Hype um Pokémon Go von Nintendo Mit „Karpador“ im Kö-Graben

Nintendo wagt den Sprung aufs Smartphone – und löst einen Hype aus. In den USA hat Pokémon Go die Appstore-Charts gestürmt. Fans können die bunten Taschenmonster jetzt auch im wahren Leben jagen. Ein Test.

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Ein Monster im Düsseldorfer Kö-Graben: Das Pokémon „Karpador“ schwimmt im Wasser.

Ich starre auf mein Smartphone. Es zeigt, wie Taubsi neben meinem Schreibtisch auf- und abflattert. Na warte, Du gelbes Eulenvieh. Diesmal kriege ich Dich. Auf meinem Handy-Display erscheint ein roter Ball, der Pokéball. Ich wische über das Smartphone und versuche Taubsi mit diesem Ball zu treffen und einzufangen. Gar nicht so einfach. Der Ball hüpft über den Vogel-Avatar ins Leere. Taubsi ist verschwunden, wahrscheinlich gelangweilt von meinen Fehlversuchen. Wo steckt das kleine Monster nur? Ich laufe mit dem Smartphone in der Hand aus dem Büro, raus auf den Gang und suche dort nach meiner Beute.

Taubsi finde ich nicht, dafür meinen Vorgesetzen. Er lässt sich nicht anmerken, dass er sich über mich wundert und geht schnell an mir vorbei. Gut so, ich muss Taubsi finden. Ich drehe mich um und stiere weiter in mein Handy, als hätte sich darin der Sinn des Lebens versteckt. Mit dem Telefon vor meinem Gesicht eile ich weiter. Mein Display zeigt mir Fahrstuhl, Damen-WC, Treppengang. Da: Auf einer Stufe sitzt der gelbe Vogel und schaut mich an. Ich ziele genau, mein Daumen berührt den Pokéball und wuchtet ihn auf Taubsi – Treffer. Prima!, lobt mein Handy. Ich bin beseelt und grinse in den Bildschirm. Ich habe mein erstes Pokémon eingefangen.

Pokémons, so heißen die bunten Taschenmonster (Pockémon ist die Kurzform von Pocket Monsters) aus dem Nintendo-Kultgame, dass schon in den 1990er-Jahren Millionen von Jugendlichen begeisterte. Spieler sammeln Pokémons, trainieren sie und lassen sie gegen die Figuren anderer Spieler antreten. Mit Pokémon Go hat Nintendo nun erstmals eines seiner starken Spielmarken aufs Smartphone gebracht – und das überaus erfolgreich. Binnen Stunden stürmte Pokémon Go die App-Stores in den USA, Australien und Neuseeland. Im iOS-Store in den USA, wo das Spiel seit wenigen Tagen verfügbar ist, landete es sofort auf Platz eins.

Der Ansturm auf das Spiel war so stark, dass die Server der ehemaligen Google-Tochter Niantic, mit der Nintendo das Spiel entwickelt hat, schwächelten. Am Wochenende musste Nintendo daher die weltweite Einführung des Spiels bremsen. Wie beliebt Pokémon Go ist, zeigt sich auch an der Börse in Tokio. Dort schoss die Nintendo-Aktie, die in den vergangenen Monaten an Wert verloren hatte, am Montag um rund 25 Prozent in die Höhe. Ein Grund, weshalb so viele Nutzer das Spiel auf ihre Handys ziehen: Nintendo lässt mit Pokémon Go Spiel und Realität verschmelzen.

Per GPS wird der Smartphone-Standort des Spielers auf eine digitale Karte übertragen. Ein Avatar des Spielers bewegt sich auf dieser Karte, die etwa das Stadtviertel in dem er sich gerade befindet, nachbildet. Sobald er in der digitalen Welt auf ein Pokémon stößt, blendet eine Handykamera das bunte Wesen in das echte Straßenbild und damit in die Realität ein. Taubsi & Co. tauchen dann auf dem Gehweg, hinter einem Mülleimer oder in einem Bach auf, den der Spieler gerade passiert. An „Poké-Stops“, realen Sehenswürdigkeiten wie Denkmälern oder Statuen, finden Spieler zusätzliche Informationen und sammeln Belohnungen ein.

Der Medienpsychologe und Spielforscher Christian Roth erklärt den Erfolg von Pokémon Go: „Viele Menschen wollen Pokémon Go spielen, weil sie es von früher kennen. Das Smartphone haben sie anders als eine Spielkonsole immer dabei.“ Über Soziale Netzwerke erreiche das Spiel eine kritische Masse. „Der Markt für Spielekonsolen ist gesättigt. Nintendo hat eingesehen, dass es die Jungend auf ihren Smartphones abholen muss.“ Mit seiner „Augmented Reality“ App - zu Deutsch erweiterte Realität - betrete Nintendo einen Bereich, der Anwendungen der virtuellen Realität an Relevanz übertreffen werde, meint Roth.

Beim Mittagessen erzähle ich einer jüngeren Kollegin von meiner Jagd auf digitale Monster. Sie ist begeistert und will mich auf meinen Streifzügen durch die Düsseldorfer Innenstadt begleiten. Es stellt sich heraus: Ich weiß nichts und sie alles über Pokémons. Sie erklärt mir, welche Wunderkräfte das Pokémon „Traumato“ hat – mit Sternestaub kann es seine Gegner einschläfern – und dass das Federvieh „Tauboga“ die weiter entwickelte, besser trainierte Version von „Taubsi“ ist.

Wir laufen eine Zeit die Königsallee entlang doch nichts passiert. Wir sehen weit und breit kein buntes Flatterding. Als wir die Suche schon einstellen wollen, vibriert plötzlich mein Handy. Die digitale Karte zeigt eine oranges Wesen im Kö-Graben, einem Düsseldorfer Wasserlauf. Wir kreischen, Passanten drehen sich um.

„Das ist "Karpador"“ ruft meine Begleiterin. Tatsächlich zappelt da ein karpfenartiger Fisch auf der Wasseroberfläche direkt an der Düsseldorfer Königsallee. Durch das Handydisplay können wir ihn betrachten. Karpador ist schnell eingefangen, es folgt ein weiteres Wasserpokémon „Quapsel“, die Fledermaus „Zubat“ ein paar Straßen weiter und die Krabbe „Krabby“. Für jedes Pokémon gibt es Punkte und Zauberkräfte.

Monster in der digitalen Arena

An der Commerzbank-Filiale in der Nähe vom Carlsplatz wird uns ein Poké-Stop angezeigt. Hier laden wir Poké-Bälle nach. Die Filiale verlassen wir schnell wieder als uns nur irritierte Blick, aber keine weiteren Pokémons begegnen. Zwischenzeitig rettet mich meine Kollegin davor, in ein Auto zu laufen, weil ich versuche, das rauchende „Nebulak“ einzufangen.

Sie behält mich im Blick, als ich vom Jagdtrieb befallen, rote Ampeln ignoriere. Ich will es nicht zugeben. Aber das Spiel, dass ich eben noch nutzlos fand, fängt an, mir Spaß zu machen.

Spieleforscher Christian Roth überrascht das nicht. „Pokémon befriedigt wichtige Bedürfnisse. Wir wollen uns kompetent fühlen, das erreichen wir, indem wir die Monster trainieren. Wir wollen gebraucht werden, das hat etwa den Hype um das Tamagotchi-Ei ausgelöst und wir wollen mit anderen interagieren, unseren sozialen Status verbessern“. Es stimmt, ich war stolz, als meine Kollegin mich lobte, weil ich „Taubsi“ ohne ihre Hilfe zu „Tauboga“ weiterentwickelt habe.

An meinem ersten Pokémon-Tag habe ich Level vier erreicht. Meine Kollegin drängt mich, weiter zu suchen, um mehr Punkte zu bekommen. Dann könnte ich meine Monster in eine digitale Arena schicken und sie gegen andere antreten lassen, sagt sie. Dafür müsste ich aber erst Level fünf erreichen.

Weil mein Akku fast leer ist, beschließe ich, die Suche vorerst einzustellen. Das Spiel frisst Energie. Ohne Wlan-Verbindung leert es außerdem mein Datenpaket. Noch ist Pokémon Go offiziell nicht in Deutschland verfügbar. Experten raten davon ab, illegale Versionen zu laden, da diese mit Viren beschädigt sein können.

Wenn das Spiel demnächst auch hierzulande in den App-Stores erscheint, dürfte es regen Austausch zwischen den Spielern geben, online und auf der Straße. Sie werden sich duellieren und einander Tipps geben, wo seltene Pokémons warten. Man wird sie daran erkennen, dass sie unvermittelt stehen bleiben, hektisch über ihr Handy wischen und dann selig lächeln.

In jedem Fall sollten Pokémon Go Spieler den Verkehr im Blick haben und darauf achten, wohin sie die digitale Monsterjagd führt. Denn in den USA haben vier junge Männer die App eingesetzt, um Pokémon-Go-Spieler an abgelegene Poké-Stops zu locken und auszurauben.

Mitarbeit: Kathrin Witsch

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