„Henning (Kagermann) mag den Begriff Mana“, sagt Sikka. Er habe ihm erst heute morgen am Telefon erklärt, dass es in der Bibel Himmelsbrot bedeute. Tatsächlich hat Mana viele Bedeutungen. Im Kern steht der Begriff für spirituelle Macht. Die Macht der Maschinen also, die den Menschen den Rücken freihalten sollen.
Von der Esoterik in die Welt der Unternehmenssoftware übersetzt, wären das solch praktische Dinge wie das Überwachen aller Klimaanlagen in Gebäuden – von Kühlhallen bis Bürobauten –, um rasch störanfällige Komponenten austauschen und den Energiebedarf senken zu können. Eines der fünf Pilotprojekte läuft mit dem Mischkonzern Johnson Controls aus Milwaukee, einem Automobilzulieferer und Spezialisten für Gebäudetechnik. „Wir haben historisch sehr viele Systeme, die sehr unterschiedlich sind“, beschreibt dessen Chief Information Officer Jeff Augustin die Herausforderung beim Automatisieren.
Mana ist wie Hana ein langfristig angelegtes Projekt. Doch es hat einen Haken. Denn letztlich sollen mit künstlicher Intelligenz schlau gemachte Maschinen viele Jobs übernehmen, die früher Menschen erledigten. Etwa im Rahmen von Outsourcing die IT-Infrastruktur am Laufen zu halten, was bisher viele indische Programmierer beschäftigte. Der hohe Personaleinsatz geht zulasten der Produktivität: Jeder Infosys-Mitarbeiter erwirtschaftet rechnerisch im Jahr einen Umsatz von knapp 49 000 US-Dollar; ein SAP-Beschäftigter schafft mit 270 000 Dollar mehr als das Fünffache.
Der einfachste Weg zu einem höheren Pro-Kopf-Umsatz wäre, Stellen zu streichen. Doch Sikka will ihn nicht gehen. Er setzt auf margenträchtigere Produkte. Mit denen will er davon profitieren, dass Infosys in vielen Konzernen wie der Bank of America, Toyota oder Apple seit Langem präsent ist. In Deutschland sind zwei Drittel der Dax-Konzerne Kunden, darunter Daimler, BMW und die Deutsche Bank.
Bis 2020 will Sikka den Umsatz auf 20 Milliarden Dollar erhöhen, davon zwei Milliarden Dollar mit ganz neuen Produkten – schlicht eine Verdoppelung des heutigen Umsatzes. Und das angesichts harter Preiskämpfe. „Man muss ambitionierte Ziele setzen“, antwortet er auf die Frage, ob er sich nicht übernehme.
Es ist ein Kraftakt, vor allem für ein Unternehmen, an dessen Spitze bisher immer ein Gründer stand. Sikka ist der erste Chef von außen. Im Infosys-Imperium gilt er bereits als Enfant terrible, das vieles anstößt, vielleicht zu vieles. Ähnlich wie bei SAP.
Für Hermann Hesse bleibt keine Zeit
Dabei soll Sikka ja neuen Schwung in den Konzern tragen, ausgestattet mit dem magischen Flair des Silicon Valley. Die Börse scheint es zu honorieren, seit seinem Amtsantritt hat die Aktie um knapp 60 Prozent zugelegt. An den Märkten wird honoriert, dass sich der Konzern einmal selbst transformiert, bevor das von außen geschieht. Fehlt nur noch eine zündende Produktidee, die sich monetarisieren lässt.
Sikka hat augenscheinlich viel Freude daran, den Chefmotivator und Herausforderer zu spielen. Statt seine Hobbys zu pflegen, wie die Werke von Hermann Hesse zu studieren oder zu surfen. Sikka ist ein Energiebündel mit stets neuen, unkonventionellen Ideen. Dass nicht alles perfekt klappt, nimmt er in Kauf.
Wie bei der wichtigsten Kundenkonferenz namens Confluence, die er im Hilton Hotel in San Francisco eröffnet. „Zero Distance“ („Null Abstand“) lautet eine Kernparole von Infosys. Die Idee: Die Mitarbeiter sind so dicht am Kunden wie möglich. Ganz in diesem Sinne hat der Konzernchef die Bühne mitten in den Ballsaal des Hilton hineinbauen lassen. Sikka steht damit inmitten seiner Zuhörer, ganz dicht bei ihnen.
Doch das gilt nur für die unmittelbar vor ihm befindlichen Zuschauer. Die übrigen sitzen durch die vorgerückte Bühne in einem klaustrophobisch anmutenden, schmalen Schlauch. „Oh, das ist mir etwas peinlich“, gesteht Sikka.
Er ist plötzlich bei den einen ganz dicht dran. Und trotzdem von vielen anderen weit entfernt. Wie in einem Konzern.