Googles Chef-Evangelist Frederik Pferdt „Die Einstellung ist wichtig: Ich muss nicht von zu Hause arbeiten, sondern kann“

Frederik Pferdt (42) ist als Googles oberster Chef-Evangelist dafür verantwortlich, die Start-up-Atmosphäre des Internet-Giganten zu bewahren. Quelle: Google

Der Deutsche Frederik Pferdt ist als Googles oberster Chef-Evangelist für die Bewahrung der Start-up-Atmosphäre beim Internet-Giganten verantwortlich. Er erklärt, wie neue Arbeitsformen dort funktionieren und wie er vor Kaliforniens Waldbränden flüchtete.

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Frederik Pferdt (42) ist als Googles oberster Chef-Evangelist dafür verantwortlich, die Startup-Atmosphäre des Internet-Giganten zu bewahren. Der Schwabe ist seit zehn Jahren bei Google, unterrichtet außerdem an der Stanford-Universität Innovation. Mit seiner Frau Angela und drei Kindern (4, 6 und 10) lebt er seit vergangenem Jahr in den Santa Cruz Mountains, die das Silicon Valley westlich umrahmen und nun von schweren Feuern betroffen sind.

WirtschaftsWoche: Herr Pferdt, Sie und ihre Familie mussten während der Brände in Kalifornien aus ihrem Haus fliehen. Wie lief das ab?
Frederik Pferdt: Wir bekamen eine Warnung, dass wir wahrscheinlich in den nächsten 24 Stunden unser Haus in den Santa Cruz Mountains verlassen müssen und wir uns darauf vorbereiten sollen. Das war natürlich erstmal ein Schock. Meine Frau und ich haben uns mit unseren Kindern zusammengesetzt, haben die Situation erklärt und sind gemeinsam als Familie eine Liste mit den zehn Dingen durchgegangen, die jeder mitnehmen sollte.

Mussten Sie die erst anfertigen?
Nein, die hängt sehr prominent in unserem Haus. Wir hatten sie schon vor zehn Jahren angefertigt, als wir nach Kalifornien zogen, um uns für solche Fälle vorzubereiten. Meine Frau hat sich damals auch als Ersthelferin ausbilden lassen. Für die Kinder war es auch eine spannende Aufgabe. Abseits von den offensichtlichen Dingen wie Dokumenten, Nahrung und Kleidung, was nehme ich mit, was mir persönlich wertvoll ist. Etwas, was sich nicht ersetzen lässt, woran persönliche Erinnerungen hängen. Wir hatten unseren Kindern gesagt, dass sie sehr sorgfältig auswählen müssen, weil man nicht alles mitnehmen kann und möglichst alles in eine Tasche passen sollte.

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Gab es lange Debatten darüber?
Nein. Es war klar, dass meine Kinder von ihren geliebten Legos nur jeweils eins auswählen können, beziehungsweise Kuscheltiere. Aber ich fand es sehr schön, dass es wirklich nicht viele physische Dinge waren. Wir sahen die Aufgabe, auszuwählen was einem wichtig ist, als etwas positives. Jeder sollte sich dieser Aufgabe einmal stellen.

Was haben Sie zusätzlich eingepackt?
Neben meinen Arbeitsutensilien wie Laptop und Smartphone auch drei japanische Teekanister, die ästhetischen und praktischen Wert für mich haben. Die habe ich mit Tee gefüllt, damit ich auch unterwegs guten Tee habe, als etwas Vertrautes und Nützliches zugleich – mein Morgenritual.

Wie lief die Evakuierung dann ab?
Wir haben vorher noch die Dächer und die Erde ums Haus etwas nass gemacht. Dann sind wir in unseren Westfalia Campervan gestiegen und haben uns auf den Weg ins Silicon Valley gemacht. Es war nachts und schon mit Ungewissheit behaftet. Mit der Ungewissheit, ob wir in unser Haus wieder zurückkommen können, das wir erst vor einem Jahr bezogen haben und als Heimat empfinden. Ich lebe nach dem Motto, Veränderungen als etwas Positives zu sehen und nicht als Bedrohung. Das haben wir auch unseren Kindern vermittelt. Insofern waren wir mental gut vorbereitet. Alles wird gut, haben wir uns gegenseitig versprochen und ermuntert.

Wo sind Sie jetzt mit Ihrer Familie?
Wir stehen gerade in der Auffahrt von Freunden in Los Altos im Silicon Valley. Viele hatten uns Unterschlupf angeboten. Wir sind eine Familie von Campern, das macht es einfacher. Unsere Kinder haben noch Schulaufschub wegen den Bränden. Wir haben keinen langfristigen Plan, weil der nicht möglich ist, sondern experimentieren uns sozusagen nach vorn. Gleichzeitig müssen wir natürlich auch die Corona-Einschränkungen beachten. Ich sehe es als einen Crash-Kurs in Empathie – sich in jemanden hineinzuversetzen der auf der Flucht ist, kein Zuhause mehr hat. Das hilft mir, besser die Probleme zu verstehen und dann hoffentlich in Zukunft bessere Lösungen für alle Menschen zu entwickeln.

Sie haben wenige Stunden nach ihrer Evakuierung wieder gearbeitet?
Ja, ich hatte um 5:30 Uhr in der Frühe einen Workshop mit 18 deutschen Unternehmenschefs, der lange vorbereitet war. Den habe ich aus dem VW-Bus abgehalten. Es war eine ungewöhnliche Kulisse und hat sehr gut geklappt.

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Ist Ihr Haus verschont geblieben?
Ja, wir hatten bislang Glück. Wir haben NestCams aufgesetzt. Jeden Morgen ist jetzt der erste Blick in die App. Steht alles noch, wie ist die Rauchentwicklung, ist Feuer zu sehen? Wir sind zuversichtlich.

Sie wohnen jetzt schon zehn Jahre in Kalifornien. Gewöhnt man sich an die Naturgewalten hier?
Nein, man kann sich an so etwas nicht gewöhnen. Man muss mit ihnen leben. Aber man kann seine Einstellung anpassen, sie justieren. Also nach dem Motto leben, dass Veränderung ein konstanter Faktor ist – sie geschieht und bietet auch immer neue Chancen.

Waldbrände, Erdbeben und Stromausfälle, wie attraktiv ist Kalifornien noch als Lebensmittelpunkt?
Das muss jeder für sich entscheiden. Wir haben im vergangenen Jahr die Entscheidung getroffen, in die Santa Cruz Mountains zu ziehen und waren uns der Gefahr von Waldbränden bewusst. Aber wir wollten für uns als Familie ein näheres Leben an der Natur. Dabei erfahren und ausprobieren, wie man das umweltbewusster und ressourcenschonender machen kann. Wir haben einen Brunnen gebohrt, ein wassersparendes Gewächshaus angelegt und Bäume gepflanzt. Elektromobilität und Solarstrom gehören auch dazu. Wir versuchen, unseren Lebensstil umzustellen. So wollen wir unseren Kindern etwas mitgeben. Man kann nicht einfach vor den Problemen davonlaufen und sagen, weil sie in Kalifornien existieren, kann ich jetzt hier nicht mehr leben und gehe eben woanders hin. Das löst nichts.

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