Intel schnappt sich Movidius Computer sollen sehen lernen

Der Chiphersteller Intel streckt die Finger nach dem irisch-amerikanischen KI-Start-up Movidius aus. Ziel des Deals: Computer sollen sehen lernen. Das würde eine Fülle neuer Möglichkeiten eröffnen.

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Intel kauft das KI-Start-up Movidius Quelle: REUTERS

Große Innovationen haben im digitalen Zeitalter mitunter winzig kleine Maße. Die Neuheit etwa, die Remi El-Ouazzane beim Treffen mit der WirtschaftsWoche vor ein paar Wochen in Berlin aus der Jackettasche zieht, hat das Format eines Fingernagels: Myriad, ein cleverer Computerchip. "Damit", sagt El-Ouazzane, Chef des Start-ups Movidius aus der irischen Hauptstadt Dublin, "bilden wir Ihren visuellen Kortex nach."

Das ist ein großes Wort. Der visuelle Kortex, das ist immerhin jener Teil des Großhirns, in dem die Sehfähigkeit angesiedelt ist. Gelingt es, ihn in Silizium zu pressen, könnten Computer lernen, die Welt zu sehen, ähnlich wie der Mensch. Das eröffne, schwärmt El-Ouazzane, "eine Fülle neuer Möglichkeiten." 

Davon ist offenbar auch der Chiphersteller Intel überzeugt. Wie das Unternehmen am Montag bekannt gab, plant Intel die Übernahme von Movidius für eine nicht genannte Summe. Intel möchte damit sein Portfolio in Computer Vision und der KI-Technik Deep Learning stärken. Im Mai hatte Intel bereits das Computer-Vision-Start-up Itseez gekauft und im vergangenen Herbst das KI-Start-up Saffron. Im Januar kaufte Intel das deutsche Drohnen-Unternehmen Ascending Technologies.

Was Roboter schon heute alles können
Im Geschäft persönlich vom Roboter begrüßt zu werden - auch das kann bald für mehr Menschen Realität sein. „Pepper“ hat Knopfaugen, und er ist in astreinem Deutsch recht schonungslos: „Meiner bescheidenen Meinung nach ist dieses Modell nicht besonders schmeichelhaft für Ihre Figur. Dürfte ich Ihnen ein paar neu eingetroffene Modelle zeigen, die mir für Sie besonders gut gefallen?“ Eigene Infos werden per QR-Code auf dem Smartphone gespeichert, den der Roboter im Geschäft dann scannt. In Japan ist Pepper (von SoftBank) bereits aktiv. Quelle: dpa
„iPal“ ist ein künstlicher Freund und Spielgefährte. Der Roboter ist so groß wie ein sechsjähriges Kind. Er kann singen und tanzen, Geschichten vorlesen und spielen. Durch Gesichtserkennung und automatisches Lernen wird „iPal“ mit der Zeit immer schlauer. Er erinnert sich an Vorlieben und Interessen des Kindes. „iPal“ ist keine gefühllose Maschine“, behauptet John Ostrem vom Hersteller AvatarMind. „Er kann Emotionen erspüren und fühlt, wenn das Kind traurig ist.“ Der Roboter, der in rosa oder hellblau angeboten wird, übernimmt auch gleich ein paar vielleicht leidige Erziehungspflichten: Der eingebaute Wecker holt das Kind aus dem Schlaf. Die Wetter-App sagt ihm, was es anziehen soll, und eine Gesundheits-App erinnert ans Händewaschen. „iPal“ wurde vor allem für den chinesischen Markt entwickelt. Ostrem erläutert: „Dort gibt es in den Ein-Kind-Familien viele einsame Kinder, deren Eltern wenig Zeit haben und die einfach niemanden zum Spielen haben.“ Anfang 2016 soll es „iPal“ dort für etwa 1000 US-Dollar (knapp 900 Euro) geben. Quelle: dpa
Wer auf Reisen die Zahnbürste vergessen hat, kann sie bald von einer freundlichen Maschine aufs Zimmer gebracht bekommen. „Relay“, der Service-Roboter, wird in einigen US-Hotels im Silicon Valley getestet. Die Rezeptionistin legt Zahnbürste, Cola oder Sandwich in eine Box im Roboter, dann gibt sie die Zimmernummer des Gastes ein. „Relay“ kann sich selbst den Fahrstuhl rufen – auch wenn er noch ziemlich lange braucht, um wirklich einzusteigen. Er scannt vorher sehr ausgiebig seine gesamte Umgebung, um ja niemanden umzufahren. Vor der Zimmertür angekommen, ruft der Roboter auf dem Zimmertelefon an. Wenn der Hotelgast öffnet, signalisiert ihm „Relay“ per Touchscreen: Klappe öffnen, Zahnbürste rausnehmen, Klappe wieder schließen. „Das Hotel ist für uns erst der Anfang“, sagt Adrian Canoso vom Hersteller Savioke. „Wir wollen „Relay“ auch in Krankenhäuser, Altenheime und Restaurants bringen, einfach überall dahin, wo Menschen essen oder schlafen.“ Quelle: PR
„Budgee“ trägt die Einkäufe und rollt hinterher. Per Funksender in der Hand oder am Gürtel gesteuert, kann er bis zu 22 Kilogramm schleppen, so der US-Hersteller. Er folgt Herrchen oder Frauchen mit mehr als 6 Kilometern pro Stunde. Die Batterie hält angeblich zehn Stunden. „Budgee“ lässt sich zusammenklappen und im Kofferraum verstauen. Die ersten Vorbestellungen werden ausgeliefert, Stückpreis rund 1400 US-Dollar. Quelle: PR
Roboter können nicht nur Einkäufe schleppen, sondern auch für viele Menschen unliebsame Arbeiten im Haushalt abnehmen – und damit sind nicht nur die Staubsaug-Roboter gemeint. Der „PR2“ des Institute for Artificial Intelligence (IAI) der Universität Bremen kann auch in der Küche zur Hand gehen, zumindest in der Laborküche. Quelle: dpa
Ja, heutige Roboter können bereits feinmotorische Aufgaben übernehmen und etwa zuprosten, ohne dass das Sektglas zu Bruch geht. Das ist aber nicht die Besonderheit an diesem Bild. Der Arm rechts gehört Jordi Artigas, Wissenschaftler am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen bei München. Der Roboterarm wird von Sergei Wolkow gesteuert – und der war nicht in Oberpfaffenhofen, sondern auf der Internationalen Raumstation ISS, wie im Hintergrund auf dem Monitor schemenhaft zu erkennen ist. Der „Tele-Handshake“ war nach Angaben des DLR ein weltweit einzigartiges Experiment. Quelle: dpa
Solche Aufgaben, wie etwa dieses Zahnrad zu greifen und weiterzugeben, konnte der DLR-Roboter „Justin“ schon 2012. Dass er aus dem All gesteuert wird, ist jedoch neu und bislang einzigartig. Quelle: dpa

Die Übernahmen sollen einen Kurswechsel fördern, mit dem sich Intel vom schrumpfenden PC-Geschäft neuen Computerplattformen zuwenden will: Selbstfahrenden Autos, Drohnen und der virtuellen Realität. Der Zeitpunkt, Maschinen das Sehen beizubringen, ist besser denn je: Kameras sind spottbillig und so klein, dass sie in jedes Gerät passen. Algorithmen für künstliche Intelligenz (KI) erkennen Gegenstände in Bildern so treffsicher wie Menschen. Einzig bei den Computerchips haperte es bis vor Kurzem noch. Sie waren bislang nicht schnell und sparsam genug, um die Abermillionen Rechenschritte auch in Handys oder Drohnen durchzuführen.

Der Myriad-Chip von Movidius passt perfekt in diese neue Maschinenwelt: Das Start-up hat seinen Prozessor darauf getrimmt, Videobilder viel schneller als bestehende Computerchips auszuwerten. "Wir starteten mit Software; am Ende bauten wir die eigene Hardware", erinnert sich El-Ouazzane. Und die punktet mit Sparsamkeit: Weniger als ein Watt Leistung zieht der Chip. Optimal, um damit Drohnen, Roboter oder Datenbrillen auszustatten, die mit Akkus unterwegs sind.

Künstliche Intelligenz in Aktion

In der Kameradrohne Phantom 4 des chinesischen Herstellers DJI wertet der Chip bereits die Bilder zweier Kameras aus, die in den Beinen des Fliegers stecken. Gestützt auf die Umfelderkennung, weicht das Fluggerät nun wie ein Insekt Bäumen und Wänden aus. Es erkennt Personen am Boden und folgt ihnen. Und es fliegt automatisch zu Objekten, die der Pilot auf dem Kamerabild im Smartphone antippt. 

86,5 Millionen Dollar Wagniskapital haben Investoren laut CB Insights in Movidius gesteckt, darunter Robert Bosch Venture Capital aus Deutschland. Auch Google setzte auf die Technik der Iren und wählte das Start-up als Partner für sein Projekt Tango. Dessen Ziel ist, Handys zu bauen, die in Echtzeit 3-D-Karten ihrer Umgebung erstellen. Smartphones sollen erkennen, wo das Telefon im Raum ist, was für Gegenstände vor ihm liegen und wie weit sie weg sind. Damit sollen etwa Computerspiele möglich werden, die Realität und Pixelwelt verschmelzen. 30 Mrd. Dollar Umsatz soll Hard- und Software zur Bilderkennung im Jahr 2020 erwirtschaften.

Roboter sollen erkennen, was sie sehen

Die "MIT Technology Review", das Technikmagazin der US-Eliteuni Massachussetts Institute of Technology, wählte die Dubliner in seine Liste der 50 smartesten Unternehmen des Jahres. Auch Martin Reynolds, Analyst beim Marktforscher Gartner, sieht großes Potenzial für die Sehchips.

"Der Markt für Bilderkennungshardware wird enorm groß", sagte Reynolds der WirtschaftsWoche bereits vor zwei Wochen. "Aber Movidius bekommt Konkurrenz und muss seine Technologie daher sehr schnell weiterentwickeln." Auch der Grafikkartenhersteller Nvidia etwa baut mit Google KI-Chips.

Intel könnte die Movidius-Technik auch für seine kürzlich vorgestellte Virtual-Reality-Brille brauchen. Die Brillen nämlich müssen jederzeit genau berechnen, wohin ihr Nutzer schaut. Mit dem Movidius-Chip klappt das auf ein Grad genau. Dazu analysiert er die Bilder von Kameras, die in der Brille angebracht sind und den Raum filmen.

Welche Roboter unseren Alltag erobern
Johanna Wanka Quelle: dpa
Roboter YuMi Quelle: ABB
Schunk Fünf-Finger-Hand Quelle: Schunk GmbH & Co. KG
DLR IPS-Box Quelle: DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik (CC-BY 3.0)
Smart Home Quelle: Hager
Fraunhofer Dedave Quelle: Fraunhofer IOSB
AMFIS Quelle: Fraunhofer IOSB

Das soll nur der Anfang der Movidius-KI sein. "Dieses Jahr bringen wir Maschinen bei, Gegenstände zu sehen", sagte El-Ouazzane unlängst der WirtschaftsWoche, "nächstes Jahr, sie zu identifizieren." Drohnen können dann nicht nur autonom um Ölplattformen herumfliegen, sondern sie auch selbstständig inspizieren. Logistikroboter könnten Pakete greifen und ausliefern. Und selbstfahrende Autos würden den Lastenträgern verlässlich ausweichen. 

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