
Am 3. Juni ist es endlich so weit: Im Hilton, einem riesigen T-förmigen Kongress-Hotel in Orlando im US-Bundesstaat Florida, wird Bill McDermott die Eröffnungsrede auf der Sapphire halten. So heißt die Messe, die der Softwarekonzern SAP jedes Jahr für seine Kunden veranstaltet. Dann wird der 52-Jährige endlich auf dem Zenit seiner Macht ankommen – als alleiniger Vorstandsvorsitzender an der Spitze des deutschen Vorzeigeunternehmens im badischen Walldorf.
Was davor geschieht, ist reine Formsache. Auf der Hauptversammlung am Mittwoch dieser Woche in der SAP-Arena in Mannheim erfolgt die offizielle Stabübergabe. Jim Hagemann Snabe, der seit Anfang 2010 gemeinsam mit McDermott die Geschicke beim weltgrößten Anbieter von Unternehmenssoftware geleitet hat, rückt wunschgemäß in den Aufsichtsrat.
Neue Ära
Die schon länger bekannte Personalie wäre kaum noch eine Notiz wert, bräche mit ihr nicht eine neue Ära in dem Unternehmen mit weltweit 67.000 Mitarbeitern an. McDermott, so viel steht für Insider fest, wird nun mit aller Macht den Umbau von SAP vorantreiben. Sein erklärtes Ziel ist die Verwandlung von SAP in einen reinrassigen Anbieter sogenannter Cloud-Software, die es künftig nur noch über das Internet zu mieten gibt. Ein Effizienz- und Optimierungsprogramm sei bereits angeleiert, heißt es aus dem Unternehmen – Stellenabbau inklusive.
So ist das SAP-Management bereits an die Betriebsräte der deutschen Landesgesellschaft sowie der Konzern-AG herangetreten. Die Arbeitnehmervertreter sollen Teams für Verhandlungen zusammenstellen. Bereits Mitte Mai will SAP über konkrete Maßnahmen diskutieren. Welche das im Einzelnen sind, wissen die Beteiligten angeblich noch nicht.
Verschlankung und Vereinfachung: Die schon seit Jahren vor allem in Walldorf gefürchtete Amerikanisierung der SAP, sie dürfte erst jetzt so richtig kommen. Und zwar schneller, als vielen Mitarbeitern hierzulande lieb sein dürfte. „Simplify & Optimize“, zu Deutsch: „Vereinfache & Optimiere“, heißt das Programm, das McDermott zu diesem Zweck angestoßen hat. Mit ihm lässt er den gesamten Konzern nach Doppelfunktionen durchforsten. Zudem sollen kleinere Standorte, die SAP durch die vielen Übernahmen der vergangenen Jahre hinzubekam, zusammengeführt oder geschlossen sowie die entsprechenden Stellen gestrichen werden, berichten Insider.
Die Unruhe bei den Mitarbeitern ist spürbar. Bereits seit einiger Zeit wabern Gerüchte über ein Stellenabbauprogramm durch die Flure in Walldorf, die Rede ist von bis zu mehreren Tausend Mitarbeitern weltweit. SAP sagt dazu auf Anfrage lediglich: „Es sind keine Massenentlassungen geplant, sondern es handelt sich um gezielte Anpassungen, um unsere Organisation zu vereinfachen und zu optimieren, damit wir SAP besser auf die Cloud ausrichten.“
Einpeitscher und Kritiker
Die Einstimmung auf die Veränderungen erfolgte auf der Mitarbeiterversammlung Anfang Mai, einen Tag nachdem SAP-Technikvorstand Vishal Sikka überraschend zurückgetreten war. Dabei teilten sich McDermott und SAP-Aufsichtsratschef Hasso Plattner die Aufgaben: Hier der Amerikaner, der Einpeitscher, dort der SAP-Mitgründer, der ständige Kritiker.
Plattner schrieb den SAPlern einmal mehr die Bedeutung von Innovationen ins Stammbuch. SAP befinde sich in einer klassischen Zwickmühle, dem „Innovator’s Dilemma“: Als Marktführer bei klassischer Unternehmenssoftware sei es wichtig, so der Tenor, das angestammte profitable Geschäft zu pflegen. Das aber mache es umso schwerer, sich auf neue Technologien wie das Cloud Computing einzulassen und sich dort neu zu erfinden. Dabei sei dies notwendig, „weil sich die Welt radikal verändert“, so Plattner laut einem Bericht aus dem SAP-Intranet, das der WirtschaftsWoche vorliegt.