Googles Chef-Evangelist Frederik Pferdt „Die Einstellung ist wichtig: Ich muss nicht von zu Hause arbeiten, sondern kann“

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„Es geht nicht nur um das Arbeiten von zu Hause aus, sondern von überall her“

Muss man sich nachhaltiges Leben finanziell leisten können?
Es geht nicht so sehr darum, ob man sich das finanziell leisten kann, sondern ob man sich darauf einlässt und tatsächlich etwas tut. Es geht um die Einstellung. Da kann jeder anfangen, jeder Schritt zählt.

Sie arbeiten jetzt aus Ihrem Campervan. Fällt das leichter, weil bei Google schon seit Mitte März wegen Covid-19 Homeoffice angeordnet wurde?
Bei mir war es sogar noch früher. Freunde hatten mir geholfen zuhause einen Geodesic-Dom aufzubauen, den ich als Büro nutze. Daraus habe ich schon im Dezember die ersten Kurse für meine Stanford-Studenten gegeben. Als im März Covid-19 ausbrach, witzelten Kollegen, dass ich das Ganze mit der Heimarbeit schon vorausgesehen hätte, also in die Zukunft schauen kann. Bei Google leite ich jetzt ein Projekt, das neue Arbeitsformen auslotet, wie wir in Zukunft arbeiten. Wir haben entschieden, dass erstmal bis Mitte nächsten Jahres jeder von zu Hause aus arbeiten kann. Es ist ein spannendes Projekt, weil wir sozusagen in unserem eigenen Experiment agieren, anstatt wie sonst üblich es erstmal von außen zu betrachten.

Gibt es schon eine Erkenntnis aus dem Experiment?
Ja, wie wichtig die richtige Einstellung ist. Zu vermitteln, dass man nicht von zu Hause aus arbeiten muss, sondern es kann. Ich darf von überall arbeiten, das hört und fühlt sich anders an.

Inklusive der positiven Dinge wie beispielsweise die ersparte Zeit, weil man nicht mehr pendeln muss. Die engere Bindung an die Familie und deren Tagesablauf. Das hat natürlich auch all seine Herausforderungen, angefangen vom nötigen Raum, der Ausstattung und Internet-Qualität. Technologie hat aber über die Videokonferenzen einen Turbo-Boost bekommen. Ganze Regierungen, ganze Schulsysteme haben das Potential erkannt, aber eben auch die Schwächen, die es jetzt anzupacken gilt.

Pferdt nutzt einen Geodesic-Dom als Büro. Quelle: Google

Wie sieht die Zukunft des Arbeitens aus? Wird es einen Hybrid aus Heimbüro und traditionellen Büro geben?
In die Zukunft kann niemand schauen. Aber man kann sie schon heute ausprobieren. Genauer gesagt, geht es auch nicht nur um das Arbeiten von zu Hause aus, sondern von überall her. Das ist eine weitere Dimension. Es geht nicht nur um den Ort. Sondern wie man eine Arbeitsatmosphäre schafft, die auch im virtuellen Raum Vertrauen erzeugt. Und dabei die unterschiedlichen Bedürfnisse im Team berücksichtigt. Jemand, der sich zu Hause einsam fühlt, nimmt vielleicht gern an einem weiteren Meeting teil. Jemand, der Kinder um sich hat, findet das eher nicht so toll.

Der Google-Campus ist wie eine kleine Stadt und wurde so konzipiert, dass Mitarbeiter sie eigentlich gar nicht verlassen müssen. Als Eric Schmidt im Sommer 2001 Google-Chef wurde, erzählte er der WirtschaftsWoche im Interview, dass die Mitarbeiter aufeinander hocken müssten, damit was passiert. Ist das jetzt nicht mehr so?
Ich glaube nicht, dass Leute physisch zusammen sein müssen, damit Innovation entsteht. Nähe, oder vielmehr Vertrauen kann man auch anders schaffen. Google ist ein international aufgestelltes Unternehmen. Nicht jeder kann vor Ort im Hauptquartier in Mountain View sein. Durch das Zusammenschalten per Videokonferenz kann man jetzt viele Menschen zusammenbringen, mit unterschiedlichen Perspektiven, was früher nicht so einfach gewesen wäre. Diese unterschiedlichen Sichtweisen bringen Innovation voran, weil man Herausforderungen aus Perspektiven betrachtet, auf die man sonst nicht gekommen wäre. Dazu ist es jedoch wichtig, dass jeder teilhaben kann und auch zu Wort kommt. Es ist eine wichtige Aufgabe für Führungskräfte, diese Inklusion sicherzustellen und das dazu nötige Vertrauen zu schaffen. Es ist aber auch wichtig, dass man Freiräume schafft und es nicht ausnutzt, indem man das Team mit ständigen Konferenzen überlastet. Irgendwann ist Abend und Wochenende, man muss auch andere Dinge machen.


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Das Ende des Silicon Valleys wird schon seit vielen Jahrzehnten immer wieder beschworen. Kommt es jetzt durch die Telearbeit tatsächlich zum Exodus, weil viele in andere, preisgünstige Regionen mit weniger Verkehr ziehen?
Ich weiß es nicht. Es ist eine sehr individuelle Entscheidung. Den Wettbewerb zwischen den Regionen hat es immer schon gegeben und der ist hilfreich. Auch das Silicon Valley hat sich stets neu erfunden und aufgestellt. Vielleicht geht es nun stärker darum, wie sich die Rahmenbedingungen verändern müssen, dass es wieder lebenswerter wird, besser für die neuen Bedürfnisse der gesamten Menschheit.

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