Google Bald zu brav?

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Thema Sexismus

Unangenehme Fragen musste sich die Google-Führung auch beim Thema Sexismus gefallen lassen. Warum der Erfinder des Betriebssystems Android, Andy Rubin, trotz des Vorwurfs sexueller Belästigung Google mit 90 Millionen Dollar Abfindung und warmen Dankesworten verlassen konnte? Antwort Page: „Ich habe Fehler gemacht.“

Inzwischen ist Google intern so zerstritten, dass jede Diskussion zur Obsession wird. Frauen hätten bei Google von vornherein schlechtere Chancen, sagen die einen. Im Gegenteil, sagen andere. „Google diskriminiert weiße, konservative Männer“, klagte Ex-Google-Entwickler James Damore. Er verfasste 2017 ein Papier, das die Unterrepräsentanz des weiblichen Geschlechts bei Softwareentwicklern mit biologischen Unterschieden zwischen Mann und Frau zu erklären versuchte. Dass Google-Chef Pichai den Provokateur erst auf Druck feuerte, wird ihm noch heute angekreidet.

Für Traditionalisten ist der Rauswurf des Entwicklers jedoch Beweis, dass bestimmte Debatten nicht mehr erlaubt seien. Zu viel „political correctness“ bedrohe gar die Innovationskraft. Regelbruch gilt im Silicon Valley als Urquell für Kreativität und Tempo. Das Credo lockt Geld, Talente und Querköpfe. Die Diskussionen bei Google zeigen nun, dass damit Schluss sein könnte. Während die Start-up-Kultur in China Überarbeitung und Sexismus zelebriert, stellt Google Moral über alles.

Die innere Zerrissenheit bedroht nun auch das Wachstum des Konzerns. Auf Druck empörter Mitarbeiter gab Pichai im Frühjahr zu, dass Google beim Projekt Maven mit dem US-Militär kooperiere. Mithilfe künstlicher Intelligenz sollen Kampfdrohnen ihre Ziele besser identifizieren. Zwar beteuerte Pichai, dass man nicht aktiv beteiligt sei, nur den Zugriff auf Google-Infrastruktur erlaube. Doch ein Teil der Belegschaft forderte einen Rückzug: „Google sollte nicht im Kriegsgeschäft sein“, hieß es in einem Brief ans Management. Etliche Ingenieure drohten mit Kündigung, rund 4000 unterschrieben den Aufruf. Im Juni zog Pichai bei Maven die Reißleine.

Zum Ärger von Eric Schmidt. Der ehemalige Google-Chef und Mentor der Gründer berät seit Jahren das Pentagon dazu, wie sich das US-Militär in eine moderne Hightecharmee weiterentwickeln lässt. „Die wichtigsten Technologien, auf die moderne Waffensysteme angewiesen sind, werden heutzutage nicht mehr von Regierungen, sondern der Privatwirtschaft entwickelt“, sagt Schmidt. „Wir brauchen dort viel stärkere Kooperation, vor allem bei Software und künstlicher Intelligenz.“ Maven, so lobte ausgerechnet Schmidt vor dem US-Senat, sei ein bahnbrechendes Vorbild dafür.

Schadenfreude bei Amazon

Die Konkurrenz frohlockt derweil offen über die Selbstzerfleischung bei Google. Microsoft-Chefjurist Brad Smith stellt klar, dass sein Konzern weiterhin mit dem Militär zusammenarbeiten wird. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der seit Jahren der CIA Rechenleistung zur Verfügung stellt, spottet über die Führungsschwäche von Google. „Ein Führungsteam ist auch dazu da, die richtigen Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie unpopulär sind.“ Wenn Techriesen nicht mehr dem Pentagon helfen, „dann kriegt das Land große Probleme“.

Noch geschickter agiert Apple. In China betreibt der Technologiekonzern Datenzentren mit Dienstleistern, die der Staatsführung nahestehen. Außerdem hat Apple liberale Angebote wie die „New York Times“ und Apps, die das Surfen im Internet verschleiern, aus seinem chinesischen Store geworfen. In den USA und Europa dagegen präsentiert sich Apple als Vorkämpfer für Privatsphäre und besseren Datenschutz.

Bei Google ärgert man sich über Apples Doppelmoral – und steckt doch im eigenen Dilemma fest. Man sorgt sich bereits, ob man noch die besten Leute kriegt. Talente werden „auch künftig ihren Weg zu Google finden“, sagt Innovationspsychologe und Google-Kenner Christoph Burkhardt. Aber Google werde „einige gute Mitarbeiter verlieren“.

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