Einfach reden ist manchmal ganz schwierig. Auch für einen mächtigen Manager wie Vishal Sikka, Chef von 194.000 Mitarbeitern. Drei Anläufe brauchte der CEO des indischen Informationstechnikkonzerns Infosys, um einen seiner Ingenieure telefonisch zu erreichen. Beim ersten Versuch glaubte der Mann, Kollegen wollten ihn auf den Arm nehmen. „Beim zweiten Mal hat er vor Schreck aufgelegt“, schmunzelt Sikka. Dann kam das Gespräch schließlich doch zustande.
Der neue Konzernchef meldete sich selber, ganz ohne Brimborium und langwierige Vorbereitung. In dem über drei Jahrzehnte streng hierarchisch organisierten Konzern hätte es früher solche Nähe nie gegeben. Auch nicht, dass der Chef seine Mitarbeiter umarmt, ihnen auf die Schulter klopft oder sich bei Konferenzen unter sie mischt, was Sikka liebend gerne tut.
„Meine Leute sollen selbstbewusster auftreten“, sagt der Informatiker mit Stanford-Doktortitel. Das ist nicht einfach, denn Infosys ist als Outsourcing-Dienstleister groß geworden, den viele Kunden eher als eine Art Hausmeister der IT-Systeme betrachteten, der nach genauen Vorgaben arbeitet. Über Jahre war das ein glänzendes Geschäft, einer der wichtigsten Exportartikel Indiens.
Die Entwicklung von SAP
Gründung als SAP Systemanalyse und Programmentwicklung in Weinheim; 1976 Umbenennung in Systeme, Anwendungen und Produkte in der Datenverarbeitung; 1977 Umzug nach Walldorf.
Fertigstellung der ersten Finanzbuchhaltungssoftware namens System RF - Grundstein für das spätere Komplettpaket R/1 als umfassende betriebswirtschaftliche Standardsoftware.
Die 1979 erstmals angebotene Software R/2 boomt: Bis Jahresende setzt SAP 245 Millionen Mark um. Im Oktober geht das Unternehmen für umgerechnet 380 Euro je Aktie an die Börse.
Auf der Computermesse Cebit zeigt SAP erstmals die Software R/3, an der die Entwickler seit 1987 arbeiteten. Für den Mittelstand konzipiert, erweist sich R/3 als Megaseller für Konzerne.
Zur Untermauerung der Auslandsexpansion und zur Eroberung des US-Marktes notiert SAP im August an der New York Stock Exchange. Umsatz 4,3 Milliarden Euro.
SAP kauft für 4,8 Milliarden Euro den französischen Softwareanbieter Business Objects. 2010 folgt der Kauf des US-Softwarehauses Sybase für 4,6 Milliarden Euro. Die Basis für neues Wachstum ist geschaffen.
Nach weniger als einem Jahr muss Léo Apotheker als Chef seinen Hut nehmen. Oberkontrolleur Hasso Plattner beruft Jim Hagemann Snabe und Bill McDermott als Nachfolger.
Dem Chefduo Snabe und McDermott gelingt das beste Jahr der Unternehmensgeschichte. Ende 2011 kündigen sie die Übernahme des US-Anbieters SuccessFactors an. Damit schalten sie um auf neue Produkte im zukunftsträchtigen Mobil- und Cloud-Computing-Geschäft.
Mit der Milliardenübernahme des US-Anbieters Ariba verstärken die Co-Chefs Snabe und McDermott ihr neues Cloud-Geschäft weiter. Zugleich erhält SAP ein riesiges Internet-basiertes Beschaffungs-Netzwerk für Geschäftskunden.
Im Frühjahr gibt SAP bekannt, sich in eine europäische Aktiengesellschaft SE umwandeln zu wollen. In der Belegschaft weckt das Befürchtungen, der Konzern könne mittelfristig seinen Firmensitz weg von Walldorf verlagern.
Auf der Hauptversammlung im Mai wird McDermott alleiniger SAP-Chef. Sein bisheriger Kompagnon Snabe rückt in den Aufsichtsrat. McDermott will SAP noch schlanker und flexibler machen sowie das Unternehmen ganz auf die Cloud trimmen.
Die großen drei – Tata Consultancy Services, Infosys und Wipro Technologies – setzen auf diese Art zusammen mehr als 33 Milliarden Dollar um. Doch das Internet der Dinge und das Cloud Computing verändern die Branche grundlegend. Zwar hat sich weltweit die Zahl der Outsourcing-Aufträge mit einem Volumen von mindestens fünf Millionen Dollar in den vergangenen zehn Jahren auf fast 7000 mehr als verdoppelt, so die Beratung ISG. Allerdings war weit mehr Wachstum erwartet worden.
Zudem sind die Anforderungen gestiegen. Die Wartung von Systemen allein reicht nicht mehr. „Die traditionellen Anbieter müssen noch viel enger mit dem Kunden kooperieren, was bessere Margen erlaubt“, beschreibt Friedrich Löer, Partner bei ISG Deutschland, die Herausforderung und mahnt zur Eile: „Sonst kommen junge Angreifer zum Zug.“
Sikka ist das bewusst. Der Konzernchef will Infosys „proaktiver“ machen, aus Befehlsempfängern einen Konzern der Tüftler machen, mit eigenen Lösungen und Produkten, mit Selbstbewusstsein und Stolz. Er will aber auch der Verkäufer sein, der bestehenden Kunden mehr Service bietet – und so irgendwann auf Augenhöhe mit seinem alten Arbeitgeber agiert, der deutschen SAP.
Machtkampf verloren
Die Infosys-Gründer, unter ihnen der Vater der indischen IT-Industrie, N. R. Narayana Murthy, haben Sikka im Sommer 2014 geholt, als es mit dem Konzern immer weiter bergab ging. Es fehlten neue Ideen, Marktanteile gingen verloren. In Sikka sahen die Herren ihren Hoffnungsträger. Damit er ihnen die Zukunft nahebringt, dulden sie sogar, dass Sikka weiter in Palo Alto wohnt, wo der gebürtige Inder seit drei Jahrzehnten mit seiner Familie lebt. Einen indischen Großkonzern aus dem Silicon Valley heraus zu führen, dessen Hauptsitz 14 000 Kilometer oder 22 Flugstunden entfernt ist, mit zwölf Stunden Zeitverschiebung? Und ihn trotz der Distanz auch noch auf neue Füße stellen? Laut Sikka musste er die Gründer nicht lange überzeugen. „Von wo aus soll man die Zukunft entwerfen, wenn nicht aus dem Silicon Valley?“, fragt er rhetorisch.