
WirtschaftsWoche: Fast eine Millionen Kunden hatten wegen eines mutmaßlichen Hacker-Angriffs auf die Telekom in den letzten Tagen kein Internet, Handy- oder Festnetzanschluss. Haben sie Anspruch auf Schadenersatz?
Solmecke: Vertraglich sichert die Telekom nur an 97 Prozent des Jahres einen sicheren Anschluss zu. Erst wenn die Telekom also mehr Ausfälle als elf Tage in Folge oder auch übers Jahr verteilt aufhäuft, entsteht ein Anspruch auf Schadenersatz. Der bezieht sich aber nur auf den Ausgleich der täglichen Kosten des Anschlusses, es geht also nur um wenige Euro. Und auch die entfallen, wenn wie geschehen die Telekom ihren Kunden sofort einen Tagespass als Alternative anbietet. Ausfälle unterhalb der elf Tage müssen Kunden hinnehmen.
Angriffsziele von aufsehenerregenden Cyberangriffen
Im Dezember 2015 fiel für mehr als 80.000 Menschen in der Ukraine der Strom aus. Zwei große Stromversorger erklärten, die Ursache sein ein Hacker-Angriff gewesen. Es wäre der erste bestätigte erfolgreiche Cyberangriff auf das Energienetz. Ukrainische Behörden und internationale Sicherheitsexperten vermuten eine Attacke aus Russland.
Im Februar 2016 legt ein Erpressungstrojaner die IT-Systeme des Lukaskrankenhauses in Neuss lahm. Es ist die gleiche Software, die oft auch Verbraucher trifft: Sie verschlüsselt den Inhalt eines Rechners und vom Nutzer wird eine Zahlung für die Entschlüsselung verlangt. Auch andere Krankenhäuser sollen betroffen gewesen sein, hätten dies aber geheim gehalten.
Ähnliche Erpressungstrojaner trafen im Februar auch die Verwaltungen der westfälischen Stadt Rheine und der bayerischen Kommune Dettelbach. Experten erklären, Behörden gerieten bei den breiten Angriffen eher zufällig ins Visier.
In San Francisco konnte man am vergangenen Wochenende kostenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, weil die rund 2000 Ticket-Automaten von Erpressungs-Software befallen wurden. Laut einem Medienbericht verlangten die Angreifer 73 000 Dollar für die Entsperrung.
Im Mai 2015 fallen verdächtige Aktivitäten im Computernetz des Parlaments auf. Die Angreifer konnten sich so weitreichenden Zugang verschaffen, das die Bundestags-IT ausgetauscht werden. Als Urheber wird die Hacker-Gruppe APT28 vermutet, der Verbindungen zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden.
Die selbe Hacker-Gruppe soll nach Angaben amerikanischer Experten auch den Parteivorstand der Demokraten in den USA und die E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampf-Stabschef John Podesta gehackt haben. Nach der Attacke im März wurden die E-Mails wirksam in der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs im Oktober 2016 veröffentlicht.
APT28 könnte auch hinter dem Hack der Weltdopingagentur WADA stecken. Die Angreifer veröffentlichen im September 2016 Unterlagen zu Ausnahmegenehmigungen zur Einnahme von Medikamenten, mit einem Fokus auf US-Sportler.
Ein Angriff, hinter dem Hacker aus Nordkorea vermutet wurden, legte im November für Wochen das gesamte Computernetz des Filmstudios lahm. Zudem wurden E-Mails aus mehreren Jahren erbeutet. Es war das erste Mal, dass ein Unternehmen durch eine Hackerattacke zu Papier und Fax zurückgeworfen wurde. Die Veröffentlichung vertraulicher Nachrichten sorgte für unangenehme Momente für mehrere Hollywood-Player.
Bei dem bisher größten bekanntgewordenen Datendiebstahl verschaffen sich Angreifer Zugang zu Informationen von mindestens einer Milliarde Nutzer des Internet-Konzerns. Es gehe um Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und verschlüsselte Passwörter. Der Angriff aus dem Jahr 2014 wurde erst im vergangenen September bekannt.
Ein Hack der Kassensysteme des US-Supermarkt-Betreibers Target macht Kreditkarten-Daten von 110 Millionen Kunden zur Beute. Die Angreifer konnten sich einige Zeit unbemerkt im Netz bewegen. Die Verkäufe von Target sackten nach der Bekanntgabe des Zwischenfalls im Dezember 2013 ab, weil Kunden die Läden mieden.
Eine Hacker-Gruppe stahl im Juli 2015 Daten von rund 37 Millionen Kunden des Dating-Portals. Da Ashley Madison den Nutzern besondere Vertraulichkeit beim Fremdgehen versprach, erschütterten die Enthüllungen das Leben vieler Kunden.
Im Frühjahr 2016 haben Hacker den Industriekonzern Thyssenkrupp angegriffen. Sie hatten in den IT-Systemen versteckte Zugänge platziert, um wertvolles Know-how auszuspähen. In einer sechsmonatigen Abwehrschlacht haben die IT-Experten des Konzerns den Angriff abgewehrt – ohne, dass einer der 150.000 Mitarbeiter des Konzerns es mitbekommen hat. Die WirtschaftsWoche hatte die Abwehr begleitet und einen exklusiven Report erstellt.
Im Mai 2017 ging die Ransomware-Attacke "WannaCry" um die Welt – mehr als 200.000 Geräte in 150 Ländern waren betroffen. Eine bislang unbekannte Hackergruppe hatte die Kontrolle über die befallenen Computer übernommen und Lösegeld gefordert – nach der Zahlung sollten die verschlüsselten Daten wieder freigegeben werden. In Großbritannien und Frankreich waren viele Einrichtungen betroffen, unter anderem Krankenhäuser. In Deutschland betraf es vor allem die Deutsche Bahn.
Für Geschäftsleute kann so ein Ausfall aber weit folgenreicher sein als für Privatleute. Welche Rechte haben die?
Das kommt als erstes auf den Vertrag an. Geschäftsleute können auch Verträge abschließen, die eine Verfügbarkeit von 99 oder 99,5 Prozent des Jahres beinhalten. Diese größere Sicherheit und damit das größere Haftungsrisiko lässt sich die Telekom aber entsprechend teuer bezahlen. Das ist objektiv auch eine technisch sehr anspruchsvolle Zusage. Diese Verträge können deshalb bis zum Zehnfachen günstiger Tarife kosten. Aber Geschäftsleute sollten nicht vergessen: Auch bei nur einem Prozent Toleranz können das noch drei komplette Tage ohne Anschluss im Jahr werden.
Was raten Sie Business-Kunden?
Solmecke: Für unsere Kanzlei mit 80 Mitarbeitern haben wir grundsätzlich drei verschiedenen Anbieter, jeweils einen für einen Glasfaser-, einen LTE- und einen DSL-Anschluss. Das alle gleichzeitig ausfallen, ist höchst unwahrscheinlich.
Wenn es nun aber einen Ausfall von je nach Vertrag mehr als drei oder elf Tagen gibt: Wie können Selbstständige dann einen Schadenersatz geltend machen?
Sie müssen zunächst alles genauestens protokollieren, zum Beispiel mit einem Routerprotokoll oder mit schriftlichen Zeugenaussagen und die entstandenen Schäden auflisten. Vor allem ein entgangener Gewinn ist aber nicht einfach nachzuweisen. Auch die Gerichte sehen dort sehr genau hin.
Hat der Geschäftskunde noch weitere Pflichten?
Oh ja, er hat nämlich die Schadenminderungspflicht. Das bedeutet, er darf nicht einfach abwarten, wenn es etwas schief geht, sondern er muss sofort versuchen, den Schaden so klein wie möglich zu halten. Beispielsweise muss er sich, wenn er auf eine wichtige Geschäftsmail wartet, eine Prepaidkarte besorgen um ins Internet zu kommen oder auch ein Internetcafé aufsuchen. Ansonsten schmälert er seinen Schadenersatz.
Beschränkt denn auch die Telekom ihre Pflicht, Schadenersatz leisten zu müssen?
Das tut sie, indem sie sich auf grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz beschränkt.
Konkret bedeutet das: Hatten die Hacker besonders leichtes Spiel, weil der Zugang seitens der Telekom nicht ausreichend gesichert war, muss sie Schadenersatz leisten, weil sie grob fahrlässig gehandelt hat. Gibt es aber einen überraschenden neuen Angriff, vor dem sie sich kaum schützen konnte, also normale Fahrlässigkeit vorliegt, ist sie nicht automatisch schadenersatzpflichtig.
Wie sehen das die Gerichte?
Die sind sehr zurückhaltend bei diesen Kundenansprüchen. Für Privatleute lohnt sich eine Klage faktisch gar nicht. Das Entscheidende ist: Kunden haben mit der Telekom einen Dienstleistungsvertrag, keinen Werkvertrag. Das bedeutet: Bei einem Dienstleistungsvertrag schuldet die Telekom ihren Kunden nur ihr bestmöglichstes Bemühen, aber keinen Erfolg. Nur beim Werkvertrag schuldet sie ihnen die erbrachte Leistung.
Als unwirksam haben die Gerichte aber Verträge erklärt, die weniger als 90 Prozent Verfügbarkeit beinhalten. Ein Telefon- und Internetausfall von mehr als 30 Tagen im Jahr ist heute niemandem mehr zumutbar.
Zur Person
Christian Solmecke ist Anwalt in der Kölner Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE.
Haben Geschädigte denn ein Sonderkündigungsrecht?
Wenn die Leistung länger als die besagten drei oder elf Tage pro Jahr ausfällt, ist das so. Dann müssen sie ihrem Betreiber zunächst eine Frist von zwei bis drei Tagen zur Nachbesserung setzen. Wenn der Schaden dann nicht behoben ist, können sie den Vertrag kündigen.