Intel und Microsoft Datenbrillen statt veralteter Hardware

In den 1980er-Jahren beherrschten die beiden IT-Urgesteine Intel und Microsoft den PC-Markt. Nun versuchen sie gemeinsam, die Computerlandschaft der Zukunft zu erobern. Und ihre Chancen stehen nicht schlecht.

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Die vierte Welle der Computerplattformen rollt. Quelle: AP

Intel-Chef Brian Krzanich hat ein Problem und eine Hoffnung: Das Problem sind die wegbrechenden PC-Verkäufe; seine Hoffnung trägt den Namen „Merged reality“ – eine neue Art virtueller Realität (VR), die gezielt um Details aus der realen Umwelt angereichert wird. So kann der Träger einer entsprechenden Brille in der virtuellen Welt etwa seine Hände als digitale Abbilder sehen, sie bewegen und als Werkzeuge nutzen, um etwa digitale Türen zu öffnen.

Hardware für virtuelle Realitäten, wie etwa Brillen, werden als neue Computerplattformen gehandelt. Als PCs der Zukunft sozusagen. Und da will Intel wieder wie in der Vergangenheit Hoflieferant für Chips und Prozessoren sein. Die Wall Street jedenfalls gibt schon mal Vorschusslorbeeren: An einem schwachen Tag stieg die Intel-Aktie um 0,86 Prozent auf 35,21 Dollar.

„Merged reality“, versprach Krzanich am Dienstag auf der jährlichen Entwicklerkonferenz in San Francisco, „wird eine dieser fundamentalen Veränderungen sein, die neu definieren wird, wie wir arbeiten, uns unterhalten lassen und wie wir kommunizieren“. Krzanich präsentierte das Project Alloy, eine Datenbrille für virtuelle Realität, die gleichzeitig mit Kameras, Mikrophonen und Sensoren die gesamte Umwelt in Echtzeit überwacht und analysiert. Da Alloy keine Kabel braucht und einen eigenen Computer eingebaut hat, bewegt sich der Nutzer frei im realen Raum, während er im virtuellen Raum agiert.

Virtual-Reality-Brillen

Alloy ist mit einer Sensortechnik von Intel ausgerüstet, die Hindernisse in der Umgebung der Nutzer erkennt. Bevor sie den Flachbildfernseher im Wohnzimmer umrennen oder in eine Glastür treten, warnt sie das System. Kommt ein Mensch in den Sichtbereich, erscheint er auch in der digitalen Welt. Mit Alloy sollen in Zukunft mehrere Nutzer vernetzt arbeiten oder spielen können.

Einen Markteintritt mit Wucht versprechen sich Intel und auch Microsoft von der Integration dieser Technik in Windows 10. Terry Myerson, Microsofts Windows-Chef, erschien auf der Bühne des Moscone Centers um mitzuteilen, Alloy werde auf der Windows Holographic-Plattform laufen. Mit diesem Betriebssystem betreibt Microsoft seine eigene „Hololens“, die Brille für augmented reality, eine Technologie, mit der die reale Umwelt um digitale Informationen angereichert wird.

Die Verbindung von Windows 10 und Alloy hat das Potenzial, die aufkeimende VR-Branche dramatisch zu verändern. So wie Microsoft und Intel bereits 1975 zusammen die IT-Welt verändert haben, als Bill Gates mit Paul Allen und Monte Davidoff die Programmiersprache Altair Basic für den Prozessor Intel 8080 schrieben.

Nach heutigem Stand wird der Chiphersteller Intel Alloy nicht selbst produzieren und verkaufen, sondern macht sämtliche Pläne, Daten und Fertigungsanweisungen öffentlich zugänglich (Open Source). Das wird in der Branche als „Referenzdesign“ bezeichnet, eine Blaupause, die jeder nachbauen kann.

Das hat schon einmal prächtig funktioniert: Wer Motherboards für PCs mit Intel-Prozessoren bauen will, der kann sich ebenfalls an Referenzdesigns aus Santa Clara bedienen. Das versetzte Hersteller in den USA und Asien in den 80er-Jahren in die Lage, schnell und ohne großen Forschungsaufwand Intel-basierte PCs in Masse zu produzieren und den Markt zu überschwemmen.

Der Markt bietet hohes Potenzial

Am Ende hatten Intel-PCs mit Windows die Welt erobert. Denn Microsoft stieg mit ins Boot und optimierte sein Windows auf x86-Systeme. Der Befehlssatz der Rechenchips stammte aus Intels 8086-CPU von 1987 und wird bis heute genutzt.

Apple dagegen gab niemandem Lizenzen für Nachbauten, weder bei der Hard- noch bei der Software. Das kostete den Konzern fast die Existenz. Es war schließlich Microsoft-Gründer Bill Gates, der Apple einen Kredit gab, damit das Unternehmen mit dem Apfel-Logo nicht in den Konkurs gehen musste. Die Videoschaltung zu Bill Gates auf einem Apple-Event, der seinerzeit die Rettung des Mac-Herstellers verkündete, gilt als die größte Demütigung in der beruflichen Karriere des Apple-Gründers Steve Jobs.

Aktuell beherrschen zwei Spieler den aufkeimenden Markt für virtuelle und „angereicherte“ (augmented) Realität: Facebook hat zwei Milliarden Dollar für den VR-Brillenhersteller Rift („Oculus“) bezahlt und der taiwanesische Hersteller HTC. Er hat mit hohem Aufwand eine eigene Brille („Vive“) entwickelt. Im Unterschied dazu ist Microsofts Hololens ausschließlich für den Business-Einsatz optimiert.

Dieser noch übersichtliche Markt könnte 2017 völlig aus den Fugen geraten, wenn heutige Massenhersteller von Windows-PCs und -Laptops wie etwa Dell, HP oder Asus, vergleichsweise günstige VR-Hardware auf Alloy-Basis verkaufen, die mit dem Betriebssystem von Microsoft kompatibel sind. Auf der Intel-Entwicklerkonferenz arbeitete Alloy bereits mit einem PC für wenige hundert Dollar zusammen. Oculus und Vive dagegen verlangen nach superteuren Highend-Computern. Sony entwickelte selbst eine Brille, die noch nicht auf dem Markt ist, aber eine Playstation benötigt.

Der Markt bietet hohes Potenzial. Die Beratungsgesellschaft Digi-Capital glaubt, dass virtuelle Realitäten die „vierte Welle“ der Computerplattformen für Verbraucher sein werden, nach PC, Internet und Smartphones. Geräte für augmented reality könnten laut Digi-Capital eines Tages die „Smartphones in unseren Taschen“ ersetzen. Für 2020 schätzt die Beratungsgesellschaft das Umsatzpotenzial der Industrie auf 120 Milliarden Dollar. Auch Facebook-Mitgründer und Chef Mark Zuckerberg hat den Kauf von Brillenhersteller Rift damit begründet, er sehe hier die „Computing-Plattform der Zukunft.“

Apple-Chef Tim Cook erklärte beim Analystengespräch im Juli, Apple sei „langfristig zuversichtlich für augmented reality“. Es sei eine „tolle Sache für die Verbraucher“ und eine „große Business-Chance.“

Google investierte Ende 2014 500 Millionen Dollar in das Start-up Magic Leap, das an einer Brille arbeitet, die die digitalen Zusatzinformationen nicht auf die Gläser projiziert, sondern auf die Augenlinse. Der Gründer von Magic Leap, Rony Abovitz, erklärte in einem Interview mit dem „South Florida Business Journal“ zu seiner Technik, die er „cinematische Realität“ nennt: „Wenn Sie das gesehen haben, haben Sie die Technik der nächsten 30 bis 40 Jahre gesehen.“

Ob Abovitz bei seiner Technik auch auf Intel-Chips setzt, ist nicht bekannt. Aber Intel-Chef Krzanich wird alles dransetzen, dass es so sein wird. Denn nachdem sein Konzern die Smartphone-Revolution verschlafen hat, muss er die nächste Computer-Plattform wieder beherrschen, um die Nummer eins zu bleiben. Von 55,4 Milliarden Dollar Umsatz 2015 kamen bei Intel noch immer 32,2 Milliarden aus der PC-Sparte, aber es waren acht Prozent weniger als im Vorjahr.

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