Am 1. April 2004 beginnt Sundar Pichai seine Arbeit bei Google. Der Job ist kein Scherz. Pichai wird Produktmanager, er soll die Such-Boxen in den großen Browsern Firefox und Internet-Explorer verbessern. Doch der junge Mann denkt größer - und entwickelt nebenbei gleich einen eigenen Google-Browser. Keine zehn Jahre später ist Chrome eine feste Größe und hat den einstigen Platzhirschen in vielen Ländern den Rang abgelaufen.
Mit dem Chrome-Coup qualifiziert sich Pichai für Höheres. Er betreut die Entwicklung des Google-eigenen Betriebssystems Chrome OS und des schlanken Laptops Chromebook. Der Cloudspeicher Drive, der Kartendienst Maps und Gmail - Pichai kümmert sich in der Folge um Googles wichtigste Projekte - jene, die den Internetriesen tief im Leben der Nutzer verankern. Pichai konzentriert sich darauf, die Dienste leichter zugänglich zu machen - und damit neue Nutzer zu gewinnen und alte enger zu binden. Was seine Lehrer “folgsam” nannten, macht Pichai zu seiner großen Stärke. Er versteht sich als Diener der Nutzer.
Die Erfolge von Gmail, Maps und GoogleDrive werden so zu persönlichen Siegen für Pichai. Und Google weiß, was man an dem jungen Inder hat. Als der Kurznachrichtendienst Twitter 2010 versucht, Pichai abzuwerben, zahlt der Konzern einen Bonus aus - eine Summe zwischen zehn und 50 Millionen Dollar, heißt es in der Branche.
2013 übernimmt Pichai eines der wichtigsten Google-Projekte. Er wird Chef der Android-Sparte, nachdem sich deren Leiter, Andy Rubin, mit Larry Page überworfen hat. Das Mobile-Betriebsystem gilt als Googles wichtigstes Standbein neben der Suchmaschine und läuft auf dem Großteil aller Smartphones weltweit.
Der Ehrgeiz ist endgültig geweckt. Als Steve Ballmer Anfang 2014 seinen Rücktritt als Microsoft-CEO ankündigt, wird plötzlich Pichai als einer der heißesten Nachfolge-Kandidaten gehandelt. In Redmond übernimmt schließlich Satya Naella das Ruder - und Pichais Karriere macht trotzdem einen kräftigen Sprung. Seit vergangenem Herbst verantwortet er nahezu das gesamte Onlinegeschäft.
Mit seiner Konzentration auf die Bedürfnisse der Nutzer bewegte sich Sundar Pichai bislang auf einer Linie mit seinem Vorgesetzten Page. In Interviews wich er nie von der Konzernlinie ab. “Sundar sagt seit einiger Zeit Dinge, die ich genauso sagen würde - manchmal sogar besser”, verkündet Page entsprechend mit väterlicher Zufriedenheit.
Auch bei seinen Kollegen ist Pichai beliebt. “Sundar hat nie einen schlechten Tag”, zitiert die New York Times den Risikokapitalgeber und ehemaligen Kollegen Chris Sacca. “Seine positive Energie ist ansteckend und sein Optimismus zieht die besten Talente an.”
Ob sich die Eintracht auch in Zukunft hält, ist ungewiss. Ebenso, ob seine zurückhaltende Art dazu taugt, ein solches Konzern-Dickschiff zu lenken. Denn auch die um die Moonshots verkleinerte Google-Kerneinheit steht vor Herausforderungen. Die sind nicht mal finanzieller Art. 2014 erzielte das Unternehmen bei knapp 70 Milliarden Dollar Umsatz 14,4 Milliarden Dollar Gewinn.
Doch die Abhängigkeit vom Suchmaschinengeschäft und der dabei ausgespielten Werbung ist enorm. Ein zweites, auch nur annähernd ähnlich potentes Standbein aufzubauen, ist Google bislang nicht gelungen. 90,4 Prozent des Umsatzes wurden zuletzt mit Werbebannern erwirtschaftet.
Youtube, dass auch in Zukunft zu Google gehören wird, macht zwar enorme Umsätze, knappst aber nur an der Schwarzen Null. Google Plus, das soziale Netzwerk, das Facebook in seine Schranken weisen sollte, kann der Konkurrenz nicht das Wasser reichen. Im Gegenzug wildert Facebook sogar im Google-Territorium, zeigt Videos im Nachrichtenverlauf und schraubt an der eigenen Suchfunktion.Insbesondere im schnell wachsenden Segment der Werbung auf Smartphone und Tablet macht Facebook große Sprünge. Noch liegt Google zwar vorn, aber der Abstand wird geringer.
Sundar Pichai wird beweisen müssen, dass sein Weg der Konzentration auf die Nutzerbedürfnisse der richtige ist, um Facebook Paroli zu bieten. Von oberster Stelle hat Sundar aber auch die Erlaubnis, weiter zu experimentieren. "Ich weiß, dass Sundar sich immer auf Innovationen konzentrieren wird", so Larry Page.
Wie genau die neue Struktur von Google und der Alphabet-Holding aussieht, welche Änderungen kommen und wann sie in Kraft treten, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Bisher übt sich Pichai weiter in Zurückhaltung und Bescheidenheit. “Thanks”, antwortet er einer Handvoll prominenter Gratulanten wie Satya Nadella und Tim Cook auf Twitter. Kaum ein Wort mehr. Ein Show-Man hätte seinen Aufstieg anders verkündet.