Vor der Hauptversammlung lief es für Apple alles andere als rund. Erstmals seit Jahren musste das Unternehmen große Sicherheitslücken in den hauseigenen Betriebssystemen iOS und OSX einräumen. Und dann stuften wieder einmal Analysten den Wert des Unternehmens herab – wie so oft in den vergangenen Jahren. Dieses Mal waren es Vertreter der dritten größten britischen Bank Barclays, die das Urteil „overweight“ auf „neutral“ korrigierten.
Grund dafür ist das immer größere werdende Unverständnis, für die Ruhe von Tim Cook. Weder prescht er mit neuen Produkten nach vorne, noch tätigt er große Investitionen. Dabei sitzt das Unternehmen auf fast 160 Milliarden Euro und ist damit einer der reichsten Konzerne der Welt. Die Konkurrenz hat weniger Skrupel, Geld auszugeben:
Samsung preschte erst jüngst auf dem Mobile World Congress mit neuen Smartphones, Tablets und Fitness-Gadgets voran. Mit dem Galaxy S5 haben die Südkoreaner sogar den Fingerabdruck-Sensor eingeführt, der bisher Apples Alleinstellungsmerkmal gewesen war.
Microsoft sicherte sich Ende des vergangenen Jahres die Smartphone-Sparte von Nokia und auch Marissa Mayer ist seit ihrem Wechsel an die Yahoo-Spitze auf Dauer-Shopping-Tour. Etliche Startups hat sie dem Unternehmen schon einverleibt. Größte Akquise war dabei der Kauf des Blog-Formats Tumblr für satte 1,1 Milliarden US-Dollar im vergangenen Jahr.
Der Deal ist jedoch nichts gegen den Einkauf, den Facebook-Chef Mark Zuckerberg getätigt hat. Für 16 Milliarden US-Dollar erstand der Social-Media-König den Kurznachrichtendienst WhatsApp. Ein strategischer Kauf, mit dem sich Facebook zum einen eine jüngere Zielgruppe und vor allem einen stetig wachsenden Dienst angeschafft hat.
Nest Labs ist ein bis dato weitgehend unbekannter Thermostat- und Feuermelder-Hersteller, mit dem sich Google ganz nebenbei ein angesehenes Designer-Team ins Haus holt.
Apple steht passiv daneben
Apple schaut sich das Treiben seiner Mitbewerber an – ohne selbst aktiv zu werden. Dabei dürften Googles Einkauf des Thermostate-Herstellers für Apple schmerzhaft gewesen sein – ist doch das vernetzte Haus einer der ganz großen Zukunftsmärkte, und NestLabs wäre ein interessanter Partner gewesen.
Stattdessen updatet Tim Cook ein Smartphone und Tablet nach dem anderen. Selbst vom iPhone 6 erwartet niemand mehr den großen Wurf. Gerüchten zufolge wird der Konzern aus dem kalifornischen Cupertino vor allem die Bildschirmgröße in Richtung Phablet anpassen – also eine Mischung aus Tablet und Smartphone. Der verstorbene Apple-Chef Steve Jobs hatte dieses Format stets abgelehnt und das „One-Hand“-Prinzip befürwortet. Konkret: Das Smartphone muss mit einer Hand zu bedienen sein. Inzwischen hat aber vor allem Samsung vorgemacht, dass es für unterschiedliche Formate einen Markt gibt. Und sogar Nokia hat mit einer umfassenden Produktpalette in verschiedenen Preiskategorien nachgelegt.
Das Kerngeschäft verschiebt sich
Der Preis spielt für Kunden also eine wachsende Rolle. Gleichzeitig werden die technischen Vorteile geringer, die ein Premium-Modell mit sich bringt. Sensoren wie Thermometer, Fingerprints zum Sperren des Smartphones oder auch Elemente zum mobilen Bezahlen scheinen die Kunden weniger zu interessieren als Speicherplatz, eine gute Kamera und Schnelligkeit. Und die hinteren Faktoren haben sich in den vergangenen Jahren auch im Mittelklasse-Segment massiv verbessert. Heute sind schon für 400 Euro eine Reihe Geräte auf dem Markt, die einen Full-HD-Display oder 2 Gigabyte RAM aufweisen.
Für Apple sind das schlechte Neuigkeiten, setzen die Amerikaner doch immer noch voll auf ihre teuren Produkte mit fetter Marge, die dem Unternehmen letztlich so hohe Gewinne eingebracht haben. Dennoch bleibt Tim Cook gelassen. Und das aus gutem Grund. Zwar trommelt das Unternehmen nach außen immer kräftig für seine Hardware. iPod, iPhone und iPad sind zu den Aushängeschildern, zum Wiedererkennungswert, des Unternehmens geworden. Doch im Hintergrund verdient Apple inzwischen auch an ganz anderer Stelle großes Geld.
Dank der bestehenden Kundschaft boomen die Plattformen iTunes, iBooks und AppStores. Allein im ersten Quartal 2014 hat das Unternehmen hier 4,4 Milliarden US-Dollar eingenommen – ein Plus von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal. Es ist anzunehmen, dass das Unternehmen sein Wachstum künftig viel stärker als bisher auf diese E-Commerce-Verkäufe stützen wird. Indizien dafür lieferte Tim Cook persönlich als er im Zuge der Präsentation des iPhone 5S den Fingerprint-Sensor vorstellte. „Die Menschen lieben wie einfach es ist, mit Hilfe der Apple-Produkte einzukaufen“, sagte er. Und genau das erhöhe die Bereitschaft das Geld auch auszugeben. Durch die Einführung von TouchID fällt sogar das eingeben eines Geheimcodes weg. In den USA haben etliche stationäre Händler bereits damit begonnen, ihre Geschäfte mit einem entsprechenden Bluetooth-Transmitter auszustatten, der den Kunden das Zahlen per Fingerabdruck über das Smartphone erlaubt.
Wohin mit dem ganzen Geld?
Bleibt die Frage: Was hat Apple mit seinen Milliarden vor? Einen Hinweis hat Tim Cook ebenfalls selbst gegeben. Das mobile Betriebssystem iOS soll stärker in der Automobilbranche zum Einsatz kommen, wie der Unternehmenschef auf der vergangenen Entwicklerkonferenz WWDC ankündigte. Für den italienischen Autobauer Ferrari hat Apple bereits das Infotainment-System ein Cockpit entwickelt. Grundlage für die Technologie sind einerseits das iPad Mini und vor allem die Spracherkennungs-Software Siri. Dabei werden auch die Apple-Verkaufsplattformen im Netz künftig eine Rolle spielen. Denn wie das Marktforschungsunternehmen Gartner schätzt, werden zum Jahr 2020 mehr als 80 Prozent aller Neufahrzeuge in den etablierten Märkten vernetzte Geräte sein. Damit könnte bereits 2017 jeder vierte Autobauer Geld mit im Fahrzeug angeschlossenen E-Commerce-Geschäften machen.
Zukunftsmarkt Automobilbranche
Apple sucht in der Frage um die Integration von Software in Autos die Nähe zum Börsenliebling Tesla. Erst kürzlich sickerte durch, dass sich Tesla-Chef Elon Musk bereits Anfang 2013 mit Adrian Percia in Apples Hauptquartier getroffen hat. Weil Percia bei Apple für die Zukäufe des Unternehmens verantwortlich ist, wurden schnell Gerüchte laut, der iPhone-Erfinder wolle den Elektroauto-Hersteller gar übernehmen. Musk hat diese Gerüchte inzwischen in einem Bloomberg-Interview dementiert. Zwar sei das Unternehmen im vergangenen Jahr von einigen Unternehmen angesprochen worden, doch wolle man eigenständig wachsen. Worüber vor einem Jahr in Cupertino gesprochen wurde, ist bisher nicht klar. Eventuell könnte es auch um das Thema Akku-Technologie gegangen sein – ein Thema von dem beide Unternehmen profitieren könnten.
Wie auch immer Apple in Sachen Automobilbranche weiter vorgehen wird – es ist für das Unternehmen ein relativ neues Feld, in dem Investitionen in Personal, Forschung und Entwicklung bitter nötig sind. Denn die Konkurrenz schläft nicht. Google hat bereits zu Beginn des Jahres für einen Paukenschlag gesorgt. Das Unternehmen hat gemeinsam mit den Autobauern Audi, General Motors, Honda und Hyundai eine Kooperation angekündigt. In den neuen Karossen der Hersteller soll künftig das Betriebssystem Android verbaut werden.
Des weiteren will Apple wohl stärker in den Bereich Medizintechnik investieren. Und dabei geht es dem Konzern weniger um Sensoren am iPhone, die den Puls messen. Wie der berühmte Toningenieur Tomlinson Holman (seit 2011 bei Apple angestellt) erst kürzlich dem San Francisco Chronicle mitteilte, arbeite das Unternehmen an der Entwicklung akustischer Geräte, die Herzgeräusche und den Blutstrom analysieren. Solche Geräte könnten helfen, Herzinfarkte oder -rhythmusstörungen frühzeitig zu erkennen.
Außerdem sollen sich führende Apple-Manager angeblich Ende Januar mit der Food and Drug Administration getroffen haben. Die US-Behörde befasst sich unter anderem mit der Zulassung von Arzneimitteln. Bei den Gesprächen soll es laut New York Times um "mobile medizinische Anwendungen" gegangen sein.
Keine Angst vor Investitionen – im Rahmen
Eine Neuausrichtung des Unternehmens Apple hat also längst begonnen. Zwar wird immer noch viel darüber spekuliert, wann denn nun eine iWatch oder ein iTV kommt. Doch bei genauerer Betrachtung scheint das Unternehmen sich neben dem Geschäft mit mobilen Endgeräten ganz anders aufzustellen. Sicherlich wird der Smartphone-Pionier im Bereich Gadgets nicht nachlassen. Doch ob es sich für den Konzern wirklich lohnt mit einer Computer-Uhr oder einem Fitnessarmband nach vorne zu preschen, ist fraglich. Derzeit scheint es, also würde Apple eher abwarten und erst bei einer größeren Nachfrage aus dem Massenmarkt mit eigenen Produkten einsteigen. Die kommenden Jahre werden am Beispiel Samsung zeigen, ob es sich gelohnt hat, bei den Wearables so vorzupreschen.
Dass Apple den neuen Kaufrausch im Silicon Valley nicht mitmacht, wird von einigen Experten auch als weise betitelt. Immerhin ist es Apple derzeit möglich, die durch Analysten-Einschätzungen aufgebrachten Märkte auch von alleine wieder zu beruhigen. Erst vor wenigen Wochen kaufte der Konzern nach eigenen Angaben Aktien im Wert von 14 Milliarden Dollar zurück. Hintergrund war ein Einbrechen des Kurses, nachdem die Verkäufe zu Weihnachten schwächer ausgefallen waren als von den Analysten erwartet.
Apple shoppt mit Bedacht
Ein Aktienrückkauf sorgt in der Regel dafür, dass der Kurs wieder steigt. Denn je weniger Aktien im Umlauf sind, desto höher ist der Anteil, der auf den einzelnen Aktionär entfällt. Entsprechend begrüßen die Investoren Apples Vorgehen – was nur dank des prall gefüllten Geldbeutels überhaupt möglich ist. Auf der anderen Seite hat der Konzern durch den Aufkauf kräftige Einbußen verkraften müssen. Die Aktie ist in der vergangenen Woche von 546 auf 525 US-Dollar eingebrochen.
Apples Zurückhaltung am Markt könnte noch einen anderen weisen Grund haben: Einige Großeinkäufe haben in den vergangenen Jahren auch als Fehlinvestition herausgestellt – zum Beispiel die Palm-Übernahme durch Hewlett-Packard oder Googles Motorola An- und Verkauf.
Und auch bei Zuckerbergs WhatsApp-Einkauf für 16 Milliarden US-Dollar bleibt abzuwarten, ob es das Unternehmen nicht auch eher ausbremst. Schließlich hat der Facebook-Chef schon angekündigt, erst einmal auf die Shopping-Bremse zu treten.
Im letzten Quartal 2013 investierte der iPhone-Hersteller immerhin 525 Millionen Dollar in Firmenzukäufe – doppelt so viel wie noch im Jahr zuvor. Unter den Zukäufen waren Firmen wie das israelische Startup PrimeSense (Hersteller von Bewegungserkennungs-Technologie), das Daten-Analyse-Tool Topsy sowie etliche Firmen für Landkarten-Software (Locationary, HopStop und Embark). Insgesamt hat sich das Unternehmen in den vergangenen eineinhalb Jahren über 20 Startups einverleibt.