt er. „Wir wollen da sein, wenn er Hilfe braucht.” Mit der eigenen Technologie liege Google „weit vor dem, was andere Assistenten tun können”, erklärt der Chef. Er dürfte recht behalten.

Allo soll Google gegen Microsoft und Facebook in Stellung bringen, das soziale Netzwerk hatte bei der eigenen Entwicklerkonferenz vor ein paar Wochen das Zeitalter der Chatbots eingeleitet. Doch Mark Zuckerberg dürfte gegen Allo, das im Sommer auf den Markt kommen soll, kaum eine Chance haben.

Die Vision von Pichai ist größer als alles, was die Branche bisher gesehen hat. Kein Unternehmen auf der ganzen Welt sitzt auf so einem Datenschatz wie der Suchmaschinenriese, kein Unternehmen betreibt das Sammelgeschäft quer über alle Geräte emsiger und weiß die Informationen besser auszulesen.

Mit dem Assistenten will Google kommunikativer, ja vielleicht sogar menschlicher werden. In der digitalen Welt, in der alles allen prinzipiell zugänglich ist, sind Nutzer zunehmend von der Masse an Informationen überfordert und suchen Orientierung. Allo soll Filter im Überangebot sein, der maßgeschneiderte Brocken aus dem Informationschaos schlägt.

Da ist Ironie dabei. Google, zu dessen Mission es gehört, alle Informationen der Welt digital oder online verfügbar machen will, liefert die Lösung für ein Problem, das es selbst miterzeugt hat.

Mit neuen Funktionen zur Sprachsteuerung soll auch das lästige Starren auf den kleinen Bildschirm wegfallen, ein Problem, das Google auch bei Smartphones wie Wearables umtreibt. Eine von fünf Suchanfragen auf den Mobilgeräten sei inzwischen sprachgesteuert, sagt Pichai. „Wir wollen uns da noch sehr viel verbessern.”

Google will Suche, Navigation und Kommunikation intuitiver machen, der Nutzer soll von seinem Smartphone aus in die Welt blicken. Google zelebriert die Wiederentdeckung des aufrechten Gangs. Mountain View will mitten im Leben der Menschen ankommen.

Die materielle Variante der Idee heißt Google Home, ein formschönes Gerät in Gestalt einer Vase, als Konkurrenz-Produkt zu Amazons Echo, das Kommandos ausführt, Musik streamt oder Licht an- und ausschaltet. Ein Video von Anwendern zeigt, wie erstaunlich einfach sich Menschen einen solchen Sensor in ihren intimsten Wohnbereich installieren lassen, und auch noch dafür bezahlen, für ein kleines bisschen Service.

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