




Für Joaquín Almunia ist es der Fall seines Lebens. Der EU-Wettbewerbskommissar, der im Herbst aus dem Amt scheidet, weiß, dass seine über 35-jährige politische Karriere am Wettbewerbsverfahren gegen den Internet-Riesen Google gemessen wird. Der Spanier und Ökonom – eines der intellektuellen Schwergewichte der Kommission – hat sich daher immer wieder selbst in das Verfahren eingemischt und auch Details nicht seinen Beamten überlassen.
Die Gemütlichkeit, die Almunia bisweilen ausstrahlt, wich der Entschlossenheit, die Untersuchung noch in seiner Amtszeit abzuschließen. „Die Öffentlichkeit interessiert sich für den Fall mehr als für alle anderen“, sagt der Sozialist über die bald vier Jahre andauernde Untersuchung.
„Die Öffentlichkeit interessiert sich“? Das ist maßlos untertrieben. Tatsächlich wächst in Europa, wo Google noch dominanter ist als im Heimatmarkt USA, die Angst vor der Suchmaschine und ihrer Macht, den Informationsfluss im Internet und damit zunehmend das tägliche Leben zu steuern und zu kontrollieren. Was Google nicht listet, existiert quasi nicht.
Googles Kerngeschäftsfelder
Geschäftsfeld: Online-Anzeigenvermarktung
Marktanteil: 47 Prozent
Geschäftsfeld: Cloud Software
Geschäftsfeld: Internet-Browser
Marktanteil: 43 Prozent
Geschäftsfeld: Online-Bezahlsystem
Geschäftsfeld: Mobil-Betriebssystem/App-Store
Marktanteil: 81 Prozent
Geschäftsfeld: Online-Kartendienst, Navigation
Geschäftsfeld: Internet-Videos
Marktanteil: 82 Prozent
Geschäftsfeld: Internet-Suche
Marktanteil: 69 Prozent
Geschäftsfeld: Web-Mail-Dienst
Geschäftsfeld: Social Network
360 Mio. Nutzer
Das wichtigste Vertriebsnetz
Google ist das weltweit wichtigste Vertriebsnetz für digitale Inhalte und ist über die Bedürfnisse von Konsumenten wie wohl kein zweites Unternehmen informiert. „Wir haben Angst vor Google“, bekannte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Medienkonzerns Springer, in einem offenen Brief an Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt. „Wir haben Respekt“, sagt auch Joe Kaeser, Chef von Siemens, der selbst künftig stärker im Internet-Datengeschäft mitmischen will.
Auf Beistand von Almunia können deutsche Wirtschaftsgrößen allerdings kaum hoffen. Er hat bereits angekündigt, Google keine empfindliche Geldstrafe aufzubrummen wie Vorgängerin Neelie Kroes beim US-Softwareriesen Microsoft 2004 und 2006. Die EU-Kommission kann bei Kartellverstößen Geldstrafen von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes verhängen.
Googles kerngeschäftsnahe Geschäftsfelder
Geschäftsfeld: Thermostathersteller
Geschäftsfeld: Internet-Datenbrille
Geschäftsfeld: Glasfaser-Netzwerk
Geschäftsfeld: Künstliche Intelligenz
Geschäftsfeld: Roboter/künstliche Intelligenz
Strengerer Kurs
Stattdessen soll es nur Auflagen geben (siehe Kasten Seite 43), die Almunia zufolge „schneller“ und „konkreter“ wirken als eine Geldstrafe, die eine Verschleppung um zwei bis drei Jahre bedeutet hätte, weil Google dagegen geklagt hätte. Googles Konkurrenten werfen Almunia vor, er sei eingeknickt. Insgeheim hoffen sie, die Entscheidung könnte sich verzögern und Almunias Nachfolger einen strengeren Kurs einschlagen. Unter den EU-Kommissaren haben etwa Günther Oettinger und sein französischer Kollege Michel Barnier Zweifel erkennen lassen. Aber trotz solcher von der Politik geschürten Erwartungen ist es eine Illusion, dass man Google mithilfe der derzeitigen Wettbewerbsregeln bändigen kann.
Almunias Weigerung, Google stärker in die Mangel zu nehmen, wirft ein Schlaglicht auf den grundsätzlichen Charakter des Verfahrens: Mit welchen Mitteln kann Politik heute einem alle Grenzen sprengenden Unternehmen völlig neuen Typs begegnen – und welche Folgen hat es, wenn sie doch eingreift? „Die Technologiebranche verändert sich so schnell, der Wettbewerb in ihr lässt sich nicht wirksam mit Auflagen regulieren“, ist der prominente US-Managementexperte Geoffrey Moore aus dem Silicon Valley überzeugt.
Ausgewählte Randaktivitäten von Google
Geschäftsfeld: Biotech-/Gesundheits-Start-up
Geschäftsfeld: Satelliten-Betreiber
Geschäftsfeld: Windenergiepark
Windenergiepark
Geschäftsfeld: Windturbinenhersteller
Geschäftsfeld: Drohnenhersteller
Geschäftsfeld: Solarpanelhersteller
Fesseln für das Internet?
Und wer heute noch eine dominante Stellung einnimmt, kann morgen schon verdrängt sein: „Monopole in der New Economy des Internets fallen – den hohen Markzutrittsschranken zum Trotz – überraschend schnell“, beobachtet der renommierte Kartellrechtler Torsten Körber von der Universität Göttingen. „Den Ausschlag, wer in zwei, fünf oder zehn Jahren Platzhirsch unter den Internet-Unternehmen sein wird, werden nicht die derzeitigen Marktanteile oder die Intensität der Marktregulierung geben, sondern Erfolg oder Misserfolg der Unternehmen im Innovationswettbewerb.“
Almunia hat Gesprächspartnern zu verstehen gegeben, dass er nicht in die Geschichte eingehen will als der Mann, der dem Internet Fesseln angelegt hat. Der Kommissar ist sichtlich entnervt, wie sich Themen wie Datenschutz in die Debatte um Google mischen. „Ein Wettbewerbsfall sollte nicht stellvertretend genützt werden, um die weitreichenden Probleme anzugehen, die das Geschäftsgebaren von internationalen, unregulierten und dominanten Plattformen aufwirft.“