Internet-Startups Aus Nokias Trümmern wächst neues Leben

Fans trauern noch um den Absturz des finnischen Handy-Herstellers. Doch aus den Scherben des Weltkonzerns entstehen in Helsinki neue Unternehmen. Ein Report aus einer der spannendsten Start-up-Städte Europas.

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Jarkko Jämsen Quelle: Aleksi Poutanen für WirtschaftsWoche

Jarkko Jämsen sucht nach seiner wichtigsten Laubsägearbeit. Er schaut in der Kammer mit den Modellen nach, da ist sie nicht. Er läuft rüber zu den hohen Metallregalen, steigt auf einen Hocker, um ganz hinten nachzuschauen. Wieder nichts. Er läuft von links nach rechts, stolpert fast über Kabel, schiebt Stühle, unterbricht Gespräche, Schulterzucken. Dann plötzlich: Ganz unten, hinter ein paar Kartons, ist das Ding. Jämsen reckt den Sperrholzkubus in die Luft, pustet kurz den Staub weg: „Das ist meine Idee.“ Und bleibt endlich stehen.

Vor drei Jahren hat Jämsen den schlichten Kubus gebastelt, er war das Ergebnis folgender Idee: Wäre es nicht toll, einen kabellosen, tragbaren Lautsprecher zu entwickeln, der gut klingt, allein funktioniert, aber auch jede Rolle in einem Surroundsystem annehmen kann? Das fragte sich Jämsen, der damals für den Mobilfunkhersteller Nokia Headsets entwarf. Es war eine gut bezahlte Arbeit, aber für ihn nicht gerade herausfordernd. Jämsen kündigte und baute den Kasten – nun mit einer Umhüllung aus Keramik.

Der Lautsprecher wechselt seine Funktion, je nachdem, auf welche Seite man ihn legt. Über eine ausgetüftelte Sensorik wird jeweils eine andere Wiedergabeart angewählt: Mono, Stereo oder Surround. Und das Gerät operiert wahlweise als Kompaktanlage oder übernimmt eine beliebige Rolle in einem mehrteiligen Stereosystem. Wenn man ihn auf den Kopf stellt, ist der Lautsprecher still. Die Keramik macht die Produktion zwar kompliziert, sorgt aber für einen raumfüllenden, klaren Klang. Gerade hat Apple das Teil in sein Programm genommen. Seit Anfang April werden die Geräte im Online-Shop des Konzerns und Apple-Läden in Europa und den USA für 700 Euro das Stück vertrieben.

Jämsen hat sein Büro in den Docks des alten Hafens der finnischen Hauptstadt Helsinki. Das zum Büro umgewidmete Lagerhaus steht zwischen einem unfertigen Schiffsgerippe und einem Getreidesilo. Mit seinem Start-up Unmonday schreibt er eine der Erfolgsgeschichten, wie sie sich in dieser Minihauptstadt mit gerade mal 600.000 Einwohnern, in der es im Jahresdurchschnitt weniger als neun Grad warm wird und an 113 Tagen regnet, dutzendfach abspielen. Die Zutaten des immer gleichen Strickmusters: Ein ehemaliger Nokia-Mitarbeiter setzt eine Idee um, die er lange mit sich herumgetragen hat. Ein Start up entsteht, alte Kollegen kommen dazu. Die Finanzierung übernimmt ein anderer Ex-Nokianer, der seine Aktienoptionen aus den goldenen Jahren irgendwann zu Geld gemacht hat.

In Sichtweite des Polarlichts vollzieht sich dabei der Prozess der schöpferischen Zerstörung wie aus dem Lehrbuch. Während finnische Technologie seit dem Absturz von Nokia mausetot erscheint, tummeln sich in Helsinki immer mehr Menschen, die gerade hier die Aufbruchstimmung finden, die sie in den gesättigten Kapitalen des Westens vermissen. Der 19. November 2013, als die Handysparte von Nokia für gerade noch sechs Milliarden Euro an Microsoft verkauft wurde, wirkt aus der Ferne wie der Schlusspunkt des High-Tech-Traums. Von Helsinki aus gesehen, lag das wichtigere Datum da schon einen Monat zurück: Am 15. Oktober 2013 kaufte die japanische Softbank 51 Prozent des finnischen App-Entwicklers Supercell – für 1,5 Milliarden Dollar.

Man kann darüber streiten, ob Supercell, das sein Geld mit Spielen für Mobiltelefone verdient und ein Jahr zuvor sein erstes Produkt „Clash of Clans“ auf den Markt gebracht hatte, das viele Geld auch wert war. Doch als Signal taugt der Deal allemal – dafür, dass Helsinki angekommen ist auf der Landkarte internationaler Investoren für Internet-Start-ups. „Es ist nicht so, dass man als Gründer gerade in Helsinki sein müsste – obwohl ich es jedem raten würde“, schrieb Skype-Gründer Niklas Zennström Anfang des Jahres in einem viel beachteten Beitrag für die „Financial Times“.

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