Halo Rise Nun kann man auch mit Amazon ins Bett gehen

Der neue smarte Wecker von Amazon, der Halo Rise. Quelle: AP

Mit sogenannter „Umgebungsintelligenz“ macht sich Amazon im Alltag breit – und im künftigen Internet. Was Wettbewerbshütern Schauer über den Rücken jagt, verursacht ein wohliges Gefühl für Aktionäre.

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Mitte November feiert der Kindle von Amazon sein 15jähriges Jubiläum. Vor anderthalb Jahrzehnten überraschte Amazon-Gründer Jeff Bezos die Welt mit dem ersten Hardware-Produkt seines Online-Handelskonzerns: Ein handlicher E-Reader, stromsparend dank sogenanntem elektronischen Papier, ganz fokussiert auf das Lesen von Büchern und Zeitschriften in schwarz-Weiß, ohne Ablenkungen durch E-Mail oder soziale Medien.

Obwohl der Kindle jede Menge Konkurrenz durch Tablets wie den iPad oder Smartphones erhalten hat, durch das Kindle Tablet sogar hausintern, behauptet sich Amazons E-Reader immer noch am Markt. Und bekommt jetzt zum Weihnachtsgeschäft eine Schreibfunktion verpasst. Am Mittwoch stellte Amazon Hardware-Chef Dave Limp den Kindle Scribe vor, auf dem sich über einen mitgelieferten Stift Notizen machen lassen. Er selbst teste den Scribe schon seit Monaten in Meetings, so Limp. Das Gerät habe inzwischen seinen Notizblock ersetzt. „Der Kindle Scribe bietet ein Schreiberlebnis, das sich so natürlich anfühlt wie auf Papier“, jubelt Eric Saarnio, bei Amazon fürs internationale Hardwaregeschäft verantwortlich.

Amazon ist zwar nicht der erste Anbieter mit solch einer Funktion, Sony und Remarkable bieten seit langem solche E-Reader an. Vor allem ist sein Preis von 370 Euro nur neun Euro billiger als der günstigste iPad von Apple und mit einem Gewicht von 430 Gramm nur sechzig Gramm leichter. Es wird deshalb wahrscheinlich ein Gerät für die Nische bleiben.

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von Henryk Hielscher

Eindrucksvoll ist jedoch nicht nur, dass es den Kindle immer noch gibt. Sondern, dass Amazon sich bis heute darüber ausschweigt, wie viele Kindle-Geräte es bislang abgesetzt hat. Die Zahl wird wie ein Staatsgeheimnis gehütet, Schätzungen gehen von mindestens 100 Millionen Stück seit seiner Premiere aus. Die Geheimniskrämerei gilt für die gesamte Hardware-Sparte von Amazon. Zwar setzt der Konzern mittlerweile mehr als Apple um und wird in diesem Jahr erstmal die Marke von 500 Milliarden Dollar überspringen. Doch wieviel davon eigene Hardware ausmacht und wie profitabel sie ist, wird geschickt in der Bilanz versteckt – wahrscheinlich in der Online-Handelssparte, der wichtigsten Umsatzsäule von Amazon.

Die Ambitionen sind groß. Nachdem Amazon vor vier Jahren 830 Millionen Dollar springen ließ, um den Überwachungskamera-Hersteller Ring zu übernehmen, greift Amazon-Chef Andy Jassy nun noch tiefer in die Tasche. Für 1,7 Milliarden Dollar will er den Heimrobotik-Spezialisten iRobot, bekannt durch den Staubsaugerroboter Roomba, schlucken.

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Klar ist, dass Amazon schon jetzt eine Hardware- und Software-Macht ist, ursprünglich durch den Kindle entzündet. Wie sehr, demonstrierte Limp am Mittwoch bei der einstündigen Vorstellung der neuesten Hardware-Palette, aufwändig via vorproduzierten Videos, die an Apple-Präsentationen erinnerten. Wie den Amazon Lautsprecher Echo mit der Sprachassistentin Alexa – inzwischen auch als Ziggy ansprechbar –, neuen Funktionen für die Sicherheits- und Überwachungskamera Ring, die mit einer 3D Bewegungserfassung Fehlalarme verringern soll und einer neuen Version des Apple TV-Konkurrenten Fire TV Cube. Fürs Auto gibt es einen neuen Alexa-Lautsprecher. BMW will zudem mit Hilfe von Alexa einen eigenen Sprachassistenten aufbauen und offerieren.

Für die USA gibt es noch mehr Neuerungen. Die kontroverseste ist Halo Rise. Dahinter verbirgt sich ein Wecker, der nicht nur die Zeit anzeigt, sondern über Sensoren Atemzüge, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht im Schlafzimmer erfassen und so, laut Amazon, den Schlaf messen kann. Körperbewegungen werden via Radar erfasst. Man kann jetzt also mit Amazon ins Bett gehen. Wobei Limp sich beeilte, zu versichern, dass es ohne Kameras und Mikrofone auskommt. Von Philips hat man eine Funktion kopiert, mit der man sich über Licht wecken kann.

Amazons fahrbarer Heimroboter Astro bekommt ein Software-Update, mit dem es Katzen und Hunde identifizieren und auseinanderhalten kann. Außerdem wird der Roboter stärker auf Wächter getrimmt. Wenn die Bewegungssensoren und Kameras einen Einbruch melden, soll Astro den Einbrecher konfrontieren.

Amazon macht sich also schleichend zu Hause breit und damit im Alltag seiner Kunden – über deren Unterhaltungsvorlieben und Einkaufsverhalten bis hin zur Größe und Einrichtung ihrer Wohnung oder Haus sowie Heizverhalten und möglichen Schlafstörungen. Limp nennt das „ambient intelligence“ – also Umgebungsintelligenz – Amazon als steter Helfer an der Seite seiner Kunden, der automatisch Türen schließen kann oder das Licht dimmen.

Mit Amazon Web Services stellt Amazon heute schon weite Teile der Infrastruktur des Internets, die über Sensoren, Kameras und Mikrofone nun auch ins Heim und Auto verlängert wird. Es ist Amazons Interpretation des Metaversums, also das künftige Internet, das auch die Sinne des Menschen und seine Erlebnisse stärker einbezieht. Wobei Amazon genau wie Apple und Google versucht, seine Kunden noch stärker in seine Welt zu ziehen – mit Geräten und Diensten, die ihre Stärken vor allem dann ausspielen, wenn sie aus dem eigenen Imperium stammen.

Es ist umso bemerkenswerter, weil Amazon mit dieser Strategie aus der Not eine Tugend gemacht hat. Denn die Smartphone-Revolution hatte der Konzern verschlafen. Sein 2014 vorgestellter Konter namens Fire Phone war der bislang größte Misserfolg in der Geschichte des Konzerns. Die Scharte wurde mit dem unerwarteten Erfolg seines smarten Alexa-Lautsprechers ausgewetzt. Im „smarten Haus“, das eigentlich Apple und Google dominieren wollten, ist Amazon heute der Primus.

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Falls nicht der Gesetzgeber einschreitet. Die Federal Trade Commission, deren Chefin Lina Khan eine leidenschaftliche Amazon-Gegnerin ist, bereitet eine Klage gegen den Konzern wegen dessen Wettbewerbsverhalten vor. Zudem will sie die geplante Übernahme von iRobot genauer unter die Lupe nehmen. Im US-Senat wird ein Gesetzentwurf diskutiert, der ähnlich wie in Europa die Macht von Big Tech einschränken soll.

Wahrscheinlich wird Amazon mehr seiner Daten mit Wettbewerbern teilen müssen und darf seine Produkte und Dienste nicht mehr so stark in den Vordergrund stellen. Seinen Siegeszug im Heim wird das allerdings nicht stoppen können.

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