Jürgens Weinlese „90 Prozent der Online-Händler überleben nicht“

Experten sind sicher: Der reine Online-Handel mit Wein wird sich dramatisch verändern, auch weil Amazon einen neuen Lieferdienst starten wird. Auch Marktführer Hawesko reagiert mit einer neuen E-Commerce-Strategie.

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Quelle: Getty Images

Vor gut zwei Jahren hat Internet-Multi-Gründer Oliver Samwer noch das Ende des stationären Handels verkündet. Damit hat der Unternehmer, der unter anderem den Modeversender Zalando und die Holding Rocket Internet an die Börse gebracht hat, für Aufsehen gesorgt. Doch Handels-Experten halten diese Sichtweise für komplett falsch – auch auf den Online-Weinmarkt bezogen.

„90 Prozent der reinen Online-Händler, also diejenigen ohne ein stationäres Geschäft, werden nicht überleben“, sagte Dr. Kai Hudetz, Direktor am Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln. Er stellte auf einer Konferenz des Fachverlages Meininger seine Einschätzung für den Wein-Einzelhandel im Jahr 2020 vor.

Seine Aussagen decken sich auch mit den Erwartungen von Nikolas von Haugwitz, Vorstandsmitglied des Marktführers Hawesko und zuständig für den Distanzhandel. „70 bis 80 Prozent der reinen Online-Händler werden vom Markt verschwinden“, so lautet seine Einschätzung.

Nach Berechnungen des IFH betrug der Online-Umsatz im Wein-Einzelhandel 2013 rund 250 Millionen Euro und damit rund 2,7 Prozent des Gesamtmarktes. 2014 – so die Erwartung, weil genaue Zahlen noch nicht vorliegen – soll der Umsatz auf 340 Millionen Euro gestiegen sein.

Ein Grund für die düstere Prognose zur Zukunft der reinen Online-Händler ist Amazon. Der Online-Riese will bald unter dem Namen „Amazon Fresh“ einen Lebensmittel-Lieferdienst starten. Dabei wird Wein auch eine wichtige Rolle spielen. Der Startzeitpunkt ist noch offen. Experten sind sich aber sicher, dass „Amazon Fresh“ kommen wird.

„Wie sollen sich Händler gegenüber Amazon Fresh differenzieren? Über den Preis oder über schnelle Lieferung?“, fragte Hudetz rhetorisch und gab auch gleich die Antworten. In den Metropolen liefere Amazon bereits am gleichen Tag aus und arbeite zudem bereits an einer Lieferung in diversen Großstädten innerhalb von einer Stunde. In Luxemburg beschäftigt der US-Konzern mehr als 30 Mitarbeiter, die sich ausschließlich mit Preisgestaltung befassen.

Natürlich können Händler ihren Wein auch über Amazon verkaufen, was nach Einschätzung von Hudetz sogar ein Turbo für deren Umsatz wäre. Aber ein Jahr später würde es dann eine unangenehme Unterhaltung mit dem US-Online-Riesen geben. Sprich: Amazon würde aufgrund seiner Marktmacht, die er dem Händler dann bewiesen hat, eine deutlich höhere Marge fordern.

Online-Pionier hat bereits geschlossen

Amazon hat seinen Umsatz von 2007 bis 2013 auf über 75 Milliarden Dollar mehr als versiebenfacht und damit alle US-Konkurrenten weit abgehängt. Im Jahr 2013 setzte Amazon im deutschen Markt rund 10,5 Milliarden US-Dollar um. Damit bleibt Deutschland für Amazon der profitabelste Markt außerhalb der USA.

Weinverkauf via Internet oder Katalog ist lukrativ, denn der Durchschnittspreis hat nach Untersuchung des Beratungsunternehmen Macrom Wine Consult gegenüber anderen Kanälen das höchste Niveau. Viele Weinkenner bestellen edle, teure Tropfen per Katalog oder Internet.

Seit 2005 herrscht in dem Segment Online-Weinhandel eine große Dynamik. Viele reine Online-Händler haben sich auf dem Markt etabliert, teils mit innovativen Ideen. Doch bereits vor anderthalb Jahren meinten die Berater: „Nur eine Online-Plattform für den Wein zu haben, das reicht nicht“.

Man brauche andere Plattformen, an denen man sich „dranhängen“ kann – wie beispielsweise der Spanien-Spezialist Wein und Vinos, mittlerweile Hawesko-Tochter. Der hat vielen Amazon-Paketen seine Werbung beigelegt.

In diesem Jahr bereits schließen musste Online-Händler Genussreich. 1999 gegründet, zählte das Unternehmen zu den Online-Pionieren im Weinbereich.

Max Gärtner, Mitgründer des Online-Versenders Vicampo, hält die Einschätzung von Hudetz für plausibel. Er begründet das mit den hohen Investitionen in das E-Commerce-Geschäft. „Nur wenige Online-Händler können sich die neue Technologie leisten, um eine nennenswerte Zahl an Neukunden zu gewinnen“, sagt er.

Vor diesem Problem würden vor allem viele etablierte Online-Anbieter stehen. Mit der Gewinnung von Neukunden können Unternehmen seiner Meinung nach eine Aufwärtsspirale in Gang setzen, da beispielsweise ein höherer Umsatz bessere Einkaufskonditionen ermögliche. Gleichwohl hätten etablierte Versender eine Chance,  am Markt zu bestehen, wenn sie sich auf ihre Stammkundschaft konzentrieren und denen  beispielsweise einen sehr guten Service bieten.

Vicampo wurde 2012 von Max und Felix Gärtner sowie Daniel Nitz gegründet. Das Unternehmen hatte zuletzt zusätzliche 3,75 Millionen Euro Wachstumskapital von seinen Altinvestoren bekommen. Mit 30 Mitarbeitern erwirtschaftete Vicampo 2014 nach eigenen Angaben einen Umsatz von mehr als fünf Millionen Euro.

Problematische Rabattspirale

Auch Lutz Heimrich, Gründer und Geschäftsführer des Wein-Versenders Superiore.de, hält die Prognose von Hudetz für glaubhaft, dass 90 Prozent der reinen Online-Händler vom Markt verschwinden werden. Angesichts der rund 1500 Online-Shops benötigt man schon ein klares Konzept, um am Markt bestehen zu können. Neben Hawesko mit seiner Historie, dem breiten Sortiment und seiner umfangreichen Kundenbasis räumt er vor allem Spezialanbietern die größten Chancen ein.

„Bei den meisten Anbietern geht es dann letztendlich nur noch um den Preis“, meint Heimrich. Viele Anbieter würden aus der Rabattspirale, die sie selbst angefangen haben, nicht mehr herauskommen.

Superiore.de selbst hat sich auf hochwertige italienische Weine spezialisiert und wurde 2002 gegründet. „Wir haben bisher jedes Jahr im operativen Geschäft schwarze Zahlen geschrieben“, sagt Heimrich.

Diese Eigenmarken stecken hinter Zalando
Sie sind längst nicht mehr nur für Supermärkte und Discounter, sondern auch für Fashion-Händler wie den Berliner Kult-Shop Zalando das Salz in der Suppe: Eigenmarken. Der Vorteil im extrem wettbewerbsintensiven E-Commerce: Mit den eigenen Labels, die bei Zalando als Eigenmarke gar nicht zu erkennen sind, ist die Marge viel höher als bei externen Markenprodukten. Auch die Abhängigkeit von Markenherstellern lässt sich reduzieren. Der Berliner haben mindestens zwölf Eigenmarken in ihrem Portfolio. Ein Überblick. Quelle: Presse
ZignUnter dem Label Zign verkauft Zalando Schuhe und Accessoires; es ist das größte eigene Label im Unternehmen. Hergestellt beziehungsweise kreiert werden die Produkte – laut Zalando etwa 170 Styles pro Saison – von einem jungen Designer-Team unter dem Dach der Berliner zLabels GmbH, die zum Zalando-Imperium gehört. (Quelle: Screenshot Zalando.de) Quelle: Screenshot
mint&berryMit dem Label mint&berry zielt Zalando auf „selbstbewusste junge Frauen, die wissen wo es lang geht.“ Praktisch: Der Chef von zLabels ist gleichzeitig auch einer der Zalando-Geschäftsführer: Robert Gentz. (Quelle: Screenshot Zalando.de) Quelle: Screenshot
Pier OneAuch das etablierte Schuh-Label Pier One wird unter eigener Flagge für Zalando kreiert. Im Handel sind Eigenmarken nicht neu und schon länger ein Kernelement vieler Geschäftsmodelle. Der insolvente Versandriese Neckermann hatte unzählige davon, der Quelle-Versand war bekannt für seine Labels Privileg und Universum und auch die Elektronik-Riesen Media Markt und Saturn, die zum Metro-Konzern gehören, produzieren Fernseher und Blueray-Player unter der Marke PEAQ in Eigenregie. (Quelle: Screenshot Zalando.de) Quelle: Screenshot
StupsDer große Vorteil dieser Strategie ist, dass Zalando im Endeffekt an jedem eigenen Produkt, dass verkauft wird, mehr verdient, als wenn es ein Produkt der etablierten Markenanbieter ist. Eine ausgedachte Beispielrechnung: Bei einem Marken-Snowboot, der 100 Euro kostet und für 50 Euro eingekauft wird, beträgt die Marge 50 Euro. Wenn ein Anbieter wie Zalando nun ein ähnliches Produkt als Eigenmarke für 90 Euro verkauft und die Erstellungs- und Produktionskosten nur bei 15 Euro liegen, ist die Marge wesentlich höher und beträgt satte 75 Euro. Unter dem Label Stups kreiert Zalando Schuhe für Kinder und junge Teenager. (Quelle: Screenshot Zalando.de) Quelle: Screenshot
Mai Piu SenzaEin weiterer Vorteil, der sich Zalando durch die Eigenmarken bietet: Im Online-Store werden z.B. Schuhe von Mai Piu Senza als „das könnte Ihnen auch gefallen“ angeboten, wenn Kunden zum Beispiel nach Schuhen von Hugo Boss suchen. Unter dem italienisch klingenden Label Mai Piu Senza präsentiert Zalando „aufregende Silhouetten, hohe Absätze und gewagte Plateaus“. (Quelle: Screenshot Zalando.de) Quelle: Screenshot
TwintipBesonders clever: Für ihre eigenen Labels können die Zalando-Maketer Anzeigen im hauseigenen Zalando-Fashion-Magazin schalten und sie in einem hochwertigen Umfeld direkt vor der Nase ihrer Zielgruppe platzieren. Das Zalando-Label Twintip versammelt sportliche Bekleidung von Beachwear bis hin zu robusten Snowboardoutfits. (Quelle: Screenshot Zalando.de) Quelle: Screenshot

Er selbst hatte ein Angebot von Amazon vor einigen Jahren abgelehnt, seine Weine über das Portal des US-Konzerns zu verkaufen. „Wir hätten die Weine nicht teurer verkaufen dürfen als über unseren eigenen Shop“, erläutert er. Zusammen mit der zweistelligen Provision für Amazon sei das „betriebswirtschaftlich nicht darstellbar“ gewesen. Heimrich glaubt, dass das Konzept von AmazonFresh auch nur in den Metropolen funktionieren wird.

Marktführer Hawesko sieht das verstärkte Amazon-Engagement positiv. „Ich begrüße den Start von Amazon Fresh“, meint von Haugwitz. Dieser stärkere Einstieg des Online-Riesen in den Weinmarkt sorge dafür, dass Mitbewerber innovativer werden müssen.

Hawesko selbst reagiert auf die Herausforderungen beim Online-Weinverkauf mit einer neuen E-Commerce-Strategie. Damit will das Unternehmen seine Marktposition ausbauen. Zunächst sollen die bestehenden Shops (Hawesko.de, weinlet.de und tvino.de) sowohl von technischer Seite als auch mit Hilfe einer individuelleren Beratung und Produktempfehlungen optimiert und verbessert werden. Von dieser neuen Technologie soll später eventuell auch das Tochter-Unternehmen Wein und Vinos profitieren.

Der Wein-Einzelhandel der Zukunft

Diese neue Plattform soll dem Unternehmen in einem weiteren Schritt ermöglichen, einfacher neue Online-Shops zu eröffnen. „Bislang hat die Eröffnung eines neuen Shops uns rund 100.000 Euro gekostet“, sagt Nikolaus von Haugwitz, das zuständige Vorstandsmitglied in der Hawesko Holding. „Aufgrund der neuen E-Commerce-Plattform werden wir nur noch einen Bruchteil des Geldes zahlen müssen“. Mit diesem Schritt will Hawesko sich gegen die vielen kleinen Online-Händler besser behaupten und schneller auf Marktentwicklungen oder neue Trends reagieren können. „Das Internet ist teuer“, hatte von Haugwitz bereits in einem Interview vor knapp einem Jahr gesagt.

Hawesko verkauft gehobene und Premium-Weine, deren Durchschnittspreis pro Flasche im Versandhandel (Online und Katalog) bei acht Euro liegt. In diesem Segment will das Unternehmen auch bleiben. Die Versandhandelssparte der Hawesko AG hat im Jahr 2013 einen Umsatz von 149 Millionen Euro erzielt.

Auch von anderer Seite kommt der Online-Handel unter Druck:  Discounter, SB-Warenhäuser und Lebensmitteleinzelhändler  wollen ihren Umsatz durch den Verkauf von teureren Weinen erhöhen. Händler  wie zum Beispiel Edeka-Südwest investieren laut dem Marketing-Experten Michael W. Pleitgen viel in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, um höherwertige Tropfen verkaufen zu können.

Lidl bietet mittlerweile Weine für bis zu 349 Euro die Flasche an und Branchenkreisen zufolge steht der Rewe-Konzern kurz vor dem Einstieg in den Onlinehandel mit hochwertigen Weinen. Auch Aldi-Nord hat für Wein ein neues, emotionales Verkaufskonzept entwickelt.

Der Lebensmittelhandel hat eine starke Marktmacht: Von vier Flaschen Wein, die in Deutschland verkauft werden, gehen drei über die Theken von Discountern, SB-Warenhäusern und Einzelhändlern. Bei der Verkaufsmenge beträgt allein der Marktanteil von Aldi 22 Prozent, zusammen mit den anderen Discountern beläuft sich dieser Anteil 49 Prozent.

Auch wenn die Experten erwarten, dass die Mehrzahl der reinen Online-Händler vom Markt verschwinden wird, heißt das nicht, dass die stationären Geschäfte davon profitieren. Nach Einschätzung von Hudetz vom Institut für Handelsforschung müssen sich 70 Prozent der traditionellen Händler bis 2020 entweder neu definieren oder aber sie überstehen den Wettbewerb nicht.

Seine Schlüsselaussagen für den Wein-Einzelhandel der Zukunft: Händler müssen sich frühzeitig auf den Wandel vorbereiten, dabei triumphiert Geschwindigkeit. Man müsse 2020 den Kunden ernst nehmen. Alte Verkaufskanäle werden nicht ersetzt, müssen aber angepasst werden. Und die letzte Aussage an die Händler: Beginnt damit, Marken aufzubauen.

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